Lorenz Kuntner: „Ich dachte, ich würde sterben, aber ich wollte leben.“
Elf Bücher hat der Mann, „der mit dem Windhauch spricht“, seit 2006 bis 2021 im Eigenverlag herausgebracht.

„Ich dachte, ich würde sterben“

Lorenz Kuntner hat Covid-19 überstanden: „Ich zählte nicht die Tage, sondern die Sekunden.“ Neues Buch „Heimstätte der Wahrheit“.

Publiziert in 11-12 / 2021 - Erschienen am 1. April 2021

Prad - Es war eine Mandelentzündung, die ihn in seinen Jugendjahren dazu zwang, das Krankenhaus aufzusuchen und sich behandeln zu lassen. Entfernen ließ sich Lorenz Kuntner die Mandeln damals aber nicht. Er hatte später zwar manchmal Angina, war sonst aber immer gesund. Zunächst an Angina dachte er auch am 14. Februar dieses Jahres, als er sich unwohl fühlte und Fieber bekam. Weil ein Halsspray und Medikamente, die er zu Hause hatte, nicht halfen, „war mir klar, dass ich jetzt den Hausarzt brauchte.“ Dieser verschrieb ihm Medikamente zur Fiebersenkung, die aber keine Wirkung zeigten. So suchte Lorenz erneut den Arzt auf. Ein Schnelltest ergab, dass er sich mit dem Coronavirus infiziert hatte. Sein Gesundheitszustand wurde immer schlechter: „Ich fühlte mich hundselend. Ich dachte, ich würde sterben, und war heilfroh, dass mich das Weiße Kreuz in das Krankenhaus nach Schlanders brachte.“ 

„Ich wollte nicht sterben“

Rund 3 Wochen lang wurde er in der Covid-Station behandelt, ca. eine Woche davon in der Intensivabteilung. Intubiert werden musste er zwar nicht, „aber für eine bestimmte Zeit setzte man mir eine Sauerstoffmaske auf, die ich zwischen 3 und 4 Stunden am Tag tragen musste.“ Wie viele Tage waren das? Lorenz: „Ich habe nicht die Tage gezählt, sondern die Sekunden.“ Manchmal habe er das Gefühl gehabt, dass ihm die Maske den Kopf zerdrücke. Dabei habe er trotz allem noch Glück gehabt, „denn diese Krankheit erwischt nicht jeden gleich.“ Während er immer bei Bewusstsein war und auch sprechen konnte, sei es einigen seiner Leidensgenossen schlechter ergangen: „Manche brachten keinen Pieps heraus und wurden vom Arzt gebeten, mit den Augen ein Zeichen zu geben, falls sie imstande wären, ihn zu hören.“ Auch das laute Beten von Krankenbettnachbarn hört Lorenz bis heute. Unvergessen bleibt ihm das Gebet eines alten Mannes aus dem Obervinschgau: „Jesus, ich hab dir lieb.“ 

„Ihr habt mir das Überleben ermöglicht“

Nicht müde wird Lorenz, allen zu danken, die im Krankenhaus arbeiten und die ihn betreut und behandelt haben: „Alle sind gleich wichtig, egal ob es die Ärzte sind, die Krankenschwestern oder die Reinigungskräfte.“ Seinen Dank bringt er auch in einem Begleitbrief zu seinem neuen Buch „Heimstätte der Wahrheit“ zum Ausdruck, das er im Eigenverlag herausgebracht hat: „Mein Leben stand auf Messers Schneide. Ärzte, Krankenschwestern und Spitalbedienstete haben mir in höchster Not das Überleben ermöglicht. Ich kann mich wahrlich nicht genug bei allen Nothelfern bedanken.“ Als Künstler und Kulturschaffender ringe er andauernd „mit der Verwirklichung des Phantastischen im Allgemeinen.“ In seinen bisher insgesamt elf Büchern „spiegelt sich Literarisch-Philosophisches“. Allerdings will Lorenz Kuntner seine Bücher nicht mehr im eigenen Haus in der „Schmelz“ in Prad „verschimmeln“ lassen, sondern gibt sie frei, „wesentlich unterhalb meines Selbstkostenpreises.“

„Nimm und lies“

Seine Schlussworte: „Ich sage nur dies: Nimm und lies. Und lebe dein Leben, das dir gegeben.“ Das Gefühl für die Sprache hat Lorenz seiner Grußmutter väterlicherseits zu verdanken: „Die ‚Neina’ war die wichtigste Person in meinem Leben. Sie hat mir in der alten Stube immer laut vorgelesen. Die Dolomitensagen, Bücher von Karl May, Goethe und vielen anderen. Erst mit 15 Jahr habe ich begonnen, selbst zu lesen.“ Die „Neina“ Maria war Lehrerin während der k. u. k. Monarchie und hat später u.a. auch als Kindermädchen in Livorno gearbeitet. Die Zeiten waren damals karg. „Wir hatten ein paar Ziegen, zwei Schweine und einige Hennen. Mehr ging sich nicht aus, denn wir hatten keinen einzigen Quadratmeter Grund“, erinnert sich Lorenz. Aufhupfen durften die Kinder in der Stube nicht, denn das hätte die Decke nicht ausgehalten und sie wären im Stall darunter gelandet. „Es ist schon gewaltig, wie sich die Zeiten seit meiner Kindheit bis jetzt gewandelt haben“, blickt der Mann, „der mit dem Windhauch spricht“, zurück. Er sieht den Sinn des Lebens im Glücklichsein. Von der Devise „immer mehr und immer weiter“ hält er wenig. Da seien ihm die Natur und die Geheimnisse dahinter viel lieber. Er sei bis heute ein Suchender geblieben. 

„Jeder Fund ist eine Erfüllung“

Schon seit Jahren sammelt er Geweihe, Knochen, Steine und besonderes Gehölz: „Jeder Fund ist eine Erfüllung.“ Sein Haus und die unmittelbare Umgebung strotzen nur so von Totempfähle, bemalten Steinen und Skulpturen aus weggeworfenen Materialien. Seit der Entlassung aus dem Krankenhaus muss er sich allerdings etwas zurücknehmen: „Die Lungen sind nicht mehr so wie sie waren, aber ich hoffe, dass sich auch das bessern wird.“ Auch mit dem Schlafen habe er noch etwas Probleme. Und was ist sein Fazit nach der überstandenen Covid-19-Erkrankung? Lorenz: „Die Gesundheit ist das Wichtigste und jeder Mensch sollte darauf achten. Wie dumm muss man nur sein, seine Gesundheit mit Gewalt hinzurichten, zum Beispiel mit Rauchen.“ Die Covid-Erkrankung habe ihm klar vor Augen geführt, „dass wir alle dem Tod entgegengehen und wir uns fragen sollen, warum wir auf der Welt sind und wie wir uns selbst verwirklichen wollen.“ Er für seinen Teil habe gelernt, dass alles Materielle im Grunde keinen Wert hat: „Ich bin 1953 geboren, gehe langsam auf die 70 zu und verstehe immer besser, wie recht mein Vater hatte, als es mir sagte: Merk dir eines, auch vom Dümmsten kannst du etwas lernen.“ Jeder sei auf jeden angewiesen, alle hängen mit allen zusammen. Jeder Mensch habe Fähigkeiten und Gaben, die Wertschätzung verdienen. 

„Ein Viruslein“

Eines der Gedichte im neuen, 428 Seiten umfassenden Buch hat Lorenz Kuntner dem Virus gewidmet. Ein Auszug daraus: „Ein Viruslein, so winzig klein, schleicht gottgegeben in unser aller Leben. Will sich vermehren, will uns belehren, dass Geld allein die Rettung kann nicht sein. Mit allem vernetzt, starrt man entsetzt in ein Gerät von früh bis spät.“ Zu den kleineren Sorgen von Lorenz gehören die Mäuse, die ihm während seines Aufenthaltes im Spital viele der eingesammelten Federn gefressen hatten. Aber er wird wieder neue Federn finden. Und es wird bald auch wieder wärmer werden in der „Schmelz“, wo der Schnee nur langsam schmilzt und die Sonne 6 Monate im Jahr im „Urlaub“ ist. Und noch etwas nimmt sich Lorenz vor: „Etwas weniger zu sprechen, ich rede einfach zu viel.“

Josef Laner
Josef Laner

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.