Die „Hüterin der Vielfalt“ Manuela Rufinatscha (links) aus Prad (Nutzung und Verarbeitung der Zirbe).
An einer der 19 Schautafeln wird der religiöse Brauch des „Schrockens“ dargestellt, wie er ausschließlich in Karthaus ausgeübt wird.
Benjamin Santer, der Präsident des Kulturvereins
Die Projektleiterin Ricarda Schmidt mit Martha Stieger (Martell), „Hüterin“ des Kräuterwissens.

„Hüter der Vielfalt“

Ausstellung beleuchtet das lebendige Kulturerbe im Vinschgau, Unterengadin und Val Müstair

Publiziert in 13 / 2022 - Erschienen am 19. Juli 2022

Karthaus - Das „Stilzer Pfluagziachn“, die bäuerliche Saatgutgewinnung, der Getreideanbau, das Kräuterwissen, die Weidenflechterei, der Streuobstanbau, die Zucht und Ausbildung von Hütehunden, das Steinmetzhandwerk, die Nutzung und Verarbeitung der Zirbe, das Waalen, die Handweberei, das Schnapsbrennen. Schon allein diese Beispiele zeigen, wie vielfältig, reichhaltig und lebendig das Kulturerbe im Vinschgau, Unterengadin und Val Müstair ist. Dem lebendigen Kulturerbe ist die Wanderausstellung „Hüter der Vielfalt“ gewidmet, die am 15. Juli in Karthaus eröffnet wurde. Anhand von 25 Persönlichkeiten und 19 Beispielen wird das lebendige Kulturerbe in der Region im Kreuzgang der Kartause Allerengelberg dargestellt. Es war Ricarda Schmidt, Archäologin und Expertin für kulturelles Erbe am Institut für Regionalentwicklung von Eurac Research, die sich auf die Suche nach Persönlichkeiten gemacht hatte, die sich um das lebendige Kulturerbe verdient machen. Sie führte viele Gespräche, die sie dokumentierte, auswertete und für die Ausstellung aufbereitete. Wie Ricarda Schmidt, die aus Oberbayern stammt und vor über einem Jahr nach Eyrs gezogen ist, bei der Eröffnung ausführte, sei sie von Anfang an davon begeistert gewesen, wie eng der Bezug vieler Menschen in der Grenzregion zur Natur ist und welchen Wert sie dem althergebrachten Wissen beimessen. Die „Hüter der Vielfalt“, die sie und ihr Team während der Forschungsarbeiten kennenlernten, „verknüpfen mit ihrem Tun viele Werte, die weit über den rein monetären hinausgehen“, sagte die Projektleiterin. Was manchen als altmodische Lebensart erscheinen mag, „ist in meinen Augen moderner und fortschrittlicher denn je.“ Lebendiges Kulturerbe zu identifizieren, das sei in erster Linie die Aufgabe der Gemeinschaften vor Ort, „wir als externe Forscher können lediglich Ideen vorschlagen und einen Dialog anregen.“ Die „Hüter der Vielfalt“ leben außerdem nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit. Die 19 Schautafeln werden von Zitaten und Bildern der Menschen begleitet, die hinter den dargestellten Tätigkeiten stehen. Benjamin Santer, der Präsident des Kulturvereins Schnals, freute sich im Namen der Gemeinde und des Kulturvereins, dass Karthaus als erster Ausstellungsort gewählt wurde. Er erinnerte an den Brauch des Schafübertriebs, der Teil des immateriellen Kulturerbes der UNESCO ist. Einen besonderen Bezug zu Karthaus hat die Ausstellung auch deshalb, weil eine der Schautafeln dem „Schrockn“ gewidmet ist. Diesen religiösen Brauch gibt es nur in Karthaus. Paul Schwienbacher, einem der „Schrocker“, beschreibt den Brauch so: „Wir Schrocker gehen in den Kirchturm, jeder nimmt sich eine der Kirchenglocken, und dann versuchen wir, nach den Vorgaben des Taktgebers, des ‚Dirigenten’, die Glocken gleichzeitig zu schlagen.“ Einen besonderen Dank zollte die Projektleiterin Ricarda Schmidt allen anwesenden Hüterinnen und Hütern der Vielfalt, dem Kulturverein Schnals sowie den Fotofragen Gianni Bodini (Schlanders) und Dominik Täuber (Scuol), die Bilder zur Verfügung gestellt hatten. Die Ausstellung kann noch bis zum 31. Juli in Karthaus besichtigt werden. Am 6. und 7. August wird sie in Laas zu sehen sein (Festival „Marmor und Marillen“), vom 3. bis zum 18. September in Glurns (Palabiratage) und vom 2. bis zum 14. Oktober in der Chasa Jaura in Valchava (Erntedankfest). Das Forscherteam plant außerdem die Veröffentlichung eines Buches zu den „Hütern der Vielfalt“. Die Ausstellung wurde im Rahmen des Interreg Italien-Schweiz-Projekts „Living Intangible Cultural Heritage“ unter der Leitung von Eurac Research realisiert.

Josef Laner
Josef Laner

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