Mit Hammer und Sichel
Der Historiker Joachim Gatterer war auf zugewachsenen Pfaden unterwegs. Und gab beim Lichten des Dickichts rund um die kommunistische Partei in Südtirol auch den Blick auf den in St. Valentin geborenen Josef Stecher frei.
Bozen/St. Valentin - Optantenkind, Gewerkschafter, Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens (KPI). Josef „Peppi“ Stecher, geboren 1930 in St. Valentin auf der Haide, war der erste deutschsprachige Landtagsmandatar, der für eine gesamtstaatliche Partei in den Südtiroler Landtag zog (1973-1983). Doch das war nicht die einzige Besonderheit, die den aus ärmlichen Verhältnissen stammenden gelernten Schneider ausmachte.
der Vinschger: Herr Gatterer, Sie forschen seit längerem zur Geschichte der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien in Südtirol. Josef Stecher hat die Kommunistische Partei Italiens (KPI) zehn Jahre lang im Südtiroler Landtag vertreten. Warum ist er dennoch recht unbekannt?
Joachim Gatterer: Josef Stecher passt nicht ins offizielle Geschichtsbild Südtirols. Für die Jahre nach 1945 dominieren die Feuernacht und die Verhandlungen um die Autonomie. Damit geht die Vorstellung einher, dass Südtiroler und Italiener sich politisch strikt getrennt organisierten. Dies stimmt aber nur bedingt. Die italienischen Linksparteien, aber auch die Democrazia Cristiana, präsentierten bei Wahlen einige Südtiroler Kandidaten. Weil diese Leute die herrschende Logik der ethnischen Blockbildung unterliefen, wurde ihr Beispiel in der Südtiroler Öffentlichkeit weitgehend verschwiegen – was aus heutiger Sicht etwas übertrieben wirkt, aber die Zeiten waren eben andere. Man darf nicht unterschätzen, wie stark die Kommunisten damals abgelehnt und gefürchtet wurden. Zur nationalen Logik kam in der Auseinandersetzung mit ihnen noch die ideologisch-religiöse hinzu. Als Kommunist war man nicht nur „walsch“, man war im Heiligen Land Tirol auch gottlos und steckte inmitten des Kalten Krieges mit dem Systemfeind aus dem Osten unter einer Decke. Noch weiter am politischen Rand konnte man nicht stehen.
Die KPI hat sich damals auch für das Zusammenleben der deutsch- und italienischsprachigen Bevölkerung eingesetzt und die autonomistischen Bestrebungen der SVP unterstützt. Woran ist sie letztlich gescheitert?
In ganz Westeuropa waren die kommunistischen Parteien aufgrund des Kalten Krieges dauerhaft in Opposition. Sie konnten bestenfalls auf Gemeinde- oder Regionalebene mitregieren. In Südtirol blieben die Wahlergebnisse der Kommunisten stets bescheiden; die KPI versuchte sich dennoch als Koalitionspartner anzubieten, hatte aber wenig zu bieten, denn in Rom blieb sie auf absehbare Zeit ohne Entscheidungsmacht. Hier musste die SVP mit den Regierungsparteien verhandeln und daher zog sie es schon aus pragmatischen Gründen vor, in Land und Gemeinden mit den Parteien zu koalieren, die in Rom gerade am Ruder waren.
Wie kam Josef Stecher überhaupt zur kommunistischen Partei?
Aus Parteidokumenten geht hervor, dass Stecher kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Vorarlberg mit Kommunisten in Kontakt kam. Er war damals zwischen 15 und 20 Jahre alt. Was genau den Ausschlag gab, ist nicht bekannt. Sein biographischer Hintergrund ist für einen Kommunisten jedenfalls nicht untypisch. Seine Familie kam im Zuge der Option nach Bregenz und kehrte Anfang der 1950er-Jahre wieder in den oberen Vinschgau zurück. Prekäre Lebensbedingungen, Geldmangel und Arbeitslosigkeit musste Stecher aus seinem engsten Umfeld gekannt haben. Auf diese Probleme reagierten die Kommunisten am radikalsten. Sie versuchten im Bereich der Sozialfürsorge konkret Hilfe zu leisten und die Arbeiter für Lohnkämpfe und Streiks zu organisieren. Das dürfte Josef Stecher stärker imponiert haben als der Gegensatz zwischen Südtirolern und Italienern. Jedenfalls ist er schon in den frühen 1950er-Jahren in den Reihen der KPI und der kommunistisch dominierten Gewerkschaft CGIL aktiv geworden.
Josef Stecher war erst Gemeinderat in Mals und Bozen und ab 1973 der erste deutschsprachige Abgeordnete, der für eine gesamtstaatliche (italienische) Partei in den Landtag gewählt wurde. Wie gelang es Stecher, auf einer italienischen Oppositionsliste genügend Stimmen zu bekommen?
Sofern er nicht totgeschwiegen wurde, diffamierte man Stecher seinerzeit als „nützlichen Idioten“, der für eine italienische Partei Südtiroler Stimmen fängt. Natürlich versuchte die KPI über ihren deutschen Genossen vor allem Südtiroler anzusprechen, aber Tatsache ist auch, dass die Partei ihren italienischen Genossen empfahl, Stecher die Vorzugsstimme zu geben. Bei den Landtagswahlen 1973 und 1978 wurde Stecher mehrheitlich mit italienischen Stimmen gewählt. Im Landtag kam es nach seiner ersten Wahl zu hitzigen Debatten. Die damals geltende Verteilung des Landeshaushalts gemäß der Sprachgruppenverteilung unter den Landtagsmandataren basierte nämlich auf der Logik, dass Südtiroler ausschließlich Südtiroler wählen und Italiener nur Italiener. Mit der Wahl Stechers hat die KPI gezeigt, dass das nicht zwingend der Fall ist. Zumal Stecher mit italienischen Stimmen gewählt worden war, kam der zusätzliche „deutsche“ Mandatar monetär sogar den deutschsprachigen Südtirolern, sprich: der SVP, zugute. In den 1980er-Jahren zahlte die italienische Linke allerdings den Preis für diesen Vertrauensvorschuss. Die SVP änderte ihre Politik der ethnischen Abschottung nicht und einstige KPI-Wähler wandten sich nun frustriert dem neofaschistischen MSI zu.
Was weiß man über Stechers Zeit in den Gemeinderäten von Mals und Bozen? Welche Anliegen hat er im Landtag vorgebracht?
Über seine Arbeit in Mals und Bozen wäre noch ausführlich zu recherchieren. Da die Archive aber gerade zur Oppositionspolitik in der Regel wenig hergeben, wären Erinnerungen von Zeitzeugen besonders wichtig. Vielen fällt es verständlicherweise schwer, von ihrem einstigen Engagement im Umfeld der Kommunisten zu erzählen, denn es war gerade in den Dörfern mit harschen Anfeindungen und nicht selten mit materiellen Nachteilen für Frau und Kinder verbunden. Sicher ist, dass auch Stecher überwiegend vor Ort arbeitete. Als Gewerkschafter stand er über mehr als zwei Jahrzehnte in direktem Kontakt mit den Menschen und versuchte konkrete Probleme zu lösen – Renten, Sozialhilfeansuchen – und auf diesem Weg auch Leute für die solidarische Arbeit in der Partei zu gewinnen, was nur sehr eingeschränkt gelang. Im Landtag konnte er indes keine nennenswerten Akzente setzen. Er stand hinter Anselmo Gouthier, Grazia Barbiero und Gaetano D’Ambrosio in der zweiten Reihe. Die SVP-Abgeordneten mieden ihn bewusst, worunter er sehr gelitten hat.
Warum wäre es wichtig, Protagonisten wie Josef Stecher, auch andere Oppositionsparteien oder Organisationen genauer zu untersuchen?
Sie verweisen darauf, dass unsere Geschichte nicht so einheitlich geformt ist, wie es uns vielfach erscheint, dass es Neben- und Gegenentwicklungen gibt, die irgendwann versiegen oder etwas Größeres anstoßen. Claus Gatterer schrieb in seinen Tagebüchern poetisch von der Weisheit, die die Geschichte jenen überantwortet, die stets am Rande der Gesellschaft siedeln. Obwohl diese Weisheit häufig aus Erfahrungen des Scheiterns gewonnen wird, ist sie nicht weniger wertvoll, denn im Leben müssen wir alle auch mit Niederlagen zurechtkommen.
Klaus Civegna über Josef Stecher (Auszug)
„Peppi Stecher habe ich 1969 kennengelernt. (…) „Nach der Matura habe ich eine intensive Zusammenarbeit mit Stecher begonnen. Diese führte schließlich so weit, dass ich von Herbst 1977 bis Spätsommer 1978 als Mitarbeiter von der KPI/PCI angestellt wurde. Im Nachhinein kann ich sagen, dass die Arbeit mit Stecher und auch mit einzelnen Persönlichkeiten der Partei (…) nicht einfach war. (…) Die Autonomie war noch nicht angekommen und die Partei hat es sicher versäumt, diese den Mitgliedern überzeugend nahe zu bringen. Sogar die Kader waren vielfach nicht überzeugt. In dieser Situation war Stechers Position äußerst schwierig. Er war in der Partei allein“. Die Kommunisten seien damals Anlaufstelle für viele gewesen, die sich durch Gemeinde, Land oder Arbeitgeber – Stichworte Durchgangsrechte, Baulizenzen, Nutzungs- und Wohnungsrechte – nicht gerecht behandelt fühlten, schreibt Klaus Civegna: „Stecher versuchte diesen, oft über Umwegen, zu helfen. Insbesondere konnte er dies als Landtagsabgeordneter in den Ämtern vorantragen und oft auch durchsetzen. Menschlich war er sehr offen und konnte mit den ‚einfachen’ Leuten vom Land sehr gut umgehen“, die Auseinandersetzung mit den jungen, 1968 politisierten Studierenden sei ihm hingegen nicht gelungen. Unter der Isolierung innerhalb der Partei habe er gelitten – auch im Landtag sei er isoliert gewesen: „Seine Interventionen im Plenum, die er sorgfältig vorbereitete, wurden kaum beachtet. (...) Die Mehrheit im Landtag hat ihn (...) ‚links liegen gelassen’. Für die Volkspartei durfte es keinen deutschsprachigen Vertreter außerhalb ihrer Reihen geben und schon gar nicht einen Kommunisten. (...) Unter dieser Situation hat Stecher stark gelitten. Insbesondere nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag (1983) und schließlich mit der ‚svolta della Bolognina’ (dem Ende des alten PCI) war die Enttäuschung groß“. Kurz darauf ging er in Rente. Die Verbitterung habe zugenommen, auch habe sein Gesundheitszustand sich verschlechtert. „Nun traf er sich öfters im Gasthaus mit den alten Genossen und dabei wurde es nicht selten etwas lang und äußerst nostalgisch“.
Josef Perkmann: Erinnerung an Josef Stecher (Auszug)
„Bald nach meinem Parteieintritt bot mir die CGIL in Bozen eine Stelle als Bearbeiter von arbeitsrechtlichen Streitfällen an. Dabei lernte ich Josef Stecher von der praktischen Seite her kennen. Er begleitete nicht selten einfache Südtiroler Männer und Frauen zur CGIL, die arbeitsrechtlich unter die Räder gekommen waren oder um die Rente oder eine Sozialleistung ansuchen mussten. Josef Stecher war ein umgänglicher und hilfsbereiter Mensch, der dort verkehrte, wo es in Südtirol sozial weh tat. Josef Stecher, alle nannten ihn Peppi, und Giorgio Tireni waren die beiden ‚Buggler’: (…) Sie dienten schon seit vielen Jahren der Partei, kannten jeden Winkelzug, jedes Gerücht, jede Schandtat und auch die Stärken und Schwächen der einzelnen ‚Genossen’ und Freunde. Sie erledigten eine Menge Kleinarbeit, machten sich viele Sorgen und taten ständig mehr als ihre Gesundheit erlaubte. (…) Als gelernter Schneider konnte er sich sehr gut in die Lage einfacher Handwerker, Bauern und Landarbeiter versetzen. Er hatte gute Kontakte zu vielen von ihnen und versuchte ihre Probleme auch im Landtag aufzuwerfen. Als er ‚unter den Leuten’ war, kam er am Tag danach mit Begeisterung ins Büro. (…) Als er aber vom Landtag kam, tat er mir oft leid. Er war frustriert, deprimiert und oft wütend, was ihn auch physisch krank machte. Im Landtag war er meistens auf sich allein gestellt und isoliert. (…) Beim Rückoptanten Josef Stecher aus dem Vinschgau, der in Vorarlberg zum Kommunisten geworden war, setzte die SVP andere Maßstäbe. Ihn durfte es nach Ansicht der damaligen Regierungsmehrheit gar nicht geben … (…) Deshalb war er in der Zeit, als man noch von den ethnischen Grabenkriegen lebte, bestenfalls ein Überläufer, aber kein Vertreter der Südtiroler. Wohl auch deshalb hat man ihm jegliche Anerkennung in diesem Sinne verweigert. (…) Er war ein anständiger und guter Mensch, der sich nichts zuschulden kommen ließ und unter den einfachen Leuten Südtirols einen guten Leumund besaß. (…) Je besser ich ihn kennen lernte, umso mehr wurde er in meinen Augen zu einem gläubigen Menschen, der felsenfeste Überzeugungen hatte, Tabus respektierte und nicht bereit war, seine fest gezimmerte Welt in irgendeiner Weise in Frage zu stellen“.
