Studie „Traces“ startetin die zweite Runde
Schlanders - Geschlechtsspezifische Gewalt an Frauen und ihre möglichen Folgen wirken auch in die nächsten Generationen hinein. Das Verschweigen und Verdrängen von Gewalterfahrungen der Eltern- und Großelterngeneration hat die Auseinandersetzung mit der Realität von Gewalt in Südtirol lange erschwert und wurde bisher nicht aufgearbeitet. Die Universität Trient, medica mondiale, das Forum Prävention und das Frauenmuseum Meran haben im vergangenen Jahr gemeinschaftlich die feministisch-partizipative Aktionsforschung „Traces“ (auf Deutsch Spuren) zu Langzeitfolgen von sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Südtirol, ausgehend vom Vinschgau, begonnen. Beim kürzlich zweiten Treffen der Projektpartnerinnen und den verschiedenen Interessensgruppen, den Stakeholdern des Forschungsprojekts ging es Projektleiterin Andrea Fleckinger von der UNI Trient darum, die bisherige Recherche- und Forschungsarbeit sowie die ersten Eindrücke aus den Interviews vorzustellen. Das Projekt sei sehr auf die Zusammenarbeit mit den Stakeholdern angewiesen, denn es erfordere deren Erfahrungen im Berufsalltag und somit einen praxisnahen Zugang. Unter den anwesenden Stakeholdern waren u.a. Vertretungen des Psychologischen Dienstes, der Basismedizin, der Hauspflege, der Sozialdienste, des Family Support, des Frauenhausdienstes Meran, des KVW, der Südtiroler Bäuerinnenorganisation, der Gemeindeverwaltung von Schlanders, der Polizei und der Carabinieri.
„Wir haben es in der Hand, wie Frauen ihre Traumata verarbeiten können“, sagte Monika Hauser, Gynäkologin und Gründerin von medica mondiale zu Beginn des Treffens. „Jedes Jahr bestätigen sich die hohen Zahlen der Gewaltverbrechen an Frauen, und wir dürfen das nicht tolerieren und schon gar nicht wegschauen!“ Sexualisierte Gewalt wurde immer schon als Kriegswaffe eingesetzt, auch hier bei uns, und so seien die Erfahrungsberichte und die Gespräche mit älteren Frauen, deren Töchter oder Enkelinnen sehr aufschlussreich für die Studie. „Wir müssen die Kultur des Schweigens im Vinschgau durchbrechen und das Kontinuum der Gewalt auflösen“, forderte Monika Hauser. Es brauche für die Frauen Mut und Wörter, um die erfahrene sexualisierte Gewalt anzusprechen, über die sie vielleicht ihr Leben lang nie gesprochen haben.
17 Frauen, darunter Großmütter, Töchter, Enkelinnen haben inzwischen im Rahmen der Studie mit dem Forschungsteam Gespräche geführt und von ihren Erlebnissen erzählt. Zudem haben Gespräche mit Zeitzeuginnen in Seniorenwohnheimen des Vinschgaus stattgefunden. In den Interviews berichteten besonders die älteren Frauen vom fehlenden Schutz in der Mutterschaft, nach der Geburt und im Wochenbett. Viele der Teilnehmerinnen fühlten sich mit ihren Erfahrungen alleingelassen und unverstanden. Schwierige Beziehungsthemen seien oft die Folge gewesen. Als etwas vom Schlimmsten bezeichneten die Frauen, dass die Täter, zumeist aus demselben Dorf oder der Familie, ein unvermindert gutes Ansehen genossen bzw. teilweise noch heute genießen. Dies berichtete Andrea Fleckinger und wies darauf hin, dass sich noch weitere Frauen jeden Alters bei ihr melden können, um mehr Informationen zur Studie zu erhalten, ihre Geschichte zu erzählen und an der Studie teilzunehmen.
In Kleingruppen versuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Antworten und Vorschläge auf unterschiedliche Fragen zu finden. So wurden sie nach ihrem Fortbildungsbedarf befragt, was ihr Arbeitsumfeld an Unterstützung benötige, um offen über das Thema sexualisierte Gewalt zu sprechen, was alle gemeinsam tun können, um das Schweigen zu sexualisierter Gewalt im Vinschgau zu brechen, bei welchen Diensten und über welche Kanäle das Forschungsprojekt „Traces“ weiter bekannt gemacht werden kann und wie weitere Studienteilnehmerinnen gewonnen werden können. Informationen erhalten Interessierte bei Andrea Fleckinger unter andrea.fleckinger@unitn.it oder telefonisch unter 0464 808438.