Kampf um die Chirurgie
Publiziert in 40 / 2014 - Erschienen am 12. November 2014
Noch ist nichts entschieden. „Herabstufung“ als
Tagesklinik hätte gravierende Folgen
Schlanders - Die Zukunft des Krankenhauses Schlanders stand bei der Bürgerversammlung am 4. November im Kulturhaus in Schlanders erneut im Fokus der Diskussion. Wie sehr der Bevölkerung des Vinschgaus sowie allen 13 Gemeindeverwaltungen nicht nur der Erhalt der Geburtenstation am Herzen liegt, sondern auch der Weiterbstand der Chirurgie und der weiteren Abteilungen des Krankenhauses, bekam nicht nur Landeshauptmann Arno Kompatscher in aller Deutlichkeit zu hören, sondern auch Landesrätin Martha Stocker, die sich kurzfristig entschlossen hatte, sich der Diskussion zu stellen. Neben vielen Teilnehmern aus der Gemeinde Schlanders waren auch zahlreiche Bürger aus anderen Gemeinden gekommen. Am Eingang verteilten Krankenhaus-Mitarbeiter Aufkleber und Broschen, mit denen zum Ausdruck gebracht wird, dass alle wesentlichen Abteilungen im Krankenhaus erhalten bleiben müssen, und zwar von der Medizin und Chirurgie über die Orthopädie und Anästhesie bis hin zur Gynäkologie, Geburtshilfe und Pädiatrie.
„Jeder Einschnitt
hätte negative Folgen“
Der Schlanderser Bürgermeister Dieter Pinggera brachte einleitend im Namen aller Vinschger Bürgermeister erneut alle Fakten und Argumente auf den Punkt, die dafür sprechen, dass im Schlanderser Krankenhaus nach allen bisher getätigten Einsparungen und Rationalisierungen keine weiteren Einschnitte mehr vorgenommen werden dürfen. „Alle Argumente, mit denen wir für den Erhalt der Geburtenstation ins Feld ziehen, gelten umso mehr auch für die Chirurgie als Dreh- und Angelpunkt eines jeden Krankenhauses“, sagte Pinggera. „In Schlanders kann eigentlich gar nichts mehr eingespart werden.“ Das Argument, wonach Schlanders auf keinen Fall mit Sterzing oder Innichen verglichen werde könne, sondern wenn schon mit Bruneck, untermauerte Pinggera auch mit Zahlen: „Auf das Krankenhaus Schlanders entfallen ca. 2,5% des Gesundheitsbudgets, wobei aber eine Landesfläche von 20% und ein Bevölkerungsanteil von 7,6% – ohne Naturns – versorgt werden.“ Abgesehen von der geografischen Lage – allein die Hauptachse von Reschen bis Meran erstreckt sich auf 80 km – sei das Krankenhaus im strukturschwachen und zum Teil abwanderungsgefährdeten Vinschgau auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. „Jede Kürzung und jeder Einschnitt hätte negative Folgen“, schlussfolgerte Pinggera. Außerdem wäre es nicht nachvollziehbar, „dass auf der einen Seite der Bettentrakt mit 16,8 Millionen Euro erneuert wird, und wir auf der anderen Seite Gefahr laufen, Dienste und Abteilungen zu verlieren.“ In diesem Sinne gelte es vor allem die Chirurgie abzusichern. Eine tagesklinische Umstellung käme einer nicht tragbaren Aushöhlung gleich.
Solidarität aus Meran
Erfreut gab sich Pinggera, dass sich auf der Führungsebene des Krankenhauses Meran in allen wesentlichen Punkten mit den Argumenten und Anliegen der Vinschger Bürgermeister solidarisch zeige. Landeshauptmann Arno Kompatscher erläuterte die Eckpfeiler der Gesundheitsreform. Dass es eine solche überhaupt brauche, stehe angesichts der Alterung der Bevölkerung und der zu erwartenden Zunahme an Leistungsanfragen außer Zweifel. „Wenn wir nicht vorausschauen und als Politiker nicht den Mut haben, die Reform jetzt anzugehen, werden die Kosten nicht nur steigen – was sie übrigens weiterhin werden – sondern explodieren“, so Kompatscher. Ziel sei es, die medizinische Grundversorgung im ganzen Land sicherzustellen, die Basismedizin neu auszurichten, die Grundversorgung im Territorium zu stärken, massiv bei der Verwaltung einzusparen und auch die Dienste in den Krankenhäusern zu überprüfen und zu überdenken, und zwar beginnend beim Landeskrankenhaus in Bozen. Auch für Schlanders werde ein Vorschlag auf den Tisch kommen, sobald die Vorschläge und Stellungnahmen aller Beteiligten, inklusive der Ärzteschaft und Mitarbeiter, eingeholt und von Fachleuten bewertet sein werden. „Wir wollen uns als Politiker nicht drücken und werden möglichst rasch entscheiden. Die perfekte Lösung wird es nicht geben und es wird am Ende nicht allen alles gefallen,“ sagte Kompatscher. Oberstes Ziel sei es, „in Südtirol auch in Zukunft ein funktionierendes Gesundheitssystem mit qualitativ hochwertigen Diensten zu haben.“ Dies sei auch der Grund, „warum wir alle Diskussionen sehr ernst nehmen, auch die heutige Debatte hier in Schlanders.“
„Dann wäre die Chirurgie praktisch abgeschafft“
Bei der Diskussion meldeten sich neben besorgten Bürgern aus dem ganzen Tal auch Primare, Fachärzte, Allgemeinärzte und Krankenhausmitarbeiter zu Wort. Mehrfach geäußert wurde, dass die Chirurgie mit einer Umstellung auf Tagesklinik praktisch abgeschafft würde. Es würden kaum noch Ärzte nach Schlanders kommen. Alles andere als eine Einsparung wäre es, bei einem Erhalt der Geburtenstation den nächtlichen Aktivdienst aufrecht zu erhalten und zugleich nachts keinen Blinddarm mehr operieren zu dürfen. Die Basismediziner seien zum Teil 24 Stunden im Dienst bzw. in Bereitschaft. Im Obervinschgau zum Beispiel werden ca. 80% der Palliativpatienten und chronisch Kranken zu Hause betreut. „Wo ist hier das Territorium zu stärken?“ hieß es. Und noch viele weitere Fragen bzw. Feststellungen wurden geäußert: Muss man künftig bei Fällen, in denen es um Minuten geht, wie etwa bei einem Blinddarmdurchbruch, nach Meran? Müssen in Zukunft auch ältere Menschen aus Wohn- und Pflegeheimen für zwischenzeitliche Krankenhausaufenthalte nach Meran gebracht werden? Wird das Krankenhaus zur Tagesklinik, ist es um die Erreichbarkeit als wichtiges Kriterium der Grundversorgung so gut wie geschehen. Wäre es nicht möglich, die Chirurgie noch weiter zu auszubauen anstatt sie herabzustufen? Brächten mehr Frauen aus dem Raum Naturns ihre Kinder in Schlanders zur Welt, könnten die Geburtenstation in Meran entlastet und die Geburtenzahl in Schlanders gesteigert werden. Dass eine Reform notwendig ist, wurde zwar mehrfach betont, doch man sollte sich zum Beispiel auch Gedanken darüber machen, wie die Krankenhäuser private Einnahmen generieren können.
„Einiges stimmt nachdenklich“
Martha Stocker ging auf den Großteil der Fragen und Stellungnahmen ein. „Einiges stimmt nachdenklich und in bestimmten Punkten haben Sie wahrscheinlich Recht“, räumte die Landesrätin ein. Befürchtungen, wonach das Krankenhaus geschlossen werden könnte und es insofern paradox sei, viel Geld für die Sanierung des Bettentraktes auszugeben, seien laut Stocker nicht begründet: „Wir schließen hier nicht, das Krankenhaus wird weiterhin bettenführend sein.“ Auch für ältere Menschen werden künftig Aufenthalte in Schlanders möglich sein. Eine tagesklinische Umstellung der Chirurgie stehe allerdings als Vorschlag im Raum. Von den Räumen her sei die Kapazität in Meran gegeben. Zu den Allgemeinärzten meinte Stocker, „dass wir zum Teil vorbildliche Situationen haben, zum Teil aber auch nicht.“ Die Anzahl der auszubildenden Hausärzte sei zu erhöhen. Auf offene Kritik und Unverständnis stieß Stockers Antwort zum Thema Blinddarmdurchbruch. Stocker verwies diesbezüglich auf den gut funktionierenden Rettungsdienst und die Flugrettung, die auch für Nachtflüge ausgestattet werden soll. Die Anregung, vermehrt private Einnahmen zu generieren, teilte Stocker. Ebenso räumte sie ein, dass es schwer werden könnte, die orthopädischen Eingriffe, wie etwa Hüftoperationen, die seit etlichen Jahren in den sogenannten kleinen Krankenhäusern durchgeführt werden, zu kompensieren. Wie Stocker hielten auch Arno Komptascher und Dieter Pinggera fest, dass man sich derzeit noch in der Diskussionsphase befinde. „Es sind noch keine formellen Entscheidungen gefallen“, präzisierte Pinggera. Und er zeigte sich zuversichtlich: „Die Bezirksgemeinschaften Burggrafenamt und Vinschgau führen derzeit einen sehr offenen und konstruktiven Dialog. Wir arbeiten an einem Vorschlag, der keine wesentlichen Einschnitte für Schlanders vorsieht. An diesem Vorschlag wird Martha Stoker nicht vorbeikommen.“
Lob von Kompatscher
Im zweiten Versammlungsteil stellte Dieter Pinggera im Beisein seiner Mitverwalter die vielen Vorhaben, Projekte und Initiativen vor, die von der Gemeindeverwaltung seit den Wahlen 2010 bis jetzt durchgeführt bzw. auf den Weg gebracht wurden. Die Palette reichte vom Erwerb des Kasernenareals, dem Bau von Photovoltaikanlagen, der Sicherstellung der Finanzierung für die Erweiterung der technischen Fachoberschule und der Sanierung des Bürgerheims bis hin zur geplanten Potenzierung der Wasserkraftnutzung in Schlandraun und unzähligen weiteren Vorhaben unterschiedlicher Natur im Hauptort und in den Fraktionen. Vieles sei im Rahmen des Entwicklungskonzeptes „Schlanders 2020“ umgesetzt worden. „Selbst Gemeinden in fortgeschrittenen Teilen Europas würden erblassen, wenn sie hören würden, was sich in der Gemeinde Schlanders in den vergangenen Jahren getan hat“, sagte Kompatscher und sprach dem Gemeindeausschuss und Gemeinderat ein großes Kompliment aus. Verteidigt hat der Landeshauptmann das Finanzierungsabkommen mit dem Staat. Eine Abfuhr erteilte er jenen Parteien und Bewegungen, die den Menschen Illusionen verkaufen, wie etwa jene der Selbstbestimmung. „Wir dürfen nicht alle Errungenschaften über Bord werfen, sondern müssen die Autonomie weiterhin ausbauen und stärken.“ Eine Selbstbestimmung sei nicht realistisch, nicht zukunftsfähig und nicht europäisch. Wer das Gegenteil behaupte, betreibe lediglich Wahlkampf. Zur oft zitierten Vorhaltung „Bei der Gesundheit und anderen wichtigen Dingen wird gespart, beim Flugplatz aber nicht“ hielt Kompatscher fest: „Das Gesundheitswesen kostet jährlich 1.140 Mio. Euro. Der Flugplatz kostet 2,8 Mio. im Jahr. Wenn es gelingt, eine Flugverbindung nach Süden und nach Norden auf die Beine zu stellen, könnten die Jahreskosten auf unter eine Mio. gedrückt werden.“ Für viele Dienste werde viel gezahlt, für die Busdienste z.B. über 80 Mio. im Jahr. Der Flugplatz sei wichtig, nicht nur für den Tourismus, sondern die gesamte Wirtschaft. Ihn jetzt zusperren wäre völlig falsch. Sepp

Josef Laner