Sui
Publiziert in 39 / 2013 - Erschienen am 6. November 2013
Für die allermeisten von uns ist der Dialekt die eigentliche Muttersprache und für diese gelten einige Besonderheiten: Wir erlernen sie in den ersten Lebensjahren von der Mutter bzw. den Eltern ganz automatisch ohne formalen Unterricht und so prägt sie sich mit ihren Lauten, Strukturen und Wörtern tief in uns ein. Es ist aus diesem Grund auch ganz normal, wenn ein Dialektsprecher nicht weiß, warum er ein bestimmtes Wort verwendet, warum gerade in diesem Kontext oder was es ursprünglich bedeutete. Hier kommt die Sprachkolumne „Ausdrücke aus dem Vinschgau“ ins Spiel. der Vinschger hatte bereits mit der Serie „Eindrücke aus dem Vinschgau“ das Tal mit all seinen Facetten optisch in Szene gesetzt, die „Ausdrücke“ sollten einen Blick auf das Sprachliche werfen. Beileibe keine einfache Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass die Distanz zwischen dem Reschenpass und der Töll nicht nur in Kilometern eine beachtliche ist und die Grenze bei Eyrs eher dem Ohr als dem Auge zugänglich ist.
Die Themen, mit denen sich die Kolumne beschäftigt hat, sind vielfältig, aber es gibt drei Bereiche, die in besonderer Weise berücksichtigt wurden, weil sie sehr schön belegen, worüber sich der Dialektsprecher sehr häufig äußert und was im Mittelpunkt des menschlichen Interesses steht: Einerseits der gesamte Bereich rund um lokales Brauchtum und Traditionen (z. B. Säalamårkt, Klaubauf, Eïslheïbm, Schaibaschloogsunnta, Faschaangält, Guldanåmp, Larmschtång), dann der kulinarische Bereich, also Essen und Trinken (z. B. Schnäamilch, Piaschtturt, Tirggariibl, Fochaz, Gåffrawåsser, Paalapiiragräascht, girschtas Prout, Fätzener, Luttwärga, Pazlung, Zullawåsser) und schließlich durften auch die existentiellen Themen Gesundheit, Krankheit und Tod nicht zu kurz kommen (z. B. Fraithouf, Ziigngleggl, Maarn, Gäawåadl, Laitpitten, Särber, Wurmäntnschmålz).
Einige der vorgestellten dialektalen Ausdrücke haben sich auch mit aktuellen Anlässen verbinden lassen. Weihnachten, Aschermittwoch, die Karwoche oder Ostern waren beliebte Gelegenheiten, doch auch Profaneres fand den Weg in die Beiträge, sommerliche Wärme, Glühwein, die Apfelernte, für den heutigen Beitrag wäre es mit Sicherheit Allerheiligen oder ein kleiner Seitenhieb auf die vor kurzem abgehaltenen Landtagswahlen gewesen.
Jeder vierte Beitrag war einem erfundenen Vinschger Ehepaar und seiner Familie gewidmet, dem Håns-Sepp und seiner Frau Mena. „Die Vinschger Saga“ hatte einen besonderen Auftrag. Während in den regulären Beiträgen dialektale Ausdrücke in Bedeutung und Herkunft vorgestellt, erklärt und immer wieder auch in Verbindung mit aktuellen Themen präsentiert wurden, waren die kleinen Geschichten aus Håns-Sepps und Menas Leben dazu da, um Wörter und Wendungen ohne theoretisches Drumherum zu verwenden. So wurden beispielsweise zahlreiche Pflanzen- und Tiernamen genauso eingeflochten wie die Übernamen für Bewohner bestimmter Dörfer (wie zum Beispiel die „Oubergrauner Panklhucker“), Auszählreime oder die ganze verbale Bandbreite, die dem Dialektsprecher zur Verfügung steht, wenn jemand langsam arbeitet, stinkt, betrunken ist oder schläft. Vor allem in den ersten Folgen wurde hier ein recht rustikales Bild des Vinschgers gezeigt. Da wurde geschimpft, gejammert und gemault und es fielen auch schon die einen oder anderen gröberen Ausdrücke. Aber so ist das nun einmal. Der Dialekt kommt von Herzen – und da rumpelt es schon ab und zu.
Vor einigen Wochen wurden die Leserinnen und Leser dazu aufgefordert, jene Vinschger Dialektwörter einzusenden, die ihnen besonders gut gefallen. Ich versuche nun drei von den eingesandten Ausdrücken in eine Geschichte zu verpacken und führe Håns-Sepp und Mena ein letztes Mal auf die Bühne: Neu war die Situation nicht. Håns-Sepp und Mena lagen sich in den Haaren. Nach fast vierzig Ehejahren haben sich beide immer noch nicht an den Dickschädel des anderen gewöhnt. Mena hatte beim Konsortium einen „Gschpualamälter“ gekauft, da ihr der alte verbraucht schien. Håns-Sepp sah das vollkommen anders. Nur weil man dem Kübel ansah, dass er häufig verwendet wurde, war das noch lange kein Grund, einen neuen zu kaufen. Aber auch Menas Hinweis, er wäre wirklich „wolfla“ gewesen, konnte seinen für Außenstehende oft künstlich wirkenden Zorn nicht mindern. Mena hätte in all den gemeinsamen Jahren verstehen müssen, dass es nichts nützt, mit Håns-Sepp zu reden, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er war schon ganz überdreht. Am besten, so dachte sie, solle er „fa Teipe iber an Ruan auirännen“. Was soll man dazu sagen? Sou sain sui hålt!
4 Jahre, 100 Beiträge, 421 dialektale Ausdrücke und Wendungen, über 20.000 Wörter – das ist die rein numerische Bilanz der Dialektkolumne „Ausdrücke aus dem Vinschgau“, die mit diesem 100. Beitrag abgeschlossen wird. Wenn die kurzen Texte das eine oder andere Schmunzeln angeregt haben oder dadurch einige Dialektwörter wieder etwas stärker ins Bewusstsein gerückt worden sind, dann stimmt die Bilanz insgesamt. Allen Lesern ein „Dånkschäan“! z
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Christian Zelger