Ein Wachtelkönig (Crex crex)
Das Brutgebiet am Agumser Berg, aufgenommen von der Prader Sand. 

Sensation am Agumser Berg

Die Brut eines Wachtelkönigpaares ist eine Besonderheit.

Publiziert in 23/24 / 2020 - Erschienen am 16. Juli 2020

Agums/Prad - Er gilt als einer der seltensten Vogelarten der Welt und befindet sich auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten: Der Wachtelkönig (Crex crex). Seit Jahrzehnten beobachten Biologen, Zoologen und Vogelkundler auch in Südtirol das Vorkommen dieses seltenen Wiesenbrüters. Ihn zu sehen gilt als fast unmöglich, nach dem knarrenden Gesang des Männchens bei Nacht sucht Udo Thoma, Zoologe und Ornithologe, seit Jahrzehnten: 2011 und 2012 konnte er ein Männchen in den Wiesen von Prad lokalisieren, 2013, 2014 und 2019 in Mals, 2013 und 2019 auf der Malser Haide, 2014 im Münstertal bei den Calvenwiesen. Andere Vogelkundler wiederum hören das Rufen einzelner Männchen ab 2009 in den Gemeindegebieten von Graun und Glurns, wie die online-Datenbank von ornitho.it, italienische Informationszentrale für Ornithologen, belegt. Kein einziges Mal jedoch wurde in diesem Zeitraum eine Brut nachgewiesen.

„Hat fast Tag und Nach gerufen“

Als Udo Thoma am 12. Mai in den Wiesen am Agumser Berg den Wachtelkönig rufen hört, ist das nur der Anfang dessen, was auch andere in den kommenden Wochen begeistern wird, allen voran die Familie Zoderer am Patzleid-Hof, deren Abendstunden mit lauten Balzrufen Rätsch! Rätsch! des Männchens untermalt werden. „Er hat ja Tag und Nacht gerufen und wir wussten nicht, welcher Vogel das war. Udo Thoma erklärte mir dann, dass der Vogel äußerst selten und vom Aussterben bedroht sei“, sagt Josef Zoderer. Mitte Mai hört ein kleiner Trupp Interessierter, unter ihnen auch Tierfilmer Dietmar Gander, dem Balzgesang des Männchens vom Patzleid-Hof aus zu, in den kommenden Tagen konnte Udo Thoma nicht nur am Agumser Berg, sondern auch beim Naturdenkmal Schilfwiese Gulmoos bei Lichtenberg und in den Wiesen unterhalb von St. Martin bei Glurns jeweils ein Männchen hören. Bergbauer Zoderer hatte dann das Glück, das den Ornithologen verwehrt blieb: Als er am 25. Juni  mähte, konnte er nicht nur das Weibchen sehen: Vor ihm flüchtete die aufgeregte Schar der Wachtelkönigjungen: „Als ich über die letzte noch zu mähende Wiese fuhr, haben sich das Weibchen und ihre drei schon recht großen Jungen vor dem Traktor in die angrenzenden Sträucher am Waldrand gerettet. Das Rufen haben wir ab Ende Juni nicht mehr gehört“. Diese Wiese, sagt Zoderer, mähe er oft erst zu diesem Zeitpunkt.

Einer der ersten Brutnachweise nach Jahrzehnten

„Es ist eine Sensation“, bestätigt auch Leo Unterholzner, ehemaliger Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Vogelkunde und Vogelschutz-Südtirol: „Im Erhebungszeitraum 1987 - 1991 für den ersten Brutvogelatlas wurde nur im Raum Brixen und bei Toblach ein Brutnachweis erbracht. Beobachtungen rufender Exemplare waren auf der Malser Haide, im Pustertal und Antholzer Tal. Im Rahmen der Bestandserhebung der Arge Vogelkunde 2003 wurden von zwölf Beobachtern in sieben verschiedenen Gebieten des Landes 45 Stunden lang Wachtelkönige gesucht. Nur sechs rufende Wachtelkönige konnten nachgewiesen werden, eine Brut jedoch nicht“. Der Lebensraum des klassischen Wiesenvogels, der in Ostafrika überwintert, ist in den letzten Jahrzehnten vor allem durch die Intensivierung der Landwirtschaft und die damit einhergehende Verarmung an Vielfalt zurückgegangen; der Bestand in Mitteleuropa ist fast ausgelöscht. Der Wachtelkönig braucht Wiesen, die ihm Deckung und vielfältige Nahrung bieten. Eine spätere Mahd ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, bestätigen Udo Thoma und Leo Unterholzner. Beide sind übrigens Mitarbeiter des Interreg-Projektes „Wiesenbrüter in der Terra Raetica“, dessen Trägerin die Gemeinde Mals ist und das sich dem Schutz der Wiesenvögel verschrieben hat. 

Katharina Hohenstein
Katharina Hohenstein
Vinschger Sonderausgabe

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