Hias Breitenberger freute sich, wenn ihm seine Jagdkollegen gratulierten.

Nicht geeignet zum Heldentod

Publiziert in 46 / 2016 - Erschienen am 20. Dezember 2016
Hias Breitenberger ist jetzt 92. Mit 19 musste er in den Krieg ziehen und hat Unvorstellbares überlebt. Kastelbell - Seine Erinnerungen haben sich verdichtet. Die Reihenfolge der vielen Episoden, die sich der 92-Jährige eingeprägt hatte, folgten keinem zeitlichen Faden. Allerdings war der Hias auch im hohen Alter alles andere als ein abgeklärter Greis. Er war ungeduldig wie ein Jugendlicher und reagierte heftig: „Ja, Himmel. wenn du das alles nicht weißt, dann sind wir in einem Jahr immer noch da.“ Er meinte: immer noch beim Aufschreiben seiner Lebensgeschichte. Das hatte er sich kurz vor seinem 92. Geburtstag gewünscht. Aber er setzte ein bestimmtes Vorwissen voraus. Das lag daran, dass er über seine Kriegsjahre schon einmal in der Zeitung nachlesen konnte. Als er im Innsbruck zur Musterung kam, stand es sofort fest. Der Breitenberger Hias ist zu schade für den Schützengraben. Der stattliche Tiroler mit dem blonden Haar und den blauen Augen sollte Hitler und seine Reichskanzlei bewachen. Gauleiter Franz Hofer und seine Schergen rechneten aber nicht mit dem weichen Herz des Germanen aus den Alpen. Nach wenigen Tagen und einem Nervenzusammenbruch fand sich der Hias in der finnischen Landschaft Karelien wieder. Vom Zentrum der Macht in die finnischen Sümpfe war eine Strafversetzung, dem Hias kam es wie eine Befreiung vor. „Du weißt schon, dass man mich zum Tode verurteilt hatte?“ fragte er und erklärte, dass er sich als einziger geweigert habe, aus der Kirche auszutreten. Unvermittelt wechselte er das Thema. Zurück aus der Gefangenschaft habe er auf der Dicker-Alm Kälber gehütet und sich mit Büchern ausgerüstet. Wie den Menschen habe er den Rindviechern vorgelesen und sich Italienisch beigebracht. Sein Sprung von der Alm über Naturns zum Arbeitsplatz im Kraftwerk der früheren Montecatini in Kastelbell war überraschend, aber typisch für Breitenberger. „Man war mir in Kastelbell neidisch, dass ich als ‚Zuagroaster‘ im Kraftwerk angestellt wurde. Ich habe ‚morts Probleme“ gehabt, bis nach Rom hinunter.“ Es ging um die Anerkennung als Zivilinvalide. Der Hias kramte in seinen Unterlagen und zeigte das Sterbebild seines Bruders Luis. 1921 in Tarsch geboren und am 4. März 1944 in Russland den „Heldentod“ gefunden, stand zu lesen. In derselben Zeit war der Hias auf dem Weg nach Finnland. Er sah sich genötigt, über seine Familie zu erzählen. „Ich bin am 3. Mai 1924 auf dem Töbrunn (Latsch) geboren, zwei Brüder sind im Stadel der Obermüllerin in Tarsch auf die Welt gekommen.“ Sein Vater Luis sei Holzarbeiter gewesen; seine Familie sei von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz mitgezogen. Die Mama, Maria Fleischmann, starb an Brustkrebs, als der Hias 7 Jahre alt war. „Jetzt muss ich aber etwas Schreckliches erzählen“, wechselte er das Thema. „Ich wusste ja nicht, dass man mich in den Tod schicken wollte. Man drohte, mich zu erschießen, wenn ich einen verwundeten Offizier nicht aus dem russischen Sperrfeuer hole.“ Er habe den Helmriemen festgezurrt, „Mein Jesus Barmherzigkeit, dein Wille geschehe“ gerufen und sei losgerobbt. Es habe ihn an der Leiste erwischt. „Viel hab‘ ich dem Regimentsarzt Doktor Braitenberg zu verdanken.“ Der habe ihn als Sanitäter aufgenommen und immer darauf bestanden, dass er, Hias, eine russische Maschinenpistole - „die beste Waffe der Welt“ - bei sich trage. Wieder hielt er zwei Sterbebilder in der Hand. „Meinem Cousin, dem Sebastian Frank, habe ich in Karelien mit einer Schere die zerschossenen Beine abgetrennt. Wir haben sie beim Begraben neben ihm hingelegt.“ Hias wurde sehr nachdenklich. Sein bester Freund, der Luis Fischer, ein MG-Schütze, wurde auf dem Rückzug von einem Farbigen angeschossen. An einem Bahndamm hätten sie ihn begraben. „Jetzt werd‘ ich dir erklären, warum der Rückzug in Frankreich der ‚schiachste‘ Krieg war. Stell dir vor, die brutalen Amerikaner haben alle Kerkerhäftlinge freigelassen und auf uns gehetzt.“ Er erzählte von einem Quadrathöfler, der „seine Kameraden gefressen“ habe, um nicht zu verhungern, von einem Schnalser, der vor seinen Augen durch eine Phosphorgranate eingeäschert wurde und vom General der SS, Matthias von Kleinheisterkamp, der von Heldentum geredet und zum Durchhalten aufgerufen habe. Ob er denn auch das SS-Zeichen unter der Achsel trage. „Nein, einige von uns haben keine Nummer bekommen, weil der Farbstoff ausgegangen war. Dann haben sie alles vergessen.“ Wieder einer der vielen glücklichen Zufälle. Leider hat der Hias auch den Namen seiner Einheit vergessen. Nach seiner 3. Verwundung im Feld sollte er in die Klinik nach Heidelberg gebracht werden. Es waren die letzten Kriegstage. In einem Spital in Pirmasens wurde übernachtet. Plötzlich waren die Bomber da. Von 245 Patienten, Ärzten und Krankenschwestern wurden 7 lebend aus den Trümmern geborgen, darunter auch der Hias, schwer verletzt am linken Arm und am rechten Bein. Als ihm in Heidelberg ein Pater die Beichte abnehmen wollte, und nach seinen Sünden fragte, habe er ihn mit dem Satz abgewiesen: „Ich habe gewollt und bin nicht dazu gekommen.“ Der Geistliche habe sich „derkugelt“ vor Lachen. Günther Schöpf
Günther Schöpf
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