Schlinig
Publiziert in 2 / 2004 - Erschienen am 29. Januar 2004
Fotos: Florian Peer, Text: Andrea Perger
[F] Am Schmugglerpfad [/F]
Ortsnamensbedeutung:
Urkundlich erwähnt wurde Schlinig erstmals im Jahre 1159 als „Sliniga“, Mundart: „Schlinii“, amtl. ital. Name: „Slingia. Der Name stammt aus vom Vorrömischen „Salinica“ ab, was „zum kleinen Bachtal gehöriges Gelände“ bedeutet.
Quellen
„Geschichte der Hofgemeinschaft“ Schling von Martin Angerer 1981
„Vinschgau“ von Josef Rampold 1871
„Die Ortsnamen Südtirols und ihre Geschichte Band 1“ von Egon Kühnebacher, herausgegeben vom Landesdenkmalamt Bozen
Informationen: Sepp Saurer, Martin Angerer
[F] Historisches [/F]
Schlinig tritt urkundlich nachweisbar bereits im Jahre 1159 auf, und zwar in einer Schenkung an das Kloster Marienberg. Die Geschichte des Dorfes ist mit jener des Klosters eng verbunden, denn 1220 wurde bereits das ganze Schliniger Tal diesem übergeben (Originalurkunde erhalten). Das Kloster hatte nicht nur die Seelsorge des Tales in der Hand, der Abt von Marienberg besaß bis 1857 auch die Gerichtsgewalt und war Grundherr. Im 14. Jh. wurde das Schliniger Tal wie seine Umgebung von zahlreichen Katastrophen heimgesucht, einer Heuschreckenplage, heftigen Erdbeben und im Jahre 1348 sogar von der Pest. Die Ereignisse jener Zeit sind dank des verdienten Chronisten und Geistlichen Goswin genau protokolliert. In der Gemeinde- ordnung aus dem 16. Jh. ist das Dorfleben genau geregelt. Am 1. Mai traf sich die Hofgemeinschaft Schlinig und Amberg und wählte aus ihrer Mitte einen Dorfmeister, einen Saltner und einen Wirt. Interessant ist, dass das Amt des Wirtes jedes Jahr neu vergeben wurde. Den Saltner könnte man am ehesten als Fluraufseher bezeichnen, das Amt des Dorfmeisters besteht heute noch. Weiters fällt auf, dass die Gemeindeordnung sehr weitsichtig verfasst wurde. Die Weidewirtschaft, aber vor allem der Holzschlag waren derart reglementiert, dass die Nachhaltigkeit sichergestellt war.
Interessant ist auch der Einfluss des Klosters in Zusammenhang mit der Entscheidung zur deutschen Muttersprache des Tales im 17. Jh. Über das nahe Engadin sickerte aber nicht nur die rätoromanische Sprache, sondern auch die reformierte Lehre ins Tal. Abt Matthias Lang förderte aus diesem Grund mit allen Mitteln die deutsche Sprache, erschwerte Heiraten mit romanischen Bündnerinnen und Ansiedlung von Romanen.
[F] Dorfzahlen [/F]
Ende März 2003 zählte Schlinig 187 Einwohner. Durch seine Lage auf 1736 Metern über dem Meeresspiegel zählt das Dorf zu einer der höchstgelegenen Ortschaften des Tales.
Schlinig war bis ins Jahr 1927 zusammen mit den Ortsteilen Amberg und Marienberg eine eigenständige Gemeinde.
[F] Dorfleben [/F]
Früher war Schlinig ein Bergbauerndorf, heute ist Schlinig ein Bergbauerndorf, in dem der Tourismus floriert. So beschreibt man mir das Dorf mit einem Zwinkern. Wahr ist, dass die jüngere wirtschaftliche Entwicklung des Dorfes eng mit der touristischen Erschließung verbunden ist. Diese setzte etwa um 1900 ein. Der deutsch- österreichische Alpenverein Pforzheim bestimmte in diesem Jahre Schlinig als Standort für eine vereinseigene Hütte, die nach Verhandlungen mit der damals eigenständigen Gemeinde Schlinig in der Rekordzeit von einem Jahr fertig gestellt wurde. Nach dem Bau der Engadiner Eisenbahn und Verhandlungen mit der Gemeinde Sent und dem Kanton Graubünden, wurde die Uina- Schlucht durch einen 980 m langen Wandersteig erschlossen, der um 1910 gebaut wurde. Dieser Steig gilt als einer der schönsten Übergänge in den Ostalpen. Diese Hütte und der Steig waren bis zum 1. Weltkrieg ein voller Erfolg des einsetzenden Alpentourismus. Während des Krieges wurde die Hütte ausgeraubt und nach Kriegsende vom Staat übernommen. Da der Uina-Steig zur Schmugglerroute wurde, besetzte man die Hütte mit der Finanzwache. Aus diesem Grunde entstand um 1926 auch die Kaserne im Dorf Schlinig, die heute nicht mehr als eine hässliche, ungenutzte Ruine ist. Die Erbauung eines Langlaufzentrums wäre nach ihrem Abriss geplant, doch der Baubeginn lässt auf sich warten. Lediglich ein Teil der Kaserne wird vom S.V. Sesvenna als Magazin und Garage für Pistenfahrzeuge genutzt, nachdem der Verein auf eigene Kosten kleinere Umbauarbeiten vorgenommen hat. Schmuggler konnten kaum gefasst werden und so sollen die Wachen in den 60er Jahren sogar das Mobiliar der Pforzheimer Hütte verbrannt haben, um sie nicht mehr besetzen zu müssen. 1972 wurde die Station aufgelassen, nachdem man, zwar spät, die Sinnlosigkeit der Einrichtung erkannt hatte. Die Schliniger bedauerten diese Entscheidung kaum. Nach dem Abzug der Finanzwache standen Kaserne und Hütte leer, bis sie 1998 dem Land Südtirol übergeben wurden. Das Langlaufzentrum, dessen Entstehung von den Verantwortlichen eigentlich schon abgesegnet wurde, wäre eine hart erwartete Ergänzung der Infrastruktur für den Langlauf.
Hauptberuflich leben noch heute viele Schlinger von der Berglandwirtschaft, so gibt es 18 bäuerliche Betriebe in Schlinig und 8 in Amberg. Als willkommener Nebenerwerb wird der gepflegte Tourismus stark gefördert. Dabei bestehen diese Wirtschaftszweige in perfekter Symbiose nebeneinander. Die Höfe in Schlinig haben eine recht beachtliche Braunviehzucht mit einem Viehbestand von etwa 700 Stück. 70 % der Tiere werden im Sommer auf die Alpweide gebracht. Die Alpinteressentschaft von Schlinig kann sich dabei rühmen eines der schönsten Wirtschaftsgebäude des Tales zu haben.
Auf den Almen mit ihrer herrlichen Flora werden einige Tonnen Käse produziert, die von Einheimischen und Touristen, die im Sommer noch zahlreicher ins Tal strömen als im Winter, gerne gekauft und genossen. Der Kirchenpatron von Schlinig ist der hl. Antonius. Da so aber im Januar Kirchtag ist, feiern die Schliniger eher den Tag der hl. Anna im Sommer. Trotzdem wird am Kirchtag ein Gottesdienst gefeiert und am Abend meist ein Ball veranstaltet.
Obwohl Schlinig sich in den letzten Jahren sehr verändert hat, hat man sich im Dorf auch immer bemüht das Ursprüngliche zu erhalten, was auch recht gut gelungen ist. So ist Schlinig heute ein charaktervolles Dorf, dessen Kultur, Tradition und Dorfleben durch den Wandel der Zeit nichts an seiner Originalität eingebüßt hat.
[F] Wanderung [/F]
Die Wanderung auf die Schliniger Alm ist zu jeder Jahreszeit empfehlenswert. Jetzt im Winter ergibt sich ein Spaziergang durch eine reizvolle Wintermärchen-Landschaft. Idyllischer könnte eine Winterwanderung kaum sein: der Bach mit seinen einmaligen Eisskulpturen, die tief verschneite Landschaft und die angenehme Ruhe die hier spürbar ist. Vom Dorf aus erreicht man die Alm nach einer guten halben Stunde, doch ich empfehle Ihnen, sich Zeit zu nehmen und diese beeindruckende Natur mit allen Sinnen zu genießen.