„Strutzen“ in Goldrain
Ein ganz besonderer Unsinn am Unsinnigen hat in Goldrain System und eine lange Vorgeschichte.
Goldrain - Das Kinderrad in schwindelerregender Höhe, die Schubkarre in der Baumkrone, das Holzrad am Straßenschild, Gymnastikball und Rasenmäher auf dem Tischtennistisch, überall verstreut Rodeln, Vogelnetze, Liegestühle und Wäscheständer, eine Hängematte über der Etsch und statt der Einkaufswagen am Despar-Geschäft 5 metallene und eine hölzerne Schubkarre aufgereiht. Die Goldrainer „Strutzer“ hatten zugeschlagen. In der Nacht vom Unsinnigen Donnerstag auf den Freitag wurde der Platz vor dem Bruggenwirt zum Trödelmarkt. „Heuer waren sie eher bescheiden“, stellte Martina Oberhofer fest. Die Bibliothekarin und Chronistin hatte auf diesen besonderen Brauch in Goldrain aufmerksam gemacht. „Früher haben sie an die 20 Holzlehnen an die Feuerwehrhalle gestellt und dem Hansi vom Despar-Laden einen Sprüher vor die Tür geparkt und …“ Belustigt reihte sie eine Episode an die andere und näherte sich einem mit Plastikplanen überzogenem Gestell auf dem Gehsteig vor dem Bruggenwirt. „Da müssen schon mehrere Hände am Werk gewesen sein“, meinte sie und rief entsetzt: „Aber das ist ja mein Gewächshaus!“ Unter die Schadenfreude mischte sich nun Ärger. „Ich muss das ja wieder zurückbringen. Wie haben die das Gestänge überhaupt aus dem gefrorenen Boden gebracht.“ Martina verspricht, ältere Mitbürger einzuladen und diesem „Goldrainer Unsinn“ auf den Grund zu gehen.
Dem „Unsinn“ auf den Grund gehen
Das Dialektwort strutzen bedeutet nach dem „Tiroler Idiotikon“ (1866) ziehen, zerren, schleppen und hat einen negativen Unterton. Etwas ziehen ist eine Sache, etwas strutzen bedeutet mühevolles, nutzloses Ziehen. In der Goldrainer Bibliothek wollte man alles klären. Franz Wellenzohn, 84, und Sepp Traut, 80, schwelgten lieber in Jugenderinnerungen oder führten Goldrainer Originale an. Sie schmunzelten und lachten über Streiche, die nicht nur zum Unsinnigen in Goldrain gespielt wurden. Nur Franz war selbst ein Strutzer, Sepp hingegen nie. Er führte das auf ein Erlebnis seines Vaters zurück. Der wollte auf dem Fahrrad vom Ortsteil Tschanderle aus die Hebamme holen und fand den Weg durchs Dorf durch die „Strutzerei“ versperrt. Die Geburt sei doch noch gut gegangen. Weniger humorvoll sei es gewesen, erzählte Sepp, dass man mit dem Mist des Messners in Schloss Goldrain den Schlauchturm der Feuerwehr blockiert habe. Franz schilderte, dass sie meistens an die 10 bis 12 Burschen waren und wie sie dem „Kiemen-Luis“ seinen Wagen bis zur „roten Hütt“ (Anas-Haus in Vetzan) gezogen hätten. Der Luis sei derart gut drauf gewesen, dass er den eigenen Wagen nicht erkannt und mit seinem dorfbekannten Lachen selbst mitgeholfen habe. Es fiel wieder ein Dialektausdruck: Die Strutzer wollen jemandem einen „Tugg“ oder „Tuk“ antun, einen tückischen Streich spielen. Die Diskussion ging hin und her. Man kam auf Mutproben junger Burschen zu sprechen oder gar auf persönliche Abrechnungen. Franz schilderte das Zusammentreffen der Tisser Strutzer mit denen von Tschanderle. Man habe sich versteckt, um nicht erkannt zu werden. Sepp meinte, dass man die Leute auch zum Aufräumen gebracht hätte, denn die Strutzer würden alles, was am Haus herum steht oder liegt, mitnehmen. Fast schon übermenschlich klang die Geschichte vom Mistwagen, an die sich Martina erinnerte. Man machte sich die Hanglage von Goldrain zunutze und brachte den vollbeladenen Mistwagen geräuschlos zum tiefsten Punkt an der Etsch. Dort wurde er entladen und der Wagen auf Bretter, die man über das Brückengeländer gelegt hatte, gestellt. Danach wurde der Mist wieder aufgeladen. „Das schon war dann ein Tugg für den Wagenbesitzer“, meinte Martina.
