Die Teilnehmer
Alberto Melloni
Frank Kohl-Boas
Günther Andergassen
P. Martin Lintner
Sonja Puntscher-Riekmann
Vivian Dittmar
Wolfgang Coy

„Hierarchien am Ende? Autorität(en) und Vertrauenskrise“

So lautete das Motto der diesjährigen Marienberger Klausurgespräche, die vom 30. März bis 1. April im Benediktinerkloster stattfanden.

Publiziert in 14 / 2017 - Erschienen am 19. April 2017

Burgeis - Bereits zum 22. Mal trafen sich im Kloster Marienberg Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Kultur zu den Klausurgesprächen, um im Austausch mit renommierten Referentinnen und Referenten über das Spannungsfeld zwischen Ethik und Sachzwang zu diskutieren. Die diesjährige Auflage wurde in memoriam Bischof Karl Golser durchgeführt, der über viele Jahre diese hochkarätige Veranstaltung geprägt hat. Prof. Golser gehörte zu den ersten Teilnehmern, als die Gespräche 1992 zum Thema „Politik im Spannungsfeld zwischen Ethik und Sachzwang“ ihren Anfang nahmen. Nach der zweiten Auflage wurde er 1995 zum Mitbegründer und ersten Präsidenten des Kuratoriums Marienberger Klausurgespräche, dem er dann 15 Jahre lang vorstand.

Autorität als Leidender

So stand auch zu Beginn der heurigen Veranstaltung eine Würdigung Bischof Golsers durch den Moraltheologen P. Martin M. Lintner OSM, der selbst Mitglied des Kuratoriums der Klausurgespräche ist. P. Martin würdigte Leben und Wirken des zu Weihnachten verstorbenen Bischofs. „Karl Golser hat für viele eine Autorität dargestellt: wegen seiner stattlichen Erscheinung, wegen seiner Persönlichkeit, besonders aber wegen seiner Kompetenz in theologisch-ethischen Fragen und wegen seines wissenschaft­lichen und gesellschafts­politischen Einsatzes.“ Karl Golser habe laut P. Martin durch sein Schicksal die Autorität des Leidenden erworben. „Ein Mensch verliert seine Würde nicht, auch dann nicht, wenn er nichts mehr leisten kann, nicht mehr kommunizieren kann und in jeder kleinsten Angelegenheit abhängig ist von anderen: Die Autorität eines solchen Menschen bleibt eine kritische Anfrage an und zugleich eine notwendige Korrektur für jede Gesellschaft: Wie geht sie mit den schwächsten ihrer Glieder um?“ Abschließend meinte P. Martin Lintner: „Nicht nur, aber auch wegen seiner Autorität als Leidender wird er vielen von uns in Erinnerung bleiben.“

Werte setzen und Werte pflegen

Günther Andergassen, Präsident des Kuratoriums, betonte zu Beginn der Tagung, dass die Klausurgespräche 2017 „An­knüpfungspunkte zur Werte­diskussion der letztjährigen Klausurgespräche mit Blick auf Grundwerte wie Menschenwürde, Gleichheit aller Menschen, Toleranz, Respekt, Subsidiarität und Solidarität haben. Schließlich heißt führen: Werte setzen und Werte pflegen.“
Wie ein roter Faden zog sich durch alle Beiträge die Fest­stellung, dass die Entscheidungskompetenz von Verantwortungsträgerinnen und -trägern in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft zunehmend in Frage gestellt werden. Laut Andergassen zeige sich immer deutlicher, dass der Erfolg von Organisationen und Unter­nehmen in hohem Maße von kreativ denkenden und handelnden ­Menschen abhänge, die auch Verantwortung übernehmen. „Um so verwunderlicher ist es, dass in der Realität so wenig in die Tat umgesetzt wird. Populistische Strömungen, kollek­tive Ängste und eine ,Kultur der Wut‘ scheinen sogar den Pfeil der Zukunft wieder in Richtung Vergangenheit umzudrehen.“ Den Reigen der Vorträge er­öffnete Alberto Melloni, Professor für die Geschichte des Christentums an der Universität Modena/Reggio Emilia sowie Professor für religiösen Pluralismus und Frieden an der Universität ­Bologna. Er sprach zum Thema „Die Reform des Papsttums, ohne an Normen zu rütteln – Papst Franziskus und das Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils“. Der Referent betonte, dass Papst Franziskus eine Form der Kommunikat ion hat, die die Menschen anspricht und die imstande ist, eine Reform anzuschieben, ohne an Normen zu rütteln. „Ob dies der Papst instinktiv macht oder durchdacht – wir wissen es nicht. Jedenfalls gelingt es ihm, auch indem er Kritiker in sein Team holt, Strukturen aufzubrechen.“ Besonders wichtig für Prof. Melloni ist die Betonung der Synodalität von Papst Franziskus. Denn sie ist das Merkmal der Kirche und nicht die Demokratisierung.
Vivian Dittmar sprach zum Thema „Beziehungen auf Augenhöhe – das Ende der Hierarchien?“ Die Unternehmensberaterin aus München wies darauf hin, dass sich in vielen Gesellschaftsbereichen ein umfassender Wertewandel bemerkbar mache, durch den die Art, wie wir unsere wichtigsten Beziehungen gestalten, grundlegend transformiert wird. „Waren bis vor ein oder zwei Generationen noch nahezu alle Beziehungen von klaren, oft künstlich aufrechterhaltenen Hierarchien geprägt, ist heute ein neues Beziehungsideal auf dem Vormarsch. Immer mehr Menschen wünschen sich Beziehungen auf Augenhöhe – oft ohne genau zu wissen, was da dahintersteckt.“

Beziehungen auf Augenhöhe

Und dieser Wandel ist längst nicht mehr allein auf die Beziehung zwischen Mann und Frau beschränkt. Mindestens genauso betroffen sind die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Ärzten und ihren Patienten, ­Pfarrern und ihrer Gemeinde, Politikern und den Bürgern, Führungskräften und ihren Mitarbeitern. Doch was bedeutet dieser Wertewandel für uns als Gesellschaft – vielleicht sogar für uns als Spezies? Wo kommt er her – und vor allem, wo führt er uns hin? Bedeutet er wirklich das Ende aller Hierarchien, wie manche meinen? Oder geht es vielmehr darum, neue Formen des Miteinanders zu entwickeln? Das Ideal der „Beziehungen auf Augenhöhe“ heißt laut Dittmar aber nicht, dass unsere Unterschiede verschwinden. Die große Herausforderung lautet jedoch, wie können wir diese Beziehung leben, ohne die Unterschiede zu verlieren.

Diffusion von Macht

Prof. Sonja Puntscher-­Riekmann, gebürtig aus Margreid, ist Professorin für politische ­Theorie und Politik der EU an der Universität Salzburg. Sie sprach zum Thema „Macht­diffusion, Legitimitätskrise und Suche nach neuer Autorität in Europa“. Das europäische Mehrebenensystem hat laut Puntscher-Riekmann zu einer Diffusion von Macht geführt. „Die Regierungen der Mitgliedstaaten der EU und ihre Bürokratien handeln auf zwei Ebenen und spielen diese gegeneinander aus. Parlamente auf beiden Ebenen sind diesem Spiel kaum gewachsen. Die ­Finanz- und Flüchtlingskrise hat die Problematik verschärft. Dies bildet den fruchtbaren Boden für rechts- und linkspopulistische Parteien, die aus der Ohnmacht und Wut der Bürger und Bürgerinnen ihr Kapital schlagen. Sie agitieren gegen das nationale und transnationale ,Establishment‘, stilisieren sich selbst zu den einzig wahren Repräsentanten des Volkes und erheben neue Führungsansprüche. Ihr Fluchtpunkt ist die Renaissance der Nation und des Nationalstaates, dem allein legi­times Handeln zugesprochen wird.“ Die Referentin forderte eine neue Verfassungsdebatte in Europa, um die Frage der Souveränität zu klären: Was wird auf europäischer, nationaler, regionaler Ebene entschieden? Puntscher-Riekmann: „Wenn wir diese Frage nicht lösen, dann wird der Autoritarismus den Sieg davon tragen. Entweder wird dieses Problem gelöst, oder es gibt in zehn Jahren keine EU mehr.“ Ganz so pessimistisch wollte die Referentin ihren Vortrag nicht beenden. Abschließend betonte sie, dass es positive Ansätze gäbe, die vor allem von der Jugend ­Europas kämen. „Es ist richtig und wünschenswert, wenn die nächste Generation das Wort ergreift.“

Hierarchien im Netz

Prof. Wolfgang Coy von der Humboldt-Universität in ­Berlin sprach über „Hierarchien im Netz“. In den vergangenen Jahrzehnten ist es laut Coy deutlicher geworden, dass gesellschaftliche Strukturen kommunikativ mittels technischer Medien verbunden werden. Briefe und Briefnetze waren früher handschriftliche Bindemittel. Mit der Druckerpresse erweiterten Bücher, aber auch Plakate Radius und Intensität der Kommunikation. Die Netzstruktur der Kommunikation wurde mit optischen und elektrischen Medien sichtbarer. Diese Massenmedien haben eine „hierarchisierte Öffentlichkeit“ erzeugt und verstärkt, die in modernen Demokratien jenseits der klassischen Gewaltenteilung von Parlament, Justiz und Regierung auftaucht. Mit den globalen, digitalen ­Medien auf Basis des Internets scheint sich vieles aufzulösen: Vernetzte Öffentlichkeit reicht inzwischen vom digitalen Leserbrief bis zu zwitschernden Zwischenrufen und die Formierung von Filterblasen, also kommunikativen Clustern ohne Transparenz und ohne Brücken. Diese Entwicklung scheint zusehends herkömmliche Prozesse zur Bildung kontroverser ebenso wie konvergierender öffentlicher Meinung in Frage zu stellen.

„VUCA-Welt“

Den Abschluss der ­Gespräche bildete ein Vortrag von Frank Kohl-Boas, Personalvorstand von Google Deutschland. Er setzte sich mit dem „Führen in den Zeiten der Digitalisierung“ auseinander. Er wies darauf hin, dass wir derzeit in der sogenannten „VUCA-Welt“ leben. Das Akronym „VUCA“ (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) beschreibt die geänderten Rahmenbedingungen, unter denen Unternehmen organisiert und Mitarbeiter geführt werden müssen. Dieser Begriff fasst viel von dem zusammen, was wir in den vergangenen Jahren an Veränderung erleben. Kohl-Boas forderte in seinem Vortrag ein neues Führungs­verständnis. „Bei Google stand bei der Gründung der Mitarbeiter im Mittelpunkt, und zwar nach dem Motto: ,Die Mitarbeiter kommen zuerst – nicht der Kunde‘, denn so wie ich meine Mitarbeiter behandle, so ­behandeln sie meine Kunden.“ Er meinte, Führung sei ein Privileg aber harte Arbeit und Authentizität keine Eigenschaft sondern eine Wirkung. Die von ihm eingeforderte Ambiguitäts­toleranz verlangt nach einem „ja und...“ statt einem „ja aber...“. Laut Kohl-Boas brauchen wir mehr Leitlinien und Prinzipien und weniger Regeln.

Walther Werth
Fotos: Martin Geier

Redaktion

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