Bei der ersten Auflage der „Gespräche im Stall“.

Gespräche im Stall

Publiziert in 2 / 2016 - Erschienen am 20. Januar 2016
Zwischen Schafen über Gott und die Welt diskutieren. Dazu trafen sich gleich mehrere Personen kürzlich in Naturns. NATURNS - Menschen sind oft wie Schafe – wo sonst, als in einem Stall, mitten im Dorfkern von Naturns, genauer gesagt im „Dorfmoar“, sollte diese Feststellung getroffen werden. Und zwar war es Hofbäuerin Luise Ruatti, die auf diese besondere Idee kam. Die „Dorfmoar Gespräche im Stall“. Unter Schafen sozusagen. Und dabei trafen sich gleich mehrere Personen, die etwas zu sagen haben. Denker, Künstler, kluge Köpfe. Personen aus dem gesellschaftlichen und geistlichen Bereich. Unter anderem der bekannte Wiener Grabredner mit Naturnser Wurzeln, Hannes Benedetto Pircher, der Meraner Theologe Don Paolo Renner, der Partschinser Künstler Matthias Schönweger, der ehemalige Naturnser Gemindearzt und Gemeinderat Hans Pöll, der Kulturwirt der Tschenglsburg, Karl Perfler, der Naturnser Kulturreferent Michael Ganthaler, der deutsche Journalist Ingomar Schwelz, sowie viele weitere waren auf Einladung von Ruatti zum „Dorfmoar“ gekommen. „Wir sitzen hier in einem Jahrhunderte alten Stall. Das erinnert mich an Bodenständigkeit. Bodenständigkeit die viele Menschen verloren haben. Darauf sollten wir uns besinnen“, betonte Michael Schaller, ein Naturnser Sauna-Unternehmer und sozusagen geladen als Vertreter für die Wirtschaft. „Menschen zusammenbringen“ Den Ort hatte die Bäuerin Ruatti ganz bewusst gewählt. „Menschen sind oft wie Schafe, die der Herde nachlaufen. Deshalb habe ich diesen Ort gewählt. Er soll symbolisch sein“, erklärte Ruatti. Bereits vor zwei Jahren sei sie auf die Idee gekommen, eine derartige, etwas andere Dis­kussionsrunde zu veranstalten. „Es ist für mich ein Bedürfnis, Menschen zusammenzubringen“, betont Ruatti. Der Stall habe für sie ohnehin eine starke Symbolkraft. „Hier verbringe ich einen großen Teil meiner Zeit“, so die tierliebende Naturnserin. Tierlieb sei sie voll und ganz, geschlachtet werden dennoch einige Tiere. „Sie sterben jedoch in meinem Arm. Ich bin bei jeder Schlachtung dabei, denn hinter jedem Stück Fleisch steckt ein Lebewesen. Das sollte uns bewusst sein“, begann die Bäuerin die Gespräche und damit eine Diskussion über bewussten und nachhaltigen Konsum. Dass dieser in der heutigen Zeit immer wichtiger werde, darin waren sich die Teilnehmer einig. „Gemeinschaft zählt“ Kontroverser diskutiert wurde hingegen zum Thema Kirche. Hier fanden sich verschiedene Ansichten. „Der Stall erinnert mich an meine Kindheit. Hirten, Schafe. Das ist eine schöne Symbolik. Leider distanzieren sich die Menschen immer mehr von ihren Hirten. Eine Aufwertung der alten Lebensgemeinschaft zwischen Hirte und Schafen wäre in der schnelllebigen technologisierten Welt wünschenswert“, brach Don Paolo Renner eine Lanze für die katholische Kirche. Dem dagegen hielt der Partschinser Künstler Schönweger. „Ich bin froh, dass ich kein Schaf mehr bin. Einzig und allein die humanen Werte sind von Bedeutung. Ich bin getauft, das ist okay. Wäre ich es nicht, wär’s auch egal. Ich schätze die Arbeit von Paolo Renner und der Kirche. Ich schätze aber auch Atheisten. Denn was zählt, ist allein die Menschlichkeit“, so Schönweger. Renner stufte vor allem den heutigen Individualismus als gefährlich ein. Religionslehrerin Annegret Steck pflichtete dem Geistlichen bei: „Die Schafe suchen heute immer mehr ihr eigenes Futter. Es gibt aber auch immer mehr Depressionen und Burnouts. Wir müssen nicht abhängig von Sakramenten sein, aber den Weg zu Gott haben wir alle in uns. Es liegt an uns, diesen zu finden und dann auch zu gehen“. Die Schafe sollten durchaus ihre Identität bewahren, so Renner. Aber eine Gemeinschaft zu bleiben, schade nicht. „Der Papst sagt immer, lasst euch nicht die Gemeinschaft nehmen. Daran glaube auch ich“, so der Theologe. Schließlich zähle das Gemeinwohl. In der heutigen Zeit reduziere man Menschen oft nach deren Funktionen, empfand Grabredner Hannes Benedetto Pircher. „Der einzelne Mensch ist nichts mehr wert“, kritisierte der Wahl-Wiener und gab Renner in Sachen Gemeinschaft Recht. Karl Perfler zeichnete ein eigenes Gedankenbild: „Unvorbereitet sind wir in den Raum der Freiheit geworfen worden. Zu lange waren wir in dem ‚Gehorsamskanal‘ und jetzt taumeln wir in unserer Freiheit herum“. Die Herde hinter sich lassen und keine gutgläubigen Schafe sein. Dies forderten unter anderem der Schlanderser Reinhold Holzer sowie die in Naturns lebende Bundesdeutsche Heike Richter. „Neue Gemeinschaften bilden sich. Das ist eine Chance“, betonte Holzer, der auch nicht mit Kritik am Papst und der „reichen Kirche“ sparte. Auch die Staaten bekamen ihr Fett weg. Die Souveränität der Menschen sei verloren. „Man muss ein Schaf sein“ In einem waren sich die Diskussionsteilnehmer einig. Die Idee von Luise Ruatti, Menschen zusammenzuführen und zu diskutieren, sei vorbildhaft. Diskussionskultur sei das was zähle. Der Ort hierfür hätte für eine Diskussion dieser Art nicht besser gewählt werden können. Denn, frei nach Einstein: „Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein.“ MICHAEL ANDRES
Michael Andres
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