Unterschrieben haben den Vertrag Vize-Finanzminister Antonio Misiani und die Schweizer Staatssekretärin für internationale Finanzfragen Daniela Stoffel.
Die Schweizer Bundespräsidentin Simonetta Myriam Sommaruga und Staatspräsident Sergio Mattarella beim Empfang im September 2020 in Rom.
Der Kammerabgeordnete Albrecht Plangger
Sepp Trafoier, der Sprecher der Grenzpendler

Neues Steuerabkommen für Grenzpendler

Der neue Vertrag zwischen Italien und der Schweiz tritt voraussichtlich 2023 in Kraft. Ab 2033 bleibt die Quellensteurer zur 100% in der Schweiz.

Publiziert in 2 / 2021 - Erschienen am 26. Januar 2021

Vinschgau - Eine ganze Reihe von Neurungen für die Grenzpendler im Bereich der Besteuerung sind im Abkommen zwischen Italien und der Schweiz vorgesehen, das am 23. Dezember von Vertretern beider Regierungen in Rom unterzeichnet wurde. Das Ziel des ersten Vertrages dieser Art, der 1974 zwischen Italien und der Schweiz unterschrieben worden war und der 2014 verfallen ist, war es, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Im November 2015 wurde zwar ein neuer Vertrag ausgehandelt und auch unterzeichnet, aber er wurde von den Parlamenten in Rom und Bern nie ratifiziert.

„Anmahnung“ im September 2020

Dass es nun doch relativ rasch zu einem neuen Vertrag mit einigen wesentlichen Neuerungen kam, ist auf einen offiziellen Besuch der Schweizer Bundespräsidentin Simonetta Myriam Sommaruga in Rom im September 2020 zurückzuführen. Im Rahmen einer Aussprache mit Staatspräsident Sergio Mattarella und Ministerpräsident Giuseppe Conte war ein baldiger Vertragsabschluss angemahnt worden. Unmittelbar nach dem Empfang nahmen der Vize-Finanzminister Antonio Misiani aus Brescia und die Generaldirektion des Finanzministeriums die konkreten Verhandlungen auf. Mit ins Boot geholt wurden auch die Grenzpendler-Gewerkschaften, die Vereinigung der italienischen Grenzgemeinden und die parlamentarische Gruppe „Amici dei frontalieri“, der auch der Kammerabgeordnete Albrecht Plangger angehört. Die Details des neuen Abkommens, das nun von den Parlamenten in Rom und Bern zu ratifizieren ist und das voraussichtlich 2023 in Kraft treten wird, wurden im Rahmen mehrerer Videokonferenzen definiert. Formell unterschrieben wurde der neue Vertrag am 23. Dezember 2020 von Vize- Finanzminister Antonio Misiani und der Schweizer Staatssekretärin für internationale Finanzfragen Daniela Stoffel in Rom.

Die wichtigsten Bestimmungen

Der neue Vertrag und dessen Auswirkungen auf die derzeit rund 1.000 Grenzpendler aus dem Vinschgau und auf die künftigen Grenzgänger wären sicher im Mittelpunkt der traditionellen Grenzpendlertagung gestanden, die immer im Jänner stattfindet und die heuer coronabedingt leider ausfallen musste. Um die Grenzpendler dennoch einigermaßen ausführlich über die wichtigsten Bestimmungen informieren zu können, hat Albrecht Plangger für den der Vinschger die wesentlichsten Punkte zusammengefasst.

„Aktuelle“ und „zukünftige“ 

Wesentlich ist zunächst, dass der neue Vertrag zwischen „aktuellen“ Grenzpendlern (frontalieri attuali) und „zukünftigen“ Grenzpendlern (frontalieri futuri) unterscheidet. Die „aktuellen“ Grenzpendler mit Wohnsitz innerhalb des 20-km-Streifens zur Schweizer Grenze werden weiterhin ausschließlich in der Schweiz besteuert. Als „aktuelle“ Grenzpendler gelten jene, die im Zeitraum zwischen dem 31. Dezember 2018 und dem Inkrafttreten des Vertrages (voraussichtlich 2023) einer abhängigen Arbeit in der Schweiz nachgegangen sind bzw. nachgehen. Der Nachweis einer abhängigen Arbeit in der Schweiz wird durch die Bezahlung der Steuerrückbehalte des Schweizer Arbeitgebers bzw. durch die Eröffnung einer Steuerposition in den betroffenen Kantonen erbracht. Der neue Vertrag betrifft die Grenzpendler in den Schweizer Kantonen Tessin, Wallis und Graubünden, sowie in Italien die Regionen Lombardei, Piemont und Aostatal, sowie das Land Südtirol. Insgesamt belief sich die Zahl der Grenzgänger, die Ende 2019 in den Kantonen Graubünden, Tessin und Wallis arbeiteten, auf fast 65.000. Gemäß dem Abkommen von 1974, das noch immer gilt, werden Grenzgänger, die in der Schweiz arbeiten, ausschließlich in der Schweiz besteuert. Von den Einnahmen aus der Quellensteuer für italienische Grenzgänger leiten die betroffenen Kantone 40% (bei einigen Kantonen 38,8%) als finanziellen Ausgleich an die italienischen Wohnsitzgemeinden dieser Grenzgänger weiter.

Besteuerung in beiden Staaten

Im Gegensatz zum bisherigen Abkommen werden die „zukünftigen“ Grenzpendler in der Schweiz und in Italien besteuert, also nicht mehr ausschließlich in der Schweiz. Albrecht Plangger: „Die ‚zukünftigen’ Grenzpendler machen ihre Steuererklärung, unabhängig vom 20-km-Streifen zur Schweizer Grenze, in Italien, mit den dort geltenden Bestimmungen auch bezüglich der Abschreibungen, wie z.B. Arztspesen, Fahrtkosten, Hypothekardarlehen usw. Die in der Schweiz rückbehaltene Quellensteuer kann in Abzug gebracht werden.“ Die Schweiz übermittelt der italienischen Steuerbehörde jährlich innerhalb 20. März die Steuerdaten der „zukünftigen“ Grenzpendler, nicht aber die Daten der „aktuellen“. Im Ratifizierungsgesetz des Staatsvertrages soll außerdem der Steuerfreibetrag („no tax area“) von 7.500 auf 10.000 Euro angehoben werden. Garantiert werden zudem die Abschreibbarkeit der freiwilligen Altersvorsorge (2. und 3. „pilastro“) sowie die Nicht- Besteuerung der Familienzulagen.

Mehr Arbeitslosenunterstützung

Neu vorgesehen ist im genannten Gesetz auch die Bestimmung, wonach die Arbeitslosenunterstützung sowohl der „aktuellen“ als auch „zukünftigen“ Grenzpendler während der ersten 3 bis 5 Monate an Schweizer Lohnverhältnisse angepasst wird. Was die Quellensteuer betrifft, so bleiben 80% dieser Steuer bei den „zukünftigen“ Grenzpendlern in der Schweiz. In der Vertragsoption von 2015 war von 70% die Rede, im Vertrag von 1974 waren 62,8% festgeschrieben worden. Den sogenannten Steuerausgleich, der sich nun progressiv verringern wird, wird die Schweiz bis einschließlich 2033 an die italienischen Grenzgemeinden überweisen, und zwar im Ausmaß von 40% der in der Schweiz anfallenden Quellensteuer. Nach dieser Übergangszeit wird die Quellensteuer zu 100% in der Schweiz bleiben.

Steuerausgleich bis 2033

Neben dem Abkommen wurde am 23. Dezember gleichzeitig auch ein Einvernehmensprotokoll zwischen der italienischen Regierung, den Grenzpendler-Gewerkschaften und der Vereinigung der Grenzgemeinden zur Schweiz unterschrieben. In diesem Protokoll wird festgelegt, dass der Staat Italien bis einschließlich 2033 den aktuellen Steuerausgleich in Höhe von ca. 88 Millionen Schweizer Franken (2019) für ca. 65.000 Grenzpendler mit eigenen Finanzmitteln garantiert und dass er die nun progressiv sinkenden Überweisungen aus der Schweiz ausgleichen wird. Nach 2034 soll dieser Betrag nur mehr durch die Steuereinnahmen des Staates aus der erhöhten Besteuerung der „zukünftigen“ Grenzpendler gedeckt werden. Laut Albrecht Plangger ist davon auszugehen, dass der Staat Italien infolge des neuen Besteuerungssystems bedeutend mehr Steuereinnahmen haben wird: „Die Einnahmen werden höher sein als der bisherige Steuerausgleich aus der Schweiz, der sich im Bezugsjahr 2019 auf ca. 88 Millionen Euro belief.“ Die Regierung sei sich diesbezüglich der besonderen Rolle der Grenzgemeinden bewusst „und verpflichtet sich, diese Mehreinnahmen auf dem Territorium der Grenzgemeinden zu belassen und diese für lokale Projekte zum wirtschaftlichen Aufschwung der Grenzgebiete einzusetzen.“

Gemeinsame Arbeitsgruppe

Der neue Vertrag zwischen Italien und der Schweiz zur Besteuerung der Grenzpendler soll alle 5 Jahre überarbeitet werden. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe soll gewährleisten, dass die neuen Bestimmungen korrekt interpretiert und angewendet werden. Es gibt aber auch eine Arbeitsgruppe im Vinschgau, die alle Probleme rund um das Grenzpendlertum aufgreift und zu lösen versucht. Zu dieser Arbeitsgruppe gehört u.a. auch Sepp Trafoier aus Schluderns, der sich seit nunmehr 4 Jahrzehnten als Sprecher der Grenzpendler aktiv für deren Anliegen einsetzt. Den neuen Vertrag wertet Sepp Trafoier zusammenfassend mit etwas gemischten Gefühlen: „Was die ‚alten’ Grenzpendler betrifft, ist das Abkommen gut und man kann damit zufrieden sein.“ Mit etwas Sorge sieht er die Lage der „zukünftigen“ Grenzpendler: „Nach der ‚Galgenfrist’ wird es schwieriger werden, denn die Steuerlast in Italien ist hoch.“ Insgesamt gesehen werde es daher ab 2033 weniger „interessant“ werden, in der Schweiz zu arbeiten. Albrecht Plangger ist der Ansicht, dass im Grunde alle mit dem neuen Vertrag zufrieden sein können, „die ‚aktuellen’ Grenzpendler am meisten, weil alles beim Alten bleibt.“ Die „neuen“ Grenzpendler werden es „überleben“, da der Staat mit Steuerbegünstigungen das Grenzpendlertum wirtschaftlich interessant behalten will. Außerdem werden auch die strukturellen Probleme der Grenzgemeinden berücksichtigt und gesondert auf Dauer gefördert. 

Josef Laner
Josef Laner

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