Schule während der Corona-Zeit
Bernadette Thaler, Mutter von vier Kindern und Geschäftsfrau in Mals, ließ uns Anfang Mai folgenden Beitrag zukommen.
Mals - Ich habe vier Kinder und führe mit meinem Mann einen Betrieb. Seit nun acht Wochen sind unsere Geschäfte geschlossen. Wir haben so gut wie keine Einnahmen. Dafür haben wir seit acht Wochen Fernunterricht aller drei Schulstufen plus ein Kindergartenkind daheim. Unsere Kinder haben alle immer recht selbstständig und fleißig für die Schule gearbeitet, bei früheren Hausaufgaben gab es selten Probleme. Nun ist es anders. Seit acht Wochen schweben wir alle im Wechselbad der Gefühle auf und nieder. Ich als Mama bin natürlich die am meisten Betroffene. Mein Mann ist da und kümmert sich um vieles, hat aber, seitdem wir Waren liefern dürfen, von morgens bis abends für den Betrieb zu tun. Nicht, dass er damit in irgendeiner Weise reich werden würde, nein, er arbeitet das Dreifache für ein Zehntel des normalen Verdienstes. Ich bin die Schaltzentrale, an der alles zusammenläuft. Nach anfänglichen Wochen der Euphorie (Aufräumen, Ausmisten, Putzen, Umräumen…) folgten Wochen der Lethargie (wozu am Morgen aufstehen, wenn wir eh nichts machen müssen/dürfen, nicht mal spazierengehen?) und nun ist so etwas wie ein Alltag eingekehrt: Nach dem gemeinsamen Frühstück (während dem mein Mann schon zwischen Handy, Computer und Haustür zirkuliert) setzen wir uns an die Hausaufgaben. WIR wohlbemerkt, denn wenn ich nicht daneben sitze, neigen die Schülerinnen zu Ablenkung und Demotivation, kommen absolut nicht weiter und versinken in Verzweiflung. Also sitze ich daneben, habe ja auch noch ein Kindergartenkind zu beschäftigen, welches zwar brav mit uns am Schultisch sitzt, aber nicht versteht, warum es nicht lauthals singen darf während des Malens. Da zischen die großen Schwestern schon „Pscht, wie soll ich mich konzentrieren?“, „Kann sie nicht irgendwo anders hingehen?“ Das Grundschulkind hat die ersten Wochen jedes Mal bei der Aufforderung „Aufgaben machen“ einen Wut- oder Verzweiflungsanfall bekommen, die geforderten Arbeiten widerwillig und schlampig dahingeschmiert, dass halt etwas gemacht ist und ich Ruhe gebe. Dann kam eine Mail der Lehrerin, dass sie diese Arbeitsweise nicht gewöhnt ist und weiß, dass die Schülerin mehr kann. Nach dem nächsten Anfall und Gut-Zureden durch den Paten kam dann der Umbruch, seitdem erledigt das Grundschulkind recht selbstständig die Aufgaben, mehr oder weniger motiviert, je nach Tagesverfassung.
Das Mittelschulkind hatte während der ersten Wochen aus den Arbeitsaufträgen vor allem herausgehört, dass „wenn du möchtest, kannst du…“ und „freiwillig“ und „Angebot zum Fernunterricht“. Nach der dritten Woche hieß es plötzlich, die Aufgaben in allen zig Fächern wären abzugeben. Auf einmal ging es rund in dem Mittelschulköpfchen. Alles nachholen, was drei Wochen lang versäumt wurde, das war dann doch viel. Nun hatte sich unser Grundschulkind beruhigt, aber das Mittelschulkind bekam die Krise. Gespräche mit den sehr bemühten Lehrerinnen waren beruhigend, aber das Angebot, manche der Aufgaben zu streichen, wollte der Stolz der Schülerin dann doch nicht zulassen. Also wurden innerhalb von zwei Wochen in Vollzeit alle Aufgaben (vergangene und aktuelle) aufgearbeitet. Viel mit meiner Hilfe, denn immer wieder ließ die Motivation nach, und manche Fächer mussten dermaßen detailliert bearbeitet werden, dass es schon eines Hochschulstudiums bedarf. Aber wir schafften es und waren unendlich stolz darauf, auch nachdem die Arbeiten wohlwollend bewertet wurden („Kompliment für deinen eisernen Willen“).
Das Oberschulkind (zwar nicht mehr Kind, aber doch mein Kind) bekam dann die Krise, als sich Grundschul- und Mittelschulkind beruhigt und an die Situation gewohnt hatten. Die Oberschülerin merkte, dass der Fernunterricht nicht mal so schlecht ist. Sie kann ausschlafen, sich ihre Arbeitsaufträge einteilen, wird nicht abgelenkt, weil sie mit befreundeten Mitschülerinnen während des Unterrichts die Wochenenden durchkauen muss, hatte keine Termine einzuhalten … idealer können die Ausgangsbedingungen für ein fruchtbares Lernen nicht sein. Nach ein paar Wochen hatte sie gemerkt, dass ihre Familienmitglieder doch nicht so ein langweiliger Umgang sind und wir es eigentlich sehr lustig zusammen haben können. Doch dann folgte unweigerlich auch dort ein Tiefpunkt. Nachdem sie nun endlich ordentlich für die Schule arbeiten konnte, fiel ihr auf, dass nicht alle Lehrer auf ihre Bemühungen eingingen. Großteils klappte es gut mit dem Verteilen der Arbeitsaufträge, Videokonferenzen, Chats usw., aber von einer Lehrperson erhielt die Schülerin nach sieben Wochen voller Aufgaben keine persönliche Rückmeldung. Im Endeffekt war es wieder ich, die Mails schrieb und Telefonate führte. Auf einmal bekomme ich als Mutter viel mehr Einblick in den Unterricht meiner Kinder. Soviel Geschichte, Mathematik und Englisch habe ich vermutlich während meiner gesamten Schulkarriere nicht ernst genommen. Ich sehe auch, wie unterschiedlich meine Kinder arbeiten und deren Lehrer. Respekt habe ich vor den Lehrern, die umgehend und persönlich auf jedes Mail antworten, denn das ist die einzige Rückmeldung, die die Kinder im Moment haben und die ihre Lernbereitschaft aufrechterhält. Den allergrößten Respekt aber habe ich vor den Kindern, die daheim ohne Schulfreunde seit acht Wochen ihre Aufgaben erledigen, in immer denselben Räumen mit einer Lehrerin (mich), die nicht immer alles kann und auch nicht alles können will, aber trotzdem muss und dementsprechende Launen hat. Diese Woche durften wir die verbliebenen Schulsachen aus der Schule holen, eine traurige Angelegenheit, wenn wir bedenken, dass erst in vier Monaten normaler Unterricht sein soll. Und doch, es hat uns zusammengeschweißt. Ich habe so viel dazugelernt, ich achte meine Kinder umso mehr, ich habe ihre Stärken und Schwächen noch besser kennengelernt, sie aber auch die meinen. Wir haben zusammen gelacht, aber auch geweint in diesen Wochen, wir hatten aber keinen Stress am Morgen und keinen Termindruck am Nachmittag. Einige Hobbies, die uns fehlen, werden wir beibehalten, bei anderen haben wir gemerkt, dass sie eigentlich überflüssig sind. Manches werden wir für die Zukunft beibehalten, manches ändern, manches streichen. Und das gilt für alle von uns, egal ob Oberschul-, Mittelschul-, Grundschul- oder Kindergartenkind, aber vor allem für uns Erwachsene!
Bleibt nur noch der wirtschaftliche Gedanke, aber das ist wieder ein anderes Thema!
Bernadette Thaler