Neues Werkzeug in der ersten Klasse
Publiziert in 34 / 2012 - Erschienen am 26. September 2012
In der Grundschule Prad arbeiten Schülerinnen und Schüler mit
so genannten Tablets, tragbaren Computern mit Touchscreen, im Rahmen eines Projektes des Bereiches Innovation und Beratung des deutschen Bildungsressorts.
Prad - Wer sich in Stockholm in die Tegelhagenschule begibt, findet Erstklässler ohne Stift und Papier - diese bekommen die 6-Jährigen erst in der 2. Klasse. Vorher lernen sie, wie mit einem Tablet-PC umgegangen wird. Für einige schwedische Lehrer liegen die Gründe auf der Hand: Es sei eine Frage der Demokratie, Kindern den Zugang zu IT-Werkzeugen zu ermöglichen. Die Grundschüler der Grundschule Prad kommen mit den IT- Werkzeugen ebenfalls ab der ersten Klasse in Kontakt. Die neunjährigen Schüler gehen unter der Ägide von Lehrerin Karin Dietl mit dem Tablet-PC entsprechend gelassen um. Ein Beispiel: Sie filmen und sehen sich ihre in der Klasse präsentierten Buchvorstellungen später auf dem Computer an. Auch für Karin Dietl ist klar: „Es stellt sich ständig die Frage, was man tun kann, um nicht stehen zu bleiben.“ Sie habe mit und von den Kindern viel gelernt: „Was man mit den Tablets alles machen kann, hatte ich dort erst erfahren“, berichtet Dietl. Am zweiten Schultag dieses Jahres konnten die Kinder auswählen, mit was sie sich beschäftigen wollten, die Arbeit mit den Tablets war eine von vielen Möglichkeiten. Der ausschließliche Run auf die Tablets blieb aus.
Gemeinsam mit den Kindern Lernziele definieren
Neben den vielen technischen Möglichkeiten, wie Filme oder Hörspiele produzieren oder Zeichenprogramme zu beherrschen, können die Kinder auch über den Bildungsserver blikk mit anderen Schülern kommunizieren. Dort lernen sie nicht nur den entsprechenden Umgang mit anderen im Netz, sondern tauschen sich beispielsweise über gelesene Bücher aus. Welche Potentiale mittels der digitalen Medien im Unterricht ermöglicht werden, interessiert Christian Laner, Mitarbeiter des Bereichs Innovation und Beratung, der sich seit über 20 Jahren mit elektronischen Medien und Reformpädagogik auseinandersetzt: „Wir wollen Menschen zusammenbringen, die u.a. das Thema Tablets diskutieren“. Dabei sind die Schüler jetzt schon dabei, mit vielen anderen Schülern zusammenzukommen. Bei einem über den - seit zehn Jahren bestehenden - Bildungsserver laufenden Projekt, das Südtiroler Schüler mit Gleichaltrigen aus Nordrhein-Westfalen zusammenbrachte, gab es beim Thema Wasser so manches Aha-Erlebnis. „Die Schüler waren erstaunt, wie wenig die NRW‘ler über Südtirol wussten. Nach dem Unglück von Galtür kam eine Flut von Fragen auf die Südtiroler Schüler zu“. „Tablets zwingen uns, neue Wege zu beschreiten, das kann ein großer Sprung werden, auf den ich gehofft habe“, meint Laner. Flexibilität, eigenständiges Lernen, Präsentationsfähigkeiten, sowie die Möglichkeit, Handlungen und Sachzusammenhänge während des Lernens in den Vordergrund stellen zu können, anstelle beim reinen Schreiben verhaften zu bleiben, interessieren den Pädagogen, der europaweit unterwegs ist, um mit anderen Lehrpersonen und Wissenschaftlern gemeinsam zu erarbeiten, inwiefern die digitalen Medien im Unterricht nicht nur sinnvoll sind, sondern mehr Freiräume als jetzt erschließen könnten. Kinder zu selbstbewussten Menschen zu erziehen ist ein weiteres Ziel, das erreicht werden könnte, wenn Kindern die Planung nicht aus der Hand genommen wird. „Ich wünsche mir“, so der Projektleiter von blikk, „dass es Menschen werden, die mutig ihr Leben in die Hand nehmen und sagen, was zu sagen ist“. Erwachsene, seien es Lehrer oder Eltern, kommen mit den digitalen Medien, wie sie Kinder - auch außerhalb der Schule - benutzen, kaum mit. Für Laner kein Grund, diese Welt in der Schule auszublenden, ganz im Gegenteil: „Man sollte sich die Spiele von den Kindern erklären lassen. Wer sich begeistern kann, muss nicht unkritisch sein. Es bedeutet nicht, dass Kinder auf jeden neuen Medienzug aufspringen müssen, die Kritikfähigkeit den digitalen Medien gegenüber können auch Schüler schrittweise lernen“.
Kritische Gegenstimmen zu hören
Für kritische Gegenargumente sorgt die Verbraucherschutzzentrale, deren Vertreter gemeinsam mit dem Pädagogischen Institut die Arbeitsgruppe „Elektrosmog und Gesundheit“ besuchen. Francesco Imbesi vom Südtiroler Verbrauerschutz sieht Tablets weniger positiv, „weil sie viel mehr strahlen als Computer“. Dabei gehe es ihm darum, wie man die Strahlung vermeiden könne. Mit Tablets „soll vorgegaukelt werden, dass wir neue Wege gehen - dabei wird die ‚Medienkompetenz‘ von Groß-Konzernen gesponsert.“ Für Imbesi steht fest, dass noch mehr Strahlung den Menschen ins Chaos stürzt und dass „die Industrie noch nie so viel Freiheit hatte wie heute“. Deswegen begrüßt er die umstrittene Resolution 1815 des Europa-Rates vom 27. Mai des vergangenen Jahres, die Kindern und Jugendlichen mehr Strahlenschutz gewährleisten und mehr funkfreie Gebiete schaffen soll sowie Wissenschaftler schützen will, die nicht Konzern-kompatibel forschen. Das von der Landesregierung angestrebte, südtirolweite Glasfasernetz kommt Imbesi da gerade recht, er wünscht sich funkfreie Zonen in Südtirol. Grund der Glasfaser-Initiative des Landes waren jedoch nicht gesundheitliche Bedenken, sondern die erhöhte Geschwindigkeit der Datenübertragung, bestätigt Marco Springhetti vom Amt für Infrastruktur und Umweltanlagen. Zu Hause, bestätigen die Schüler, gäbe es allerdings ja auch Tablets.
Katharina Hohenstein

Katharina Hohenstein