Sarah Wiener und Alexander Agethle in der Hofkäserei Englhorn in Schleis
David Frank
Armin Bernhard
Martina Hellrigl

In welche Richtung schlägt das Pendel aus?

Sarah Wiener: „Ökologische Landwirtschaft und nicht noch mehr Künstlichkeit“

Publiziert in 20 / 2021 - Erschienen am 10. Juni 2021

Mals - Einen geeigneteren Ort, um über gesunde, frische und unbehandelte Lebensmittel zu reden, hätte man kaum wählen können: im Freien vor dem Bistro vinterra der Sozialgenossenschaft vinterra in Mals sprach die Europaparlamentarierin Sarah Wiener am 29. Mai über das, was in der industriell betriebenen Landwirtschaft seit langer Zeit weltweit schiefläuft und in welche Richtung das Pendel ausschlagen muss, damit es auch in Zukunft noch gesunde, frische, ungiftige und vielfältige Lebensmittel aus gesunden Böden gibt. Die aus Nordrhein-Westfalen stammende österreichische Unternehmerin, Fernsehköchin und Autorin hatte bei den Europawahlen 2019 als Parteilose für die österreichischen Grünen kandidiert und wurde zur Abgeordneten gewählt.

Bio-Gemüse auf 4 Hektar

Willkommen geheißen wurden Sarah Wiener von Martina Hellrigl, der Vorsitzenden, der Sozialgenossenschaft vinterra, und von Armin Bernhard vom Vorstand der Bürgergenossenschaft Obervinschgau „da“. vinterra betreibt seit 5 Jahren auf einer Gesamtfläche von mittlerweile rund 4 Hektar ökologischen Landbau. Zusätzlich zum Anbau und dem Verkauf biologischer Produkte aus der Region wurde vor eineinhalb Jahren das Bistro vinterra eröffnet, und zwar auf der Grundlage eines biologisch und regional ausgerichteten Konzeptes. vinterra hat sich zum festen Bestandteil einer ökologisch-sozialen Bewegung im Obervinschgau entwickelt. Es wurden und werden auch Arbeits- und Praktikumsplätze für sozial benachteiligte Personen geschaffen, die in den Bereichen Landwirtschaft, Gastronomie und Dienstleistung mitarbeiten. Martina Hellrigl freute sich, dass das Bistro nach den pandemiebedingten Sperrphasen endlich wieder geöffnet werden konnte, auch für Veranstaltungen. Es werde ab nun weitere Kultur-, Kunst- und Kulinarik-Veranstaltungen geben. Den Abend mit Sarah Wiener hat David Frank aus Matsch mit seiner Harmonika umrahmt.

Liebe für Lebensmittel

„Es war die Liebe für Lebensmittel, die mich in die Politik geführt hat,“ sagte Sarah Wiener vor dem interessierten Publikum. Für einige Tage nach Südtirol gekommen sei sie deshalb, um den famosen „Pestizidprozess“ in Bozen zu beobachten, bei dem am Tag zuvor der Buchautor Alexander Schiebel freigesprochen worden war. Der Prozess wegen übler Nachrede gegen Karl Bär vom Umweltinstitut München wurde hingegen auf Oktober vertagt, weil sich 2 von 1.376 Landwirten geweigert hatten, die Strafanzeigen zurückzuziehen. Als die EU-Abgeordnete am Nachmittag des 28. Mai die Hofkäserei Englhorn in Schleis besichtigte und mit dem Betriebsleiter Alexander Agethle ins Gespräch kam, war sie dermaßen beeindruckt, dass sie es zeitlich nicht mehr schaffte, den Sockerhof in Mals zu besichtigen, von dem sie sicher ebenfalls begeistert gewesen wäre, denn dort wird das praktiziert, wofür Sarah Wiener einsteht und kämpft, sprich eine ökologische Landwirtschaft. Beim Sockerhof gibt es frisches, regionales und unbehandeltes Gemüse. Dringend verändert werden müsste laut Wiener die Gemeinsame Agrarpolitik, kurz GAP, der Europäischen Union. Die GAP stellt mit rund 40% des Gesamtbudgets der EU den zweitgrößten Haushaltsposten der Gemeinschaft dar. Für die Periode 2021 bis 2027 sind ca. 365 Milliarden Euro an Förderungen eingeplant. Das wichtigste Förderkriterium sei laut Wiener leider immer noch das Ausmaß der Fläche: „Je mehr Fläche, umso mehr Geld.“ Im Gegensatz zu großen Agrarunternehmen hätten die Kleinbauern in Brüssel keine Lobby. Die Agrarlobby hingegen übe starken Einfluss auf die EU-Agrarpolitik aus. Behauptungen, wonach es noch nie so viele und gesunde Lebensmittel gegeben habe wie heute, zerpflückte Sarah Wiener Punkt für Punkt. Von der einstigen Vielfalt sei nur mehr sehr wenig übriggeblieben: „In einem normalen Supermarkt werden Sie höchstens Produkte von rund 10 global agierenden Lebensmittelkonzernen finden.“ Viele Sorten seien vom Aussterben bedroht. „Uns geht die Vielfalt verloren, das Wissen und auch die Kochkunst“, mahnte Wiener. Zum Thema Sicherheit der Lebensmittel, meinte sie: „Wie kann etwas sicher sein, wenn wir nicht wissen, was drin ist? Über viele Zusatzstoffe und auch Pestizide wissen wir viel zu wenig Bescheid, weil es kaum unabhängige Studien gibt.“

Für ökologische Landwirtschaft

„Wir essen seit 40 bis 50 Jahren Dinge, die unser Stoffwechsel nicht kennt,“ gab Wiener zu bedenken. Zusatzstoffe in Lebensmitteln würden z.B. das Mikrobiom im Darm beeinflussen und Darmbakterien hätten einen direkten Einfluss auf den Fettstoffwechsel. Nichts abgewinnen kann die Politikerin der Aussage, „dass man nur so viele Pestizide einsetze wie unbedingt notwendig.“ Es sei keineswegs notwendig, Pestizide einzusetzen, „denn es gibt eine Alternative zum herkömmlichen System und die heißt ökologische Landwirtschaft.“ Obwohl sie ein klassisches „Biomädchen“ sei, „pinkle sogar ich Glyphosat. Ich habe das untersuchen lassen.“ Zusammenfassend meinte die Starköchin, dass es darum gehe, das Pendel in die richtige Richtung ausschlagen zu lassen: „Wollen wir noch mehr Künstlichkeit als heute oder wollen wir gesunde Lebensmittel aus gesunden Böden mit sauberem Wasser?“ Für sie sei es sehr spannend, „etwas zu verteidigen, was uns verloren geht: die Lebensqualität.“

Josef Laner
Josef Laner

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