Steuerdruck für die Grenzpendler wird größer
Publiziert in 41 / 2015 - Erschienen am 18. November 2015
Wichtigen Entscheidungen im Parlament. Albrecht Plangger: „Einige Ungerechtigkeiten konnten beseitigt werden.“ Grenzpendler nicht mit „Steuerflüchtlingen“ gleichsetzen.
Rom/Vinschgau - Im römischen Parlament sind in der ersten Novemberhälfte wichtige Entscheidungen für die Grenzpendler und die italienischen Gastarbeiter in der Schweiz gefallen. Am 3. November wurde die neue Auflage des Abkommens zwischen der Schweiz und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung weiterer Fragen bezüglich der Besteuerung von Einkommen und Vermögen ratifiziert. Am 13. November wurde ein Nachfolge-Gesetzesentwurf bezüglich der Kapitalrückführung aus dem Ausland genehmigt. Man schrieb das Jahr 1976, als die Schweiz und Italien beschlossen haben, mit einem eigenen Abkommen die geordnete Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Staaten zu verstärken. Schon in der Präambel heißt es, dass die Vorteile dieses Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausschließlich jenen Steuerpflichtigen zugute kommen, die ihre steuerlichen Pflichten erfüllen. Dieses Abkommen wurde nach zähen, dreijährigen Verhandlungen am 23. Februar 2015 in Mailand vom Wirtschafts- und Finanzminister Pier Carlo Padoan und der Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf abgeändert und neu abgeschlossen.
Neues Abkommen
der Vinschger fragte den Kammerabgeordneten Albrecht Plangger, was mit dem neuen Abkommen erreicht wurde. Plangger: „Zum einen wurde eine Anpassung des Abkommen an die Standards der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OECD) für den Informationsaustausch im Bereich der Versteuerung erreicht. Ein weiteres Ziel war es, mit dem Gesetz der Kapitalrückführung aus dem Ausland, dem sogenannten ‚voluntary disclosure’, sprich ‚Selbstanzeige’, Synergien zu schaffen, wobei dieses eine vorteilhafte rückwirkende Steuernachzahlung ermöglicht, noch bevor der automatische Informationsaustausch erfolgt.“ Weiters sollte der Vertrag zur Besteuerung der Grenzpendler verbessert werden, „mit einer Garantie für den Steuerausgleich an die Wohnsitzgemeinden und Garantien zur Höchstbesteuerung der Grenzpendler.“ Hand in Hand mit der Neuauflage des Abkommens wurde auch eine Art Fahrplan genehmigt, der laut Plangger eine klare politische Verpflichtung hinsichtlich mehrerer Punkte der zwischenstaatlichen Beziehungen auf steuerlicher und finanzieller Ebene beinhaltet. Der Fahrplan schließt folgende Punkte mit ein: 1: Verpflichtung beider Staaten, zukünftig die zwischenstaatlichen OECD-Standards zu übernehmen; 2: Regularisierung der Vergangenheit und Austausch von Steuer- Informationen auf Anfrage: beide Staaten können Gruppenanfragen stellen, soweit diese den OECD-Standards entsprechen, um jene Steuerzahler zu identifizieren, die Vermögenswerte zu verbergen versuchen; 3: In einer zweiten Phase wird die Konvention auf weitere Punkte überprüft, etwa bezüglich der Reduzierung der Steuersätze bei Dividenden und Zinsen; 4: Besteuerung der Grenzpendler: Zukünftig werden die Grenzpendler im Staat , wo sie arbeiten und im Staat, wo sie ihren Wohnsitz haben, besteuert. Die Quellsteuer in der Schweiz wird von 62,8% auf 70% angehoben. Die Gesamtbesteuerung der Grenzpendler wird nicht niedriger sein als die derzeitige und anfänglich auch nicht höher; 5: Bei der Restbesteuerung gilt nicht mehr der heutige Höchst-Steuerfreibetrag (für 2015 gelten 6.700 Euro), sondern es kann die gesamte in der Schweiz entrichtete Steuer in Abzug gebracht werden. In der Schweiz sind die Steuersätze allerdings erheblich niedriger.
Bankgeheimnis
ist definitiv gefallen
Mit dem neuen Abkommen mit Italien und den mit der EU noch anstehenden Vereinbarungen ist in der Schweiz das Bankgeheimnis definitiv gefallen. Plangger: „Es gibt nun einen automatischen Informationsaustausch. Dieser wird 2018 greifen, rückwirkend bezogen auf das Jahr 2017.“ In der Schweiz gehaltenes Vermögen könne deshalb kaum mehr vor der italienischen Finanzverwaltung verheimlicht werden. Detail am Rande: Die Schweizer Kantone haben keinen Zugriff auf die Bankdaten der Schweizer Steuerzahler, die der Steuerhinterziehung verdächtigt werden. Endgültig genehmigt wurde das Abkommen am 3. November in der Abgeordnetenkammer. „Für die Grenzpendler wird der Steuerdruck in Zukunft größer, für die Grenzgemeinden mit vielen Grenzpendlern wir es aber weiterhin den Steuerausgleich geben. Die Schweiz behält sich nunmehr 70% der Steuern, und nicht mehr 62% wie bisher, und jeder Grenzpendler wird höchstwahrscheinlich nach 2018 auch eine Steuererklärung in Italien machen müssen“, bringt Plangger die Folgen des Abkommens auf den Punkt.
„Selbstanzeige“
Im Dezember 2014 führte Italien mit einem eigenen Gesetz das System der sogenannten „Selbstanzeige“ ein. Der Termin wurde bis zum 30. November 2015 verlängert. Plangger: „Innerhalb dieser Frist besteht nun die Möglichkeit, Vermögen, die von italienischen Steuerpflichtigen im Ausland gehalten werden und die nicht deklariert sind bzw. mit Steuerhinterziehung in Verbindung stehen, zu deklarieren, die eigene Steuerposition zu sanieren und einen Strafnachlass auszunutzen.“ Unter der Regierung Berlusconi hatte es noch „Schutzschildregelungen“ gegeben. Beim neuen System der „Selbstanzeige“ sind die geschuldeten Steuern zur Gänze nachzuzahlen. Nachlässe gibt es nur in Bezug auf die anwendbaren Strafen. Wie schon erwähnt, verfügt Italien nun über den automatischen Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden. Italien hatte bereits in Vergangenheit Meldepflichten für alle im Ausland befindlichen Vermögen eingeführt, um vor einer Steuerhinterziehung abzuschrecken. Es wurden auch drastische Strafen vorgesehen: 5% bis 50% des nicht gemeldeten Betrages und Beschlagnahme eines äquivalenten Betrages. Mit dem Fall des Bankgeheimnisses in der Schweiz hat der italienische Fiskus laut Plangger ein wahres „Schlaraffenland“ entdeckt: „Diesmal scheint die Aktion auch recht erfolgreich zu sein, da alle Erwartungen des Staatshaushaltes bereits übertroffen wurden. Man hoffte auf Einnahmen von ca. 4 Milliarden Euro. Am 5. November waren ca. 2,5 Milliarden in Reichweite und am 11. November sind es schon 3,2 Milliarden Euro. 79.258 Gesuche lagen bis dahin vor.“ Insgesamt sollen ca. 700 Milliarden Euro in der Schweiz liegen.
Grenzpendler sind
keine „Steuerflüchtlinge“
Als nach wie vor großen Wehrmutstropfen betrachtet der Vinschger Parlamentarier das Verhältnis des Finanzministeriums zu den Grenzpendlern und italienischen Gastarbeitern, die aus Arbeitsgründen ausgewandert sind und in die AIRE-Register eingetragen werden mussten: „Das Ministerium wollte bei der ‚Selbstanzeige’ partout keinen Unterschied machen zwischen einem Grenzpendler, der unter großen Entbehrungen täglich in die Schweiz pendelt und dort sein Geld verdient, und sogenannten Steuerflüchtlingen, die dem italienischen Fiskus Kapital vorenthalten. Die Verletzung der Meldepflicht bedeutet Steuersünder, unabhängig ob jemand in der Schweiz Geld verdient oder dort Geld vor dem italienischen Fiskus versteckt.“ Ein erster Akt der Gerechtigkeit konnte am vergangenen 13. November erreicht werden. Plangger: „Mit der Verabschiedung des Nachfolge-Gesetzesdekretes in der Abgeordnetenkammer wurde mehr Klarheit über steuerpflichtiges Vermögen im Ausland geschaffen. Erstens hat man noch bis zum 30. November Zeit, sich mit der eigenen Steuerposition auseinanderzusetzen und zweitens können im Rahmen der ‚Selbstanzeige’ nun auch alle Leistungen der Pensionsfürsorge, die z.B. in der Schweiz bezogen wurden, in Italien nachversteuert werden, und zwar einheitlich mit 5% und ohne Strafen.“ In der Parlamentskommission wurden die „Selbstanzeige“ und das Nachfolge-Dekret von der Kammerabgeordneten Renate Gebhard betreut. Es sei laut Plangger gelungen, mit dem Dekret einige offensichtliche Ungerechtigkeiten oder Ungleichbehandlungen zu beseitigen, auch bezüglich der Meldepflicht von im Ausland gehaltenen Vermögen. Plangger setzt sich zusammen mit einer Gruppe von Parlamentariern der Schweizer Grenzregionen seit Monaten energisch dafür ein, dass ein weiterer Akt der Gerechtigkeit gesetzt werden kann. Es geht um die Ausdehnung der nachträglichen Versteuerung zu 5% ohne Strafen auf sämtliche Vermögenswerte und Bankguthaben - also nicht nur Pensionsversicherungsleistungen -, soweit diese mit der Arbeit in der Schweiz erwirtschaftet wurden. Bisher gibt es dazu noch keinen Durchbruch. Die Gruppe „Amici dei Frontalieri“ gibt aber nicht auf und will im Zuge des Stabilitätsgesetzes für 2016 einen weiteren Vorstoß wagen. Und wenn es erneut nicht klappt? Plangger: „Dann werden wohl viele in den ‚sauren Apfel’ beißen und noch im letzten Augenblick zum Steuerberater gehen müssen, auch wenn der Zinsertrag von Bank- und Gehaltskonten in der Schweiz in den vergangenen Jahren gleich Null war.“ Sepp
Josef Laner