Heimat reloaded
23. Marienberger Klausurgespräche
Marienberg - Bereits zum 23. Mal fanden heuer im Kloster Marienberg oberhalb Burgeis die traditionellen Klausurgespräche statt. Das Kuratorium, das jedes Jahr namhafte Referenten gewinnt, nach Marienberg zu kommen, hat heuer das Thema „Heimat“ in den Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen gestellt. Der Präsident der Marienberger Klausurgespräche, Günther Andergassen, wies bereits zu Beginn der Tagung auf den problematischen Begriff „Heimat“ hin. Er ist beladen, belastet und besetzt wie kaum ein anderer Begriff. Deshalb scheint er heute vielen als unbrauchbar, wenn nicht gar als erledigt. „Und doch erweist er sich als zäh und langlebig, als Gegengewicht zu einer immer unübersichtlicheren Globalisierung, als verführerischer Rückzugsort, aber auch als Halt gebender Bezugspunkt für Orientierung im reichen Angebot an kulturellen und religiösen Identitäten“, so Andergassen. Vielleicht ist die Idee von grenzenloser Flexibilität und Mobilität in der Globalisierung doch eine Überforderung für viele Menschen. Andergassen: „Jeder will wissen, wo er herkommt, mehr noch: wo er sich zugehörig fühlen kann.“
Digital vernetzt – sozial entnetzt?
Den Reigen der Vorträge eröffnete Anna Grebe aus Berlin, Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaftlerin. Sie sprach zum Thema „Digital vernetzt – sozial entnetzt?“ Sie ist der Überzeugung, dass Jugendliche oft in das Internet flüchten, weil sie in der Realwelt nicht mehr zurechtkommen. Bei aller Kritik am Internet wies die Referentin jedoch darauf hin, dass sich das weltumspannende Netz auch als Solidarnetz herausgestellt hat. „Im Sinne einer Weltgemeinschaft ist dies eine andere Form der Beziehung, die über die Grenzen hinausgeht.“
Der ehemalige Schweizer Bundespräsident Kaspar Villiger sprach über das „Heimatgefühl – Ingrediens eines erfolgreichen Staatswesens“. Ein erfolgreicher Staat zeichnet sich laut Villiger durch Wohlstand, Freiheit, Stabilität und Sicherheit aus. Entscheidend dafür sind Institutionen und Kultur. Marktwirtschaft und hinreichende Freiheiten sind Voraussetzung dafür, dass Menschen Wohlstand erarbeiten können und wollen.
Staat muss durch Umverteilung Unterschiede glätten
Ebenso wichtig sind kulturelle Faktoren. Wegen der angeborenen Fairness-präferenzen akzeptieren Menschen zu große Einkommensunterschiede nicht. Deshalb muss der Staat durch Umverteilung solche Unterschiede glätten. Die Bereitschaft der Wohlhabenderen dazu ist größer, wenn ein Wir-Gefühl, eine gemeinsame Identität besteht. „Die Werte wie das Wir-Gefühl, die Fairness, das Vertrauen, die gemeinsame Identität sind unverzichtbare Bestandteile des Heimatgefühls. Das Wir-Gefühl ist an überblickbare Räume gebunden. Ein hinreichendes kontinentales oder gar globales Wir-Gefühl ist unrealistisch, und ein regionales reicht zur Schaffung eines nationalen nicht aus. Deshalb wird der Nationalstaat das unverzichtbare Grundmodul politischer Ordnungen bleiben. Der erfolgreiche Nationalstaat darf aber nicht ethnisch definiert werden, weil er sonst in verheerenden Nationalismus abzugleiten droht“, so Villiger.
Kleine Heimat – große Politik
Der in Rom tätige Journalist Paolo Pagliaro sprach zum Thema „Piccola patria, grande politica“ („Kleine Heimat, große Politik“). Laut Pagliaro genüge es nicht, ein Heimatministerium ad hoc zu bilden, wie es die neue deutsche Bundesregierung gemacht hat, denn „Heimat“ ist ein zu vielschichtiger Begriff. Heimat kann ein gemütliches, gastfreundliches Haus sein oder ein Haus, wo man sich einschließt. Pagliaro ging in seinem Referat auch auf die aktuelle politische Situation in Südtirol und Italien ein. Er betonte, dass sich das Konzept und die Gestaltung der Autonomie als wirksames Instrument für die friedliche Lösung eines ethnischen und sprachlichen Konfliktes erwiesen hat, der die Gefahr der Zerstörung in sich barg. Entscheidend waren auch die klaren Vorstellungen und die Weitsichtigkeit der politischen Leader wie Alfons Benedikter oder Silvius Magnago. Die große Herausforderung für die heutige Zeit sieht der Journalist in der Migration. „Vielleicht werden gerade die Autonomie und die Erfahrung in der Selbstverwaltung dafür sorgen, dass Südtirol diese Herausforderung mit Ausgewogenheit und Wirksamkeit meistern wird“, so Pagliaro.
Jenseits von Andernorts
Den Reigen der Vorträge schloss der Schriftsteller Doron Rabinovici. Er sprach zum Thema „Jenseits von Andernorts – Überlegungen zu Identität, Heimat und Diaspora im Zeitalter der Globalisierung“. Der Begriff Diaspora meinte einst die Peripherie, die fernen Kolonien in der Fremde und wurde – insbesondere bei den Juden – als Ort der Verbannung und als Fluch verstanden. Aber längst leben viele in einer mehrstimmigen Diaspora, die zum fruchtbaren Zentrum modernen Lebens wurde. Je unbestimmter unsere Identität dabei wird, umso dringlicher jedoch ist der Wunsch, sie eindeutig zu benennen. Rabinovici ging in seinen Ausführungen der Frage nach, ob es in unserer Gegenwart noch einen Platz gibt, den wir Heimat nennen können. Er erzählte von der Geschichte seiner jüdischen Familie, von den Folgen der Vernichtung und von dem Dasein zwischen verschiedenen Ländern und Zeiten. Er zeigte auf, dass alle Kultur von Anfang an Assimilation war, und erörterte, was die Forderung zur Integration bedeuten kann. Diese Überlegungen mündeten in der Frage, ob mit Volk noch ein Staat zu machen ist und ob der Nationalstaat eher Garant oder Hindernis für eine menschengerechte Zukunft sein kann.
Dialoggespräch
Die Vorträge hatten immer lebhafte Diskussionen zur Folge. So auch ein Dialoggespräch zum Thema „Heimat“, an dem die Schriftstellerin Sabine Gruber, der Verwaltungsratspräsident der IDM, Thomas Aichner, und der Lehrer, Übersetzer und Journalist Gabriele De Luca teilnahmen. Für Sabine Gruber ist der Begriff „Heimat“ stark ideologisch besetzt, der vor allem von der politischen Rechten als Abgrenzungsbegriff verwendet wird. „Meine Heimat ist überall dort, wo ich bin“, so Gruber. Thomas Aichner stellte hingegen fest, dass es in der Gesellschaft immer mehr eine Veränderung hin zu mehr Individualismus gebe. So werde sich auch der Heimatbegriff ändern – trotzdem bleibe die Sehnsucht nach Heimat aufrecht.
Gabriele Di Luca wehrte sich gegen die Vermarktung des Begriffes „Heimat“. Viele Philosophen und Schriftsteller haben sich im Laufe der Geschichte mit dem Begriff „Heimat“ auseinandergesetzt und versucht, eine Definition zu finden. Ein Beispiel für viele wäre Ernst Bloch, der in seinem Werk „Prinzip Hoffnung“ schreibt, dass „Heimat“ das eigentliche große Ziel des Menschen sei. Hat er zu sich selbst und seinen Möglichkeiten gefunden, dann wird in der Welt etwas entstehen, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“