Großartiges, kulturelles Erbe“
Die Vergangenheitsbewältigung „zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit“ ging in Glurns wissenschaftlich über die Bühne.
Glurns - Die Erstnennung als „stat“ im Jahre 1304 war Grund für das 1. Symposium des Südtiroler Kulturinstituts. Das 2. erinnerte 1999 an die Schlacht an der Calven 1499. Die 3. Tagung befasste sich im Jahre 2006 mit dem Abschluss der Stadtsanierung unter dem Titel „Bilder der Vergangenheit - Visionen für die Zukunft“. 2018, 12 Jahren später, rechtfertigte Bürgermeister Alois Frank das 4. Symposium so: „Es haben sich neue Erkenntnisse ergeben. Die Bürgerschaft und Stadtverwaltung brauchen stetes Wissen, um die Stadt angemessen verwalten zu können.“ Er dankte Schuldirektor und Geschichtskenner Herbert Raffeiner für die Tagungsleitung und wies auf frühere Publikationen und Diplomarbeiten über Glurns hin. Als stellvertretende Vorsitzender des Kulturinstituts nannte Othmar Parteli Glurns ein „großartiges, kulturelles Erbe“, dessen Geschichte man kennen müsse, um die Zukunft zu gestalten.
Zwischen Bischof und Fürst
Mit Gustav Pfeifer eröffnete ein ausgewiesener Experte für Adelsforschung, Wappen- und Siegelkunde, die Reihe der Referate. Er hatte sich mit dem „Glurnser Stadtwappen von 1528 und dem Wappengebrauch in Glurns an der Zeitenwende“ befasst. Nach ausführlichen Informationen zum Stadtwappen und zum Wappenbrief verwies er auf Verwechslungen der Maler und Restauratoren an den Tortürmen. Die Heraldik auf dem Gedenkstein des landesfürstlichen Pflegers Jörg von Liechtenstein in der Pfarrkirche sei laut Pfeifer ein Versuch, sich zum landständischen Adel zu rechnen. Unverzichtbar für die Geschichte des Oberen Vinschgau stellte Tagungsleiter Raffeiner die aus Mals stammende Historikerin Mercedes Blaas vor. Ihr Thema war „das Verhältnis der Stadt Glurns zu den Gotteshausleuten“, wie die Gefolgsleute des Fürstbischofs von Chur genannt wurden. Sie zeichnete die schwierige Lage dieser Gruppierung nach, die gegenüber den „Herrschaftsleuten“, den Untertanen des Landesfürsten, zu einer Minderheit wurde und die man zum Teil für die Niederlage von 1499 verantwortlich machte. „Trotz des noch jungen Alters“ käme man an David Fliri aus Taufers im Münstertal nicht vorbei, meinte Raffeiner, als er das Referat „Landesfürstliche Verwaltung vor Ort. Glurns als Gerichtssitz im 16. Jahrhundert“ ankündigte. Nach den Hinweisen, dass Bauernführer Michael Gaismair 1525 in Glurns ein Herrschaftssymbol sah, dass es zu vernichten gelte, ging Fliri auf die Rechtsprechung für die Untertanen des Bischofs, des Landesfürsten, der Matscher, der Klöster Marienberg und St. Johann in Müstair ein. Dass nicht erst beim Glurnser Mäuseprozess Tiere angeklagt und verurteilt wurden, versuchte der Innsbrucker Philosoph Manfred Schlapp zu beweisen. Der Mäuseprozess sei wegweisend, behauptete er, es sei die Geburtsstunde des „Tieranwalts“.
Glurns als Kopfgeburt
Giorgio Fedele aus Bozen und Concino de Concini konfrontierten die Teilnehmer mit der Tatsache, dass Albrecht Dürer neben Leonardo da Vinci am „Congresso internazionale di Malles e Bormio“ teilgenommen habe. Bereits 1979/80 hätten sie herausgefunden, dass Glurns kein Zufallsprodukt, sondern eine präzis vermessene und geplante Idealstadt sei. Nach intensivem Studium sei es ihnen auch gelungen, jenen Platz unter den Lichtenberger Höfen ausfindig zu machen, von dem aus Deutschlands größter Renaissance- Künstler im Jahre 1498 einen Teil der Obervinschger Landschaft für sein Selbstbildnis - heute im Prado-Museum von Madrid - überblickt und übernommen habe. Zur Beweisführung hatten der Architekt und der Historiker einen überdimensionalen Atlas angefertigt und im Rathaussaal ausgestellt. Als Schlüsselbeitrag für Glurns bezeichnete Bürgermeister Frank den Vortrag „Das Bild der Stadt im Spiegel der modernen Denkmalpflege. Wie bleibt oder vergeht eine spätmittelalterliche
Stadt?“. Waltraud Kofler Engl, früher als Denkmalpflegerin auch für Glurns zuständig, versuchte zu ergründen: „Wann und unter welchem Blickwinkel Glurns als erhaltenswürdige Stadt (...) betrachtet wurde und welche Überlegungen und Elemente dabei sozusagen die Leitgedanken und Leitbauten waren.“ Schließlich sei das, was Glurns heute ist, nicht das Produkt des Mittelalters oder der Frühen Neuzeit, sondern sei in zahlreichen „sozialen Aushandlungsprozessen entstanden, zugewachsen, erneuert, erhalten, verloren und neu genutzt worden.“ Kofler Engl bezeichnete die Initiative der Gemeinde, Stadthäuser zu erwerben, zu restaurieren und weiterzugeben als zukunftsweisend, nannte das Gartenprojekt von Carmen Müller wichtig für „generationsübergreifende Kommunikation“ und machte am Beispiel Venedig aufmerksam, dass in stark vermarkteten Tourismusorten das „ganz normale Leben“ aufhören könne.
Abschluss im „Templum elegans“
Für den vielseitigen Historiker, Stadtführer und Oberschullehrer Christof Anstein aus Glurns wurde die Tagung zum Heimspiel. Seinen Referatstitel „Templum elegans, totum fornicatum“ (Eleganter, völlig eingewölbter Tempel) hatte er einem Visitationsprotokoll des Jahres 1638 entnommen. Damit war die Stadtpfarrkirche zum Hl. Pankratius gemeint. Anstein widerlegte die Ansicht, im 16. Jahrhundert sei deswegen im Kirchenbau so viel geschehen, weil die Gebäude von den Bündnern zerstört worden seien. Vielmehr seien Erweiterungen und Neubauten als Folge des allgemeinen Wiederaufbaus der Stadt zu sehen. Es waren mehrere Handwerker und Bauhütten in der Stadt aktiv. Der erste Symposium-Tag endete mit einer Stadtführung durch Anstein und einem Besuch in der Whisky-Brennerei Puni. Die Fortsetzung der Tagung fand am Sonntag in der Stadtpfarrkirche statt. Das Kulturinstitut hatte den Direktor des Landesmuseums Schloss Tirol, den Kunsthistoriker und Universitätsdozenten Leo Andergassen eingeladen, nach der „Jubelmesse“ für Altbürgermeister Alois Riedl über St. Pankratius zu referieren. Andergassen besprach die Verehrung des Ritterheiligen Pankratius in der Burgkapelle von Schloss Tirol und in Glurns, brachte Gaudenz von Matsch mit dem Gerichtsfresko am Turm in Verbindung und ging auf die allgemeine Bedeutung der Kirchtürme ein.