Renate Angerer an ihrem 95. Geburtstag.
Renate und Hubert bei ihrer Verlobung im Oktober 1943 in Berlin.

Gute Luft für ein langes Leben

Renate Angerer wurde kürzlich 95.

Publiziert in 30 / 2017 - Erschienen am 12. September 2017

Sulden/Kortsch - Anfang August feierte Frau Renate Angerer geb. Nallinger im Kreise ihrer weit verstreuten Verwandtschaft ihren 95. Geburtstag. Sie wurde im fernen Jahr 1922 in Berlin geboren, wo sie in einer gut­bürgerlichen Umgebung aufwuchs. Leider musste sie ihr Studium der Physiotherapie wegen des Beginns des 2. Weltkriegs abbrechen.
Während ihrer Jugend­jahre lernte sie alle Vorzüge einer Weltstadt kennen,  hatte einen weitgespannten Freundeskreis,  war sportlich äußerst aktiv, ­lernte Klavier spielen und besuchte Theater­vorstellungen sowie die ersten Filmvorführungen in den gerade in Mode gekommenen Berliner Filmpalästen. Ende Juli 1939 unternahm die Familie ­Nallinger mit ihren beiden heranwachsenden Töchtern im eigenen Auto eine Reise durch Nord- und Mittelitalien. Von guten Berliner Freunden wurde ihnen aufgetragen, als Abschluss ihrer Rundreise noch einen 10-tägigen Urlaub im Ortlergebiet einzuplanen und dabei im bekannten „Posthotel zum Ortler“ der Familie Angerer in Sulden zu logieren. Die Berliner Stadtmenschen waren begeistert von der herrlichen Bergwelt,  der freundlichen Aufnahme im Posthotel,  wobei sich Hubert, der jüngere Sohn des Hauses, ganz besonders „intensiv“ um Tochter Renate kümmerte.
Der unbeschwerte Aufenthalt in Sulden erfuhr allerdings  aufgrund der allgemeinen Mobil­machung des Deutschen Reiches ein jähes Ende.
Auch der 20-jährige Hubert Angerer wurde in den 2. Weltkrieg eingezogen; er hatte sich als Pilot freiwillig zur deutschen Luftwaffe gemeldet. In Berlin entwickelte sich die Zuneigung zwischen Hubert und Renate so stark, dass das junge Paar im Februar 1944 in Berlin-Nikolasee heiratete. Im Dezember kam ihre Tochter Christiane zur Welt.
Anfang 1945 wurden die Fliegerangriffe auf die deutsche Hauptstadt immer stärker,  ein normales Leben wurde für die hungernde Zivilbevölkerung unmöglich. Als Renates Wohnhaus von einer Granate vom Dach bis zum Erdgeschoss durchschlagen wurde und die Russen 20 Kilometer vor Berlin standen, floh die junge Mutter mit Kind unter unbeschreiblichen Schwierigkeiten und Umwegen nach Sulden. Die „Neue aus der Großstadt“ machte sich dienlich, wo immer es ging, sodass ihr immer mehr Sympathie entgegengebracht wurde. Die „Schneid“ hat sie den Suldnern abgekauft, als sie im Frühjahr alle Schafe im Dorf scherte, bevor diese auf die Weide getrieben wurden. Überhaupt verrichtete sie die Stallarbeiten auf dem Stockhof gewissenhaft und kannte sich bei Pferden und den störrischen Mulis gut aus, was ihr großen Respekt einbrachte. Hubert kam gesund und unversehrt aus dem Kriegsdienst zurück und Anfang der 50er Jahre auch wieder die ersten Gäste. Frau Renate war überall im Hotelbetrieb präsent und kümmerte sich um viele Aufgaben 1948 kam Sohn Franz Georg auf die Welt, im Dezember 1952 folgte ihm Sohn Tobias. Mit ihren Kindern lernte sie gleichzeitig Italienisch, um sich auch mit den vielen italienischen Sommergästen unterhalten zu können.
Als es in den 70er Jahren wirtschaftlich schwierig wurde, entschloss sich Hubert, ein zweites Standbein in Form einer kleinen Frühstückspension in Schenna zu erwerben. Renate führte die Pension eigenständig  und erst viele Jahre später zog sie wieder in den Stockhof nach Sulden. Auch nach dem unerwarteten Tod von Hubert 1988 besuchte sie regelmäßig, obwohl protestantischen Glaubens, den Sonntagsgottesdienst in der Suldner Pfarrkirche und sang viele Jahre im Kirchenchor.
Seit mehreren Jahren lebt Frau Renate nun gut betreut in Kortsch.
Großes Leid brach über sie herein, als sie im Juni 2015 für immer von ihrem jüngsten Sohn Tobias Abschied nehmen musste. Trotzdem hat Frau Renate ihre Lebensfreude und ihr Interesse nie verloren. Sie liest und sieht noch ohne Brille fern und spielt am Tablet das elektronische Kartenspiel.
Das Duftgemisch aus Berliner, Suldner und Kortscher Luft scheint für Frau Renate Garant für ein langes, erfülltes Leben zu sein. inge

Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
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