Das Thema Pflanzenschutzmittel scheidet weiter die Geister.
Michael Oberhuber, Markus Lobis, Eberhard Greiser und Lino Wegher (v.l.)
Ingrid Karlegger

Polemik um Studien

Wie stark gefährden Pestizide die Gesundheit? Zwischen Sachlichkeit und Emotion.

Publiziert in 37 / 2019 - Erschienen am 29. Oktober 2019

Schlanders - Es war im Sommer 2017, als sich Landesrat Arnold Schuler von den Ergebnissen zweier Studien „in mehrfacher Hinsicht erleichtert“ zeigte. Vorgestellt wurden damals die Ergebnisse der von der Landesregierung im Juli 2013 in Auftrag gegebenen „Studie zur Überprüfung der Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die menschliche Gesundheit“ sowie einer weiteren Studie über die Auswirkungen von Chlorpyrifos. Die Studie war von der Abteilung Umweltmedizin des Sanitätsbetriebs in Zusammenarbeit mit dem Tumorregister Südtirol, der Eurac, der epidemiologischen Beobachtungsstelle, der Stiftung Salvatore Maugeri und dem Versuchszentrum Laimburg durchgeführt worden. Die federführende Koordination lag beim leitenden Arzt Lino Wegher vom Zentrum für Umweltmedizin des Sanitätsbetriebs. Am 21. Oktober stellte Wegher die zwei Studien auf Einladung der Umweltschutzgruppe Vinschgau in der Aula Magna der WFO in Schlanders vor.

„Keine relevanten Unterschiede“

Das Kernergebnis fasste er so zusammen: Was die Häufigkeit von Tumorerkrankungen betrifft sowie die Sterberate bei Tumorerkrankungen, „gibt es keine relevanten Unterschiede bei Einwohnern intensiv landwirtschaftlich genutzter Gebiete und Einwohnern gering landwirtschaftlich genutzter Gebiete.“ Die Untersuchungen bezüglich Parkinson (Zeitraum 2003-2015) sowie Alzheimer und Demenz (2010-2014), bei denen es laut Wegher „keine Register im eigentlichen Sinn gibt“, hätten ergeben, dass die Inzidenz bei Parkinson in der Gruppe „andere Gemeinden“ höher sei als in den Gemeinden mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung. Bei Alzheimer und Demenz sei die Inzidenz in Gemeinden mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung niedriger als die Inzidenz der gesamten Provinz und der Gruppe der „anderen Gemeinden“, sprich der nicht untersuchten. Wegher unterstrich, dass man aufgrund fehlender Register auf anderweitige Informationen zurückgegriffen habe (Kennziffer der Krankenhauseinlieferung, Medikamentenverschreibung usw.). Fehlgeburten habe es von 2004 bis 2014 in den Gemeinden mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung weniger gegeben. Keine relevanten Unterschiede seien bezüglich der Schwangerschaftsrisiken festgestellt worden. In der Chlorpyrifos-Studie wurden die Auswirkungen anhand von Tests bei Bauern aus Kastelbell-Tschars, Latsch, Naturns, Marling und Tirol sowie von Anrainern dieser Gemeinden untersucht. Während der Ausbringungs-Saison seien zwar höhere Konzentrationen festgestellt worden, doch hätten die Dosen weit unter den zugelassenen Grenzwerten gelegen.

Kein gutes Haar 

Kein gutes Haar an den Studien ließ der Epidemiologie Eberhard Greiser von der Universität Bremen. Der Professor „zerpflückte“ die Studien in vielerlei Hinsicht, vor allem was die Methodik und die angestellten Vergleiche des „überlasteten Einzelkämpfers“ Lino Wegher betreffe. Greiser beanstandete, „dass keine einzelne Erkrankung definiert wurde, sondern eine Vielzahl von Erkrankungen.“ In der gesamten Studie über die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die menschliche Gesundheit „findet sich überhaupt kein Hinweis auf verwendete Literatur.“ Außerdem sei nur nach Gemeinden mit hoher bzw. niedrigerer landwirtschaftlicher Nutzung differenziert worden.“ Daten zur Anwendungshäufigkeit vermisse er in der Studie ebenso wie Hinweise darüber, „welche Pestizide in welchem Umfang verwendet wurden.“ Greiser beanstandete auch, „dass an keiner Stelle eine Vergleichbarkeit der einzelnen Gemeinden gezeigt wurde.“ Es seien teilweise Dinge miteinander verglichen worden, „die nicht vergleichbar sind.“ Die Studien-Ergebnisse seien daher teilweise Null-Ergebnisse. Bezüglich der Chlorpyrifos-Studie verwies Greiser auf die geringe Anzahl von Probanden: 28 Probanden mit Verwendung von Chlorpyrifos und 25 ohne. Außerdem sei an keiner Stelle begründet worden, „warum Chlorpyrifos als einziges Pestizid ausgewählt wurde.“ Jede Schlussfolgerung, „dass keine Gesundheitsgefährdung von Chlorpyrifos bestünde, ist aus den Ergebnissen dieser Studien wissenschaftlich nicht begründbar“, behauptete Greiser. Er wartete mit den Ergebnissen großer und viel breiter angelegten Studien aus den USA auf, wonach Krebserkrankungen durch Chlorpyrifos fundiert und wissenschaftlich korrekt nachgewiesen worden seien. Bei vielen Erkrankungen sei bei verlängerter Chlorpyrifos-Exposition ein teils merklich höheres Risiko festgestellt worden. Die Palette reicht von Lungen- und Enddarm-Krebs bis hin zu Hirn-Tumoren und Erkrankungen von Kindern nach Exposition in der Gebärmutter. Zum Thema Grenzwerte hielt Greiser grundsätzlich fest, „dass es solche bei keinen Wirkstoffen, die zu Krebserkrankungen führen können, geben sollte.“ Nicht unerwähnt ließ der Professor auch den Einfluss großer Chemiekonzerne auf die Zulassungsverfahren von Wirkstoffen: „Die Konzerne finanzieren teure Studien, die als Grundlage dienen, die aber geheim bleiben.“

Wo ist der Vertreter der Zulassungsbehörde? 

Was Michael Oberhuber, der Direktor der Laimburg, bei der anschließenden Podiumsdiskussion vermisste, „ist eine Fachperson der Zulassungsbehörde.“ Säße eine solche Person mit am Tisch, „könnte erklärt werden, wie Grenzwerte festgelegt werden.“ Oberhuber gab sich überzeugt, „dass die Zulassungsbehörde alle Studien und Publikationen anschaut und bewertet und sich nicht auf die von Konzernen finanzierten Studien beschränkt. Für ihn wäre es kein Problem, wenn alle Studien offengelegt würden. Dann müssten die Studien allerdings von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Auf die Frage von Moderator Markus Lobis, ob er ein Lobbyist sei, sagte Oberhuber: „Ich bin kein Lobbyist, ich bin ein öffentlicher Angstellter.“ Der Direktor räumte ein, dass es noch offene Fragen gebe. Eine Nacharbeit zu den Studien könne er sich vorstellen. „Dass es drastische Gesundheitsgefahren gibt, ist nicht das, was die Studien ergeben haben“, so Oberhuber. Er erinnerte u.a. auch daran, dass Chlorpyrifos im Agrios-Programm seit 2017 nicht mehr eingesetzt werde.

„Simpel und primitiv“

Bei der Diskussion wurden die Studien und deren Auftraggeber teils harsch unter Beschuss genommen. Es handle sich um simple und primitive Studien ohne wissenschaftlichen Anspruch, die nur deshalb erstellt worden seien, um den Menschen vorzugaukeln, dass sie keinen Risiken ausgesetzt seien und sich keine Gedanken über die Gefahren von Pestiziden zu machen bräuchten. „Das ist eine gezielte Strategie der Verharmlosung“, hieß es u.a. wörtlich. Oder: „Wenn es stimmt, was in dieser Studie steht, muss ich von Mals nach Schlanders oder Latsch ziehen, denn dort ist es anscheinend weniger wahrscheinlich, dass ich Parkinson oder Alzheimer bekomme.“ Auch die Meinung von Professor Christian Kreiß (Hochschule Aalen) wurde zitiert: „Meiner Einschätzung nach sollte in der Diskussion um die Gefährlichkeit des Einsatzes von Pestiziden in der Landwirtschaft in Südtirol die so genannte Wegher-Studie, wegen gravierender methodischer wissenschaftlicher Mängel, auf die auch die Onkologin Gentilini hinweist, nicht berücksichtigt werden.“ Lino Wegher widersprach der Kritik: „Die Studien fußen auf Daten und Fakten, vor allem, was die Inzidenz von Tumorerkrankungen betrifft, zumal wir ja auf die Tumorregister zurückgreifen konnten.“ Zu teils emotionalen Wortmeldungen kam es auf beiden Seiten. So war etwa aus der Ecke der Bauern und Obstwirtschaft zu hören, dass Professor Greiser in seinen eigenen Reihen als Epidemiologie nicht unumstritten sei, dass man verkenne, dass im Vinschgau 8.000 Familien vom Obstbau leben, dass prinzipiell nur möglichst wenig gespritzt werde „und dass jetzt nur deshalb gegen diese Studien zu Felde gezogen wird, weil etwas gezeigt wurde, was man sich nicht erwartet hatte.“ Außerdem seien die Anwender von Wirkstoffen die ersten, die daran interessiert seien, dass ihre Gesundheit und die ihrer Kinder nicht gefährdet würde. Eines stand nach mehrstündiger Debatte fest: Die Diskussion rund um das Thema Pestizide ist noch lange nicht zu Ende. Wie die Vorsitzende Ingrid Karlegger abschließend ankündigte, wird die Umweltschutzgruppe dieses Thema, dem sie sich seit vielen Jahren widmet, auch in Zukunft nicht aus den Augen verlieren. Angehört hat sich das Podiumsgespräch auch der Sarner Landtagsabgeordnete Franz Locher.

Josef Laner
Josef Laner

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