Organisatoren und einige Referenten (v.l.): Walter Gostner (Patscheider & Partner GmbH), Bettina Geisseler (Anwaltskanzlei GEISSELER LAW), Rudi Rienzner (Südtiroler Energieverband SEV), Anton Schleiss (Ecole polytechnique fédérale de Lausanne), Alexander Speckle (TIWAG-Tiroler Wasserkraft AG) und Dietmar Thomaseth (TIQU-Tiroler Qualitätszentrum für Umwelt, Bau und Rohstoffe sowie Präsident IBI-Euregio Kompetenzzentrum).
Im Mittelpunkt der Tagung standen die Innovationen im Wasserkraftsektor.

Luft nach oben

Das Innovationspotential der Wasserkraft ist groß.

Publiziert in 20 / 2022 - Erschienen am 8. November 2022

Mals - In der öffentlichen Wahrnehmung fristet sie im Vergleich mit anderen erneuerbaren Energiequellen, wie etwa Sonne und Wind, zwar immer noch ein eher stiefmütterliches Dasein, aber das Potential, das in der Wasserkraft steckt, speziell was die technischen Innovationen betrifft, ist gewaltig. „Und dieses Potential müssen wir nutzen, denn die Wasserkraft ist der Katalysator für die Energiewende in Europa“, gab sich Anton Schleiss, emeritierter Professor der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne, am 27. Oktober im Kulturhaus in Mals überzeugt. Anton Schleiss war einer der Referenten der heurigen Auflage der „Interalpinen Energie- und Umwelttage Mals 2022“ zum Thema „Wasserkraft – Quo Vadis? Innovationspotential der Wasserkraft“. Zur Tagung eingeladen hatten das Unternehmen Patscheider & Partner GmbH (Mals), die Anwaltskanzlei GEISSELER LAW (Freiburg im Breisgau), das IBI-Euregio-Kompetenzzentrum (Vahrn), das Tiroler Qualitätszentrum für Umwelt, Bau und Rohstoffe TIQU (Ötztal-Bahnhof) und der Südtiroler Energieverband SEV. 

„Wasserkraft ist ausbaufähig“

Die Rechtsanwältin Bettina Geisseler erinnerte in ihren Grußworten daran, dass sich der Anteil der Wasserkraft bei den erneuerbaren Energien derzeit auf rund 33% beläuft. Die Wasserkraft sei stark ausbaufähig, in den Alpen ebenso wie in ganz Europa und weltweit. Wie schon Geisseler bedauerte auch Ronald Patscheider, dass die Bedeutung, die der Wasserkraft als erneuerbare Energiequelle zustehen sollte, in der öffentlichen Wahrnehmung zu wenig zur Geltung komme. Für den Malser Bürgermeister Josef Thurner ist die Wasserkraft mehr denn je die Energiequelle schlechthin in den Alpen. Die Gemeinde Mals habe schon vor Jahren begonnen, verstärkt auf Wasserkraft und Photovoltaik zu setzen. SEV-Geschäftsführer Rudi Rienzner erinnerte an die Pionierleistungen und die Weitsicht des Energieexperten Georg Wunderer aus Prad, der 2018 gestorben ist. Laut Rienzner gelte es, den von Georg Wunderer geführten Kampf für mehr Energieautonomie in Südtirol weiterzuführen.

Die Rolle der Wasserkraft im Jahr 2100

Der international anerkannte und weltweit gefragte Experte Anton Schleiss begann seine Ausführungen zum Thema „Die Rolle der Wasserkraft im Jahr 2100: welche Innovationen sind notwendig?“ mit Hinweisen auf die Trümpfe der Wasserkraft: erneuerbare Energie ohne C02-Emisionen, ausgezeichneter Wirkungsgrad, heimische und unabhängige Energie, Schaffung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung, Beitrag zum Hochwasser- und Dürreschutz. Die Situation der Wasserkraftnutzung in Europa habe sich im Zeitraum von 2005 bis jetzt kaum verändert. In vielen Ländern werden mehr als 50% des Wasserkraftpotentials nicht genutzt. Um die Wasserkraft in Europa ausbauen zu können, sind viele Herausforderungen anzugehen. So ist etwa infolge des Klimawandels mit einer Änderung des Produktionspotentials zu rechnen, „weil zunehmende Naturgefahren das Wasserangebot und die Betriebssicherheit beeinflussen.“ 

Neue Stauseen unumgänglich

Um die Auswirkungen des Klimawandels zu dämpfen und die gestörten Wasserressourcen auszugleichen - zur Sicherung von Wasser, Energie und Nahrung sowie zum Hochwasser- und Dürreschutz -, hält Anton Schleiss den Bau neuer Stauseen in vielen Regionen für überlebenswichtig. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr in der nachhaltigen Nutzung der Stauseen sieht der Experte in der zunehmenden Verlandung der Stauräume, „weil die Sedimentzufuhr mit dem Klimawandel steigen wird.“ Schon heute seien bei bestehenden Stauseen dringende Gegenmaßnahmen zu treffen, „und neue Stauseen müssen mit Resilienz gegen die Verlandung ausgelegt werden.“ Als Chancen nannte Schleiss die Nutzung neuer Gletscherseen als Mehrzweckspeicher zum Schutz von Seeausbrüchen und zur Energieproduktion im Winter.

Höhere Staumauern und neue Techniken

Um die Effizienz bestehender Kraftwerke zu verbessern, schlägt Anton Schleiss die Vergrößerung von Stausseen vor, damit die Produktion flexibel auf den stark schwankenden Spitzenbedarf konzentriert werden kann. Als Beispiel nannte er die Bogenstaumauer Luzzone in der Schweiz, die in den Jahren 1997 und 1998 um 17 Meter erhöht wurde. Die Mauerkrone liegt nun auf 1.609 m, die tiefste Absenkung des Seespiegels auf 1.435 m. In der Schweiz seien viele Talsperren-Erhöhungen denkbar. Auch auf die Bedeutung neuer technologischer Lösungen für die Steigerung der Produktionseffizienz verwies Anton Schleiss. Er gab sich davon überzeugt, dass die Wasserkraft als Katalysator für die Energiewende in Europa dienen wird, wobei die Produktion mit neuen, umweltfreundlichen Mehrzweckanlagen sowie mit der Nutzung „versteckter“ Potentiale bestehender Infrastrukturen erhöht werden soll. Das Speichern von Wasser wird laut dem Experten eine immer größere Rolle spielen: „Die Gletscher sind eigentlich nur Speicher und wenn sie nicht mehr da sind, wird es andere Speicher brauchen.“ Eine besondere Lanze brach Schleiss für den Bau von Pumpspeicherkraftwerken, „weil sie keine ökologischen Auswirkungen haben.“ Im Zuge seines „futuristischen Ausblicks“ sprach Schleiss von der Verbindung der größten Speicher in der Schweiz (Dixence und Mauvoisin), von neuen Fusionskraftwerken, Hochdruckschmelzanlagen zur Eliminierung nuklearer Abfälle, Supraleitungsgeneratoren und dem Ausbruch von Druckstollen und Kavernen mit Lasertechnologie. Weit in die Zukunft projektiert (2070 bis 2090) hat Schleiss das größte Mehrzweckwasserkraftwerk in Europa an der Meerengstelle von Gibraltar: gigantisches Gezeitenkraftwerk (Atlantik/Mittelmeer), Eisenbahnverbindung Afrika-Spanien auf dem Damm und weitere „futuristische“ Visionen. In Afrika ist das Potential für die Nutzung der Wasserkraft und der Sonnenenergie (Stichwort Sahara) laut Schleiss immens. Abschließend sagte er, dass die Wasserkraft alle erforderlichen Eigenschaften besitzt, um eine wichtige Rolle in der sicheren Energiewende in Europa und weltweit zu spielen. Schleiss koordinierte von 2018 bis 2022 das vom EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 geförderte Hydropower Europe Forum und ist derzeit Koordinator des EU-Projekts ETIP Hydropower Europe.

Großes Innovationspotential

Neben Schleiss referierten noch etliche weitere Branchenexperten aus Wissenschaft und Praxis über das Innovationspotential der Wasserkraft und über entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten, wobei immer auch der ökologische Aspekt im Blickfeld behalten wurde. Bei einer abschließenden Fachdiskussion stimmten alle darin überein, dass die Wasserkraft einen Innovationsschub braucht. Es gelte, die Bevölkerung miteinzubeziehen und die Wasserkraftwerke als Mehrzweckprojekte zu nutzen. So könne man mögliche Synergien nutzen und für Umwelt und Menschen eine Win-win-Situation schaffen. Unerlässlich sei eine ehrliche und transparente Kommunikation nach außen. Laut Rudi Rienzner sei vergessen worden, „dass Wind, Wasser und Sonne allen Menschen gehören.“ Deshalb soll die Bevölkerung auch beteiligt bzw. miteinbezogen werden. Georg Premstaller (Alperia) sagte, dass die großen Kraftwerke viel von den kleinen gelernt haben. Abgeschlossen wurden die Energie- und Umwelttage am 28. Oktober mit Exkursionen zu den neuen Wasserkraftwerken Konfall (Schluderns) und Suldenbach (Prad).

Josef Laner
Josef Laner

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