Zu den Besonderheiten des Vinschgaus in punkto Biodiversität gehört unter anderem der Sonnenberg mit seinen steppenartigen Trockenrasen und Weideflächen.
Andreas Hilpold koordiniert das Biodiversitätsmonitoring Südtirol

„Landschaft nicht weiter ausräumen“

Wie ist es um die Biodiversität im Vinschgau bestellt? Interessante Einblicke von Andreas Hilpold.

Publiziert in 3 / 2022 - Erschienen am 15. Februar 2022

Vinschgau - Die Landschaft nicht weiter ausräumen, die Strukturvielfalt erhöhen, die intensive Landwirtschaft ökologisieren und Lebensräume mit einem hohen Naturwert erhalten. Dies waren einige der Kernaussagen des Biologen Andreas Hilpold bei einem sehr gut besuchten Online-Vortrag am 10. Februar. Hilpold war in seiner Funktion als Koordinator des Biodiversitätsmonitorings Südtirol von der Umweltschutzgruppe Vinschgau in Zusammenarbeit mit der Vereinigung Südtiroler Biologen und dem Bezirk Vinschgau des Heimatpflegeverbandes eingeladen worden, um das Projekt des Biodiversitätsmonitorings, das 2019 angelaufen ist, vorzustellen und im Besonderen den Istzustand der Biodiversität im Vinschgau aufzuzeigen. „Viele Pflanzen und Tiere sind weltweit vom Aussterben bedroht. Dass der Mensch für den Rückgang der Biodiversität eine entscheidende Rolle spielt, steht außer Frage und Südtirol ist keine Ausnahme“, schickte Eva Prantl von der Umweltschutzgruppe im Namen der Veranstalter voraus.     

Mehr als nur Artenvielfalt

Wie Hilpold einleitend ausführte, umfasst der Begriff Biodiversität nicht nur die Artenvielfalt der Pflanzen und Tiere, sondern auch die genetische Vielfalt sowie die Vielfalt von Lebensräumen und Ökosystemen. In Südtirol gibt es ca. 30.000 Tier- und 5.000 Pflanzenarten sowie mehrere Tausend Pilze. Bei rund 20.000 Tierarten handelt es sich um Insekten. Ins Leben gerufen wurde das langfristig angelegte Biodiversitätsmonitoring von der Landesregierung. Projektpartner sind Eurac Research (Institut für Alpine Umwelt), das Naturmuseum Südtirol, mehrere Abteilungen des Landes, das Versuchszentrum Laimburg, die Freie Universität Bozen und die Universität Innsbruck. Das Biodiversitätsmonitoring-Team ist Mitglied der Plattform Biodiversität Südtirol. „Heuer beginnt die vierte Erhebungssaison“, sagte Hilpold. Es brauche viel Zeit, um herauszufinden, wie und wo sich die Biodiversität verändert und warum. Erst nach Jahren und nach einem erneuten Untersuchungszyklus werden man imstande sein, Trends und Ursachen festzustellen.

Wo und was wird erhoben?

Untersucht wird die Biodiversität landesweit an 320 Standorten in einem Zeitraum von 5 Jahren. Pro Jahr werden 64 Einzelstandorte unter die Lupe genommen. Die Größe der Erhebungsflächen reicht von 100 bis zu 400 Quadratmetern. Wiesen und Weiden sind ebenso Gegenstand der Untersuchungen wie Äcker und Dauerkulturen, Wälder, Fließgewässer, Feuchtlebensräume, Siedlungsgebiete und alpine Lebensräume. Erhoben werden Gefäßpflanzen, Moose und Flechten, Vögel, Fledermäuse, Heuschrecken, Tagfalter, Käfer, Wanzen und weitere Insektengruppen, Spinnen und andere Wirbellose sowie die Süßwasserfauna.

Erste Ergebnisse

Auch mit ersten Ergebnissen wartete der Projektkoordinator auf. Bei den Gefäßpflanzen zum Beispiel zeigte sich deutlich, dass die Artenanzahl auf extensiven Mähwiesen und auf Weiden rund doppelt so hoch ist wie z.B. in Weinbergen oder auf intensiven Mähwiesen. Noch geringer ist die Artenvielfalt in Obstanlagen. Betrachtet man das Auftreten von Heuschrecken, so sind solche in Obstanlagen kaum zu finden. Etwas ausgeglichener ist das Vorkommen der Vogelarten. Bei den Tagfaltern indessen sind die Unterschiede der Artenanzahl groß. Gibt es auf Mähwiesen und Weiden bis zu 20 und mehr Tagfalterarten, sind sie in Obstanlagen kaum präsent. Bei den Fledermäusen hingegen weisen Obstanlagen, Feuchtgebiete, Weinberge, Weiden und auch Siedlungen in etwa dieselbe Artenanzahl auf. Feuchtgebiete, wie z.B. die Prader Sand, die Schgumser Möser, die Schludernser Au und andere sind laut dem Biologen auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie vielen Rote-Liste-Arten einen Lebensraum bieten.

Intensive Landwirtschaft als Problemfaktor

Unbestritten ist laut Hilpold, dass die Biodiversität stark von der Intensivierung der Landwirtschaft bedingt wird. Sowohl bei den Gefäßpflanzen als auch bei den Vögeln, Tagfaltern und Heuschrecken sei die intensive Landwirtschaft der Hauptfaktor in diesem Sinn, gefolgt vom Auflassen der Nutzung, wie etwa der Nutzung von Weiden. Zu den Besonderheiten im Vinschgau gehören der Sonnenhang, sprich die steppenartigen Trockenrasen, und auch die Feuchtgebiete. „Wenn man den Talgrund im Vinschgau betrachtet, so ist dieser stark von den Obstanlagen geprägt. Die wenigen Feuchtgebiete sind wie kleine Inseln in der Agrarlandschaft,“ sagte der Biologe. Seiner Meinung nach würde sich auch die Prader Sand einen Natura-2000-Schutz verdienen. Den vielleicht wichtigsten Schlüssel für den Erhalt bzw. die Steigerung von Biodiversität sieht Hilpold in der Strukturvielfalt: „Es soll nicht jeder Baum, jede Hecke, jedes alte Gebäude, jeder Holz- oder Steinhaufen verschwinden.“ Mit einer guten Raumordnungspolitik sollte die Ausräumung der Landschaft gestoppt werden. Die Strukturvielfalt gelte es besonders dort, wo sie kaum noch vorhanden ist, zu erhöhen. Grundsätzlich zu hinterfragen sei das Instrument der sogenannten Bagatell-Eingriffe im Landschaftsbereich. Lebensräume mit hohem Naturwert sollten als besonders erhaltenswert eingestuft und geschützt werden. Von einer weiteren Öffnung geschlossener Waldgebiete riet Hilpold dringend ab. 

Obstbau ökologisieren 

Mager-, Feucht- und Streuobstwiesen, strukturreiche Weiden und andere extensiv bwirtschaftete Landwirtschaftsflächen gelte es zu erhalten und zu fördern. Beizubehalten gelte es eine angepasste Beweidung in Trockenhängen und in Weiden unterhalb der natürlichen Waldgrenze. Der Obstbau müsse ökologisiert und der Einsatz von Pestiziden eingeschränkt werden. „Auch in Siedlungsräumen müssen wir Vielfalt zulassen und ein gewisses Maß an Unordnung akzeptieren“, so Hilpold.

Spezialprojekt „Schneewinkel“

Ein Spezial- und zugleich Pilotprojekt im Rahmen des Biodiversitätsmonitorings ist das Projekt „Schneewinkel“. Der „Schneewinkel“ ist eine Apfelanbauzone in Schlanders, wo Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt gesetzt werden sollen. Projektpartner sind die Laimburg, der Beratungsring und die Vinschger Obstwirtschaft (VIP bzw. GEOS). Der „Schneewinkel“ ist von intensiven Obstkulturen geprägt. Hecken und Wiesen sind nur stellenweise vorhanden. Die Fauna unterscheidet sich daher nicht wesentlich von anderen Obstbaugebieten. Besonders arm ist laut Hilpold die Tagfalterfauna: „Es dominieren bei allen untersuchten Gruppen weitverbreitete Generalisten und stresstolerante Arten.“ Verbesserungsmaßnahmen wurden bis dato noch keine gesetzt. Wie Leonhard Wellenzohn im Rahmen der Diskussion einräumte, sei man mit dem Projekt bisher nur sehr schleppend vorangekommen. Nun soll sich das ändern, denn die VIP (Vinschger Produzenten für Obst und Gemüse) hat erst kürzlich eine Nachhaltigkeitsbeauftragte eingestellt, die u.a. auch die Leitung und Koordination des Projektes „Schneewinkel“ übernehmen soll. Bei der Diskussion wurde u.a. auch angeregt, dass öffentliche Verwaltungen, wie etwa Gemeinden oder Fraktionen, in Sachen Biodiversität mit gutem Beispiel vorangehen und selbst entsprechende Maßnahmen setzen sollten. Gelegenheiten und Möglichkeiten dazu gebe es mehr als genug. Abgeschlossen hat Eva Prantl den Online-Abend, zu dem sich über 100 Interessierte zugeschaltet hatten, darunter auch etliche Bürgermeister, mit dem Hinweis, dass der Schutz der Umwelt, der Biodiversität und der Ökosysteme in Italien seit wenigen Tagen Verfassungsrang hat.

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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