Der Weiler Arlund („Zrlund“) vor der Seestauung.
Auf diesem Foto von Anfang Juni 2024 sind im Bildvordergrund die Überreste der alten Straße von Arlund nach Graun zu erkennen.
Der 79-jährige Otto Fritz und seine 83-jährige Schwester Erna am 13. Juni 2024.
Erna und Otto mit ihren Eltern Albin und Lina in der Mitte der 1960er Jahre.

Kurz aufgetaucht und wieder verschwunden

Publiziert in 12 / 2024 - Erschienen am 2. Juli 2024

Graun - Mittlerweile ist der Reschenstausee wieder ziemlich mit Wasser gefüllt. „Es ist unglaublich, wie schnell das Wasser kommt“, staunte die Graunerin Erna Fritz Wwe. Plangger, als sie am 13. Juni von Neu-Graun aus auf den See blickte. Zu dieser Zeit war der Wasserpegel bereits deutlich gestiegen, obwohl die Schleusen erst 6 Tage zuvor geschlossen worden waren. Wie berichtet, war der Stausee auch während des heurigen Frühjahrs aufgrund der Dammaufschüttungsarbeiten so gut wie leer. Vor allem bei älteren Menschen aus der Gemeinde Graun hat die „Mondlandschaft“, zu der sich der See während der mehrmonatigen Arbeiten verwandelt hatte, Erinnerungen geweckt. Erinnerungen an die Zeit vor, während und nach der Seestauung. Erna, geboren am 4. Mai 1941 im Weiler Arlund zwischen Graun und Reschen, im Volksmund „Zrlund“, war 9 Jahre alt, als es 1950 zur ersten Vollstauung kam. Sie sah, wie das Wasser langsam anstieg. „Weggezogen sind wir am 20. Juli“, erinnert sich Erna. Auch ihr Bruder Otto, geboren am 9. Mai 1945, hat noch vage Erinnerungen an dieses Schicksalsjahr. Die Eltern von Erna und Otto, Albin Fritz und Lina Prieth, zogen mit ihren Kindern nach Meran. Die Hennen wurden in die Kurstadt mitgenommen. „Meran ist eine Zukunft, aber nicht Graun.“ Diesen Satz seines Vaters hat Otto bis heute im Gedächtnis behalten. Am Ende hat es nur rund drei Jahre gedauert, bis die Familie in die alte Heimat zurückkehrte, allerdings nicht nach „Zrlund“, sondern nach Neu-Graun, wo es der Familie gelang, ein neues Zuhause aufzubauen. Immer, wenn Erna im heurigen Frühjahr zwischen Graun und Reschen unterwegs war, schaute sie auf die Überreste der einstigen Straße von „Zrlund“ nach Graun: „Das war der Weg der ‚Zrlunder’ Kinder zur Volksschule nach Graun, den wir bei jedem Wetter zurücklegten“, erinnert sich Erna. Als Schutz vor der Kälte im Winter hat man Unterwäsche und Socken aus Schafwolle getragen. „Und vor Krankheiten schützte man die Kinder mit je einer Knoblauchzehe, die uns an einem Band um den Hals gehängt wurde“, erinnert sich Otto. In jungen Jahren gehörte er übrigens zum Arbeiter-Trupp, der im Schnalstal den Vernagt-Stausee baute. Während des Militärdienstes machte Otto den Führerschein und war anschließend 7 Jahre lang SAD-Chauffeur. Später widmete er sich vielen weiteren Tätigkeiten. Lange Zeit war er auch Almmeister. Der Mann von Erna, Peppi Plangger, geboren am 5. März 1933 und gestorben am 11. April 2014, war übrigens einer der letzten wahren Zeitzeugen von Alt-Graun. Seine und die Erinnerungen weiterer Zeitzeuginnen und Zeitzeugen haben Georg Lembergh und Hansjörg Stecher im Dokumentarfilm „Das versunkene Dorf“ verewigt. Unter dem gleichnamigen Titel ist auch ein Buch von Brigitte Maria Pircher und Georg Lembergh erschienen. Hand in Hand mit dem Anstieg des Wasserspiegels sind die alte Straße von „Zrlund“ nach Alt-Graun sowie weitere Überreste von Alt-Graun, der einstigen Weiler Arlund, Piz und Gorf sowie der Stockerhöfe in St. Valentin auf der Haide wieder im Stausee versunken, und das voraussichtlich für immer, denn zu weiteren außergewöhnliche See-Absenkungen, wie es sie in den vergangenen Jahren gab, soll es in Zukunft nicht mehr kommen. Was bleibt, ist der Turm im See. Und die Erinnerungen in den Köpfen immer weniger Menschen.

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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