Rotwildbestand braucht alte Hirsche
Publiziert in 14 / 2015 - Erschienen am 15. April 2015
Hubert Zeiler: „Reduktion nicht über das Knie brechen“
Schlanders - Wie ist es möglich, dass der Rotwildbestand wächst, obwohl Jahr für Jahr mehr Stück geschossen werden? Wie lässt sich die Rotwilddichte reduzieren? Das waren zwei Kernfragen, auf die der Wildbiologe, Jäger und Buchautor Hubert Zeiler aus Kärnten am Freitag im fast voll besetzten Kinosaal in Schlanders mit Antworten aufwartete. Wenn der Bestand trotz höherer Abschusszahlen zunimmt, sei das auf mehrere Faktoren zurückzuführen. So haben Forschungen ergeben, dass weibliches Wild auch ohne menschliches Einwirken stärker zuwächst als männliches. Es wurde mehrfach festgestellt, dass Wildkälber (weibliche Jungtiere) leichter über die Runden zu bringen sind, nicht so schwer sind wie Hirschkälber (männliche Jungtiere), die Mutter weniger belasten und mehr in Fettreserven investieren. Das hat z.B. zur Folge, dass in strengen Wintern mehr Wildkälber überleben als Hirschkälber. Außerdem fahren Hirsche eine andere Lebensstrategie als Tiere (Hirschkühe). Während Tiere mehr darauf bedacht sind, zu überleben, geht es dem Hirsch in erster Linie um die Reproduktion.
Die Ursachen bzw. Faktoren für eine Verschiebung des Rotwildnachwuchses auf die weibliche Seite sind vielfältig: hohe Wilddichte, wenig alte Hirsche, Kahlwildüberhang, mehr Ausfall bei Hirschen und Hirschkälbern, viel junges Wild (Schmaltiere). Wird bei der Reduzierung der Dichte ausschließlich auf die Stückzahl gesetzt, wird das Ziel nicht erreicht. Zeiler: „Das Gegenteil ist der Fall, denn die Bestände werden nach oben ‚geschossen’“. Es sei bei den Abschussplänen vielmehr darauf zu achten, Kahlwild abzubauen und den Hirschbestand aufzubauen. Ein Rotwildbestand brauche alte Hirsche: „Reife Väter sorgen für eine kurze Brunft, haben einen hohen Befruchtungserfolg, und sie zeugen mehr Hirschkälber als junge und mittelalte Väter.“
Bei Reduzierungsmaßnahmen sollten Hirsche erst gar nicht ins Visier genommen werden. Zeiler plädiert dafür, pro Hirsch je zwei Tiere und zwei Kälber zu schießen. Die derzeitige Hegerichtlinie für das Rotwild in Südtirol sieht pro Hirsch ein Tier und ein Kalb vor. In Kärnten gilt mittlerweile das Verhältnis 1:4. Hirsche können 18 Jahre alt werden. „Ein 5-jähriger Hirsch ist nicht alt, sondern im Vergleich zum Menschen erst ein 20-jähriger Bursche.“ Über das Knie brechen soll man eine Reduktion nicht. Dafür brauche es relativ lange Zeit, auf jeden Fall mehr als einige wenige Jahre. Die Rotwilddichte ist in weiten Teilen des Vinschgaus bekanntlich sehr hoch. Als gut nannte Zeiler einen Rotwildbestand mit 5 bis 6 Stück pro 100 ha. Bei 10 Stück sei die Dichte hoch und bei einer noch höheren Dichte kann es zu teils argen Problemen für die Jäger sowie für die Land- und Forstwirtschaft kommen. Grundsätzlich hielt Zeiler fest, dass das Rotwild zwar sehr gut erforscht ist, „dieses Wissen aber in der Praxis zu wenig umgesetzt wird.“ Bei der Diskussion wurde u.a. gefordert, die Abschusspläne so aufzustellen, dass sie erfüllbar sind. Die Jagdzeiten seien zu verkürzen.
„Bezirksweit denken und handeln“
Hanspeter Gunsch, Jäger und Außenamtsleiter der Nationalparks, plädierte dafür, weiträumig zu denken und die Rotwilddichte im gesamten Jagdbezirk Vinschgau auf ein tragbares Niveau zu senken: „Es darf nicht jedes Revier seine eigene Suppe kochen. Wir müssen versuchen, das Hirsch-Alter bezirksweit hinaufzudrücken“, sagte Gunsch. Auf breite Zustimmung stieß auch folgende Äußerung eines Jägers: „Dieser Vortrag ist wunderbar, er kommt aber 20 Jahre zu spät.“ Auch selbstkritische Wortmeldungen waren zu hören. So würden etwa in manchen Revieren zwar bis zu 60% Kälber geschossen, während sich hingegen der Eingriff in die reproduktionsfähige Klasse auf nur 10 oder 11% beschränke. Sepp

Josef Laner