„Wir sind auf keinen Fall Bremser. Wir möchten nachhaltig produzieren und nachhaltig heißt, dass der Betrieb von dem leben kann, was er erwirtschaftet. Der Bauer in extremer Höhenlage kann nur überleben, wenn er die Landschaft erhält. Ihn muss man fördern,“ erklärte Leo Tiefenthaler.
Im Studio (v.l.): Matthias Gauly, Arnold Schuler, Guido Steinegger, Gunde Bauhofer und Leo Tiefenthaler; über 700 Südtirolerinnen und Südtirol waren zugeschaltet, um mit ihnen und 3 Online-Gästen über die Zukunft der Landwirtschaft zu diskutieren.

Über den wichtigsten Beruf der Welt…

...über dessen Zukunft und über die Bedeutung der Landwirtschaft in der Südtiroler Gesellschaft.

Publiziert in 3-4 / 2021 - Erschienen am 4. Februar 2021

Bozen/Vinschgau - Das WIR im Wort LandWIRtschaft drückte das Angebot der Landwirtschaft an die Südtiroler Gesellschaft aus, über ein Webinar mit dem Titel „Landwirtschaft 2030 – im Dialog mit der Bevölkerung“ die Interessen beider Seiten anzusprechen und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Landespresseamtsleiter Guido Steinegger leitete die Diskussion mit Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler, der Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale Gunde Bauhofer, dem Obmann des Bauernbundes Leo Tiefenthaler und dem Professor für Management der Bergumwelt an der Freien Universität Bozen Matthias Gauly. Schon im Vorfeld durften über eMail Fragen gestellt werden. Sozusagen als sichtbare Bindeglieder zur Bevölkerung wurde als Konsumentin Daniela Magi aus Bozen, die Studentin Andrea Ladurner aus Goldrain und der Sternekoch Herbert Hintner aus Eppan dazu geschaltet. 

Hohe Erwartungshaltung

„Desinformation, romantische Vorstellungen, aber auch Verteufelung der Landwirtschaft rechtfertigen diesen Versuch einer Begegnung“, meinte Moderator Steinegger. „Die Erwartungshaltung der Gesellschaft gegenüber der Gesellschaft ist hoch“, stellte Landesrat Schuler fest. „Die Produkte sollen billig und gesund sein und alle aus extensiver Landwirtschaft stammen.“ Dahinter stehen in erster Linie die Globalisierung und das Konsumverhalten der westlichen Gesellschaft, die alles jederzeit von überallher beziehen könne. Dadurch seien aber die Gewinnspannen niedriger geworden und die bäuerlichen Familienbetriebe könnten nicht mehr davon leben. In seinem „Zukunftskonzept“ für den „wichtigsten Berufsstand der Welt“ führte Schuler jene Aspekte an, mit denen es die Landwirtschaft in nächster Zeit zu tun haben werde. Zentrales Anliegen des Konzepts müsse die Erhaltung der kleinstrukturierten Familienbetriebe sein. Sie werden sich durch Qualitätsprodukte abheben müssen. Sie werden am Beitrag für die Erhaltung der Landschaft und der Arten gemessen. Dazu zitierte er das Schutzprojekt für Bodenbrüter in Mals und die Bemühungen der Vinschgauer Obstproduzenten um Artenreichtum in einer Schlanderser Wiese. Weitere Ziele seien die Verbesserung der Wasserqualität, die Bemühung, Südtirol zum Forschungsstandort zu machen, und der Dialog zwischen allen Beteiligten und Entscheidern. 

Vor allem Regionalität

Auch Gunde Bauhofer sprach von hohen Erwartungen der Verbraucher. Ihnen gehe es nicht nur um faire Preise gehe, sondern auch um das Tierwohl. Für die Entscheidung, das billigere Produkt zu wählen, sei die Politik zuständig. Die Subventionen entlang der Lieferkette machen Produkte billiger. Es sei wichtig, die Kreisläufe zwischen Konsument und Produzent zu verkürzen. In diese Richtung weise auch die Initiative der Europäischen Union „Farm to Fork“, vom Hof zur Gabel. Wichtiger als Bio sei den Verbrauchern Regionalität. Wo Südtirol draufstehe, sollte auch Südtirol drin sein. Es bestehe der Wunsch nach einer „Ökologisierung der Landwirtschaft“. „Transparenz ist einfach wichtig, ich möchte wissen, was ich in meinen Einkaufskorb lege“, so Bauhofer. Bauernbundobmann Tiefenthaler war überzeugt, dass zur Regionalität noch einiges getan werden könne. Vor allem bei der Vergabepraxis der öffentlichen Hand für Lieferverträge an Mensen. Mit einem bestimmten Druck aus der Öffentlichkeit könne man leben, nur konstruktiv müsse er sein. Man möge bedenken, dass die Landwirte immer wieder Neuerungen zu bewältigen und Umstellungen zu stemmen hätten. Auf die Frage, ob er und seine Organisation die Agrarlobby sei, die Mals bremse und Antworten auf den Klimawandel verhindere, meinte er, es sei nicht so einfach darauf zu antworten. Ein Beitrag zum Klimawandel wären auf jeden Fall erneuerbare Energien in der Produktion und kürzere Wege zum Verbraucher. 

Druck macht wach

„Wir sind auf keinen Fall Bremser. Wir möchten nachhaltig produzieren und nachhaltig heißt, dass der Betrieb von dem leben kann, was er erwirtschaftet.“ Der Bauer in extremer Höhenlage könne nur überleben, wenn er die Landschaft erhält“, erklärte Tiefenthaler. Ihn müsse man fördern. Er und auch Landesrat Schuler zeigten sich überzeugt, dass der Obstbau seine Grenzen erreicht habe. Weitergehen aber werde die Entwicklung im Bereich der Mischkulturen, wo auch noch Potenzial bestehe. Für Tiefenthaler war es wichtig, dass die Gesellschaft die Landwirtschaft versteht und dass die Landwirtschaft weiß, was die Gesellschaft von ihr verlangt. Universitätsprofessor Gauly sah die Gräben zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft nicht so tief, wie sie oft dargestellt werden. Gut sei, dass von manchen Seiten Druck gemacht werde. Er mache wach und bringe vorwärts. Die Landwirtschaft zählte der Wissenschaftler natürlich zu den Beteiligten am Klimawandel. Sie müsse zweifelsohne besser werden, vor allem bei der Nutzung alternativer Energien. Er lehne es aber ab, den „Wiederkäuer“ in eine Ecke zu stellen und zum Klimaschädling zu machen. Das Vieh nütze Flächen, die sonst niemand nützen könne. Es erhalte Flächen, die man als Kulturgrund in Wechselwirkung mit dem Tourismus sehen müsse. Die Viehhaltung sei wichtig für die Biodiversität. Man müsse zu einer breiteren Sichtweise kommen. Nicht nur die Landwirtschaft müsse sich neuen Aufgaben stellen, jeder könne beitragen in seinem privaten Bereich. Gefragt zur CO2-Bilanz im Bereich der Viehhaltung, meinte Gauly: „Wenn ich Klimabilanzen aufmache, muss ich feststellen, dass der Bauer am Steilhang deutlich mehr Energie aufwendet für sein Produkt als der Bauer in der norddeutschen Tiefebene. Soll ich jetzt die Milch aus Norddeutschland bestellen, weil klimatechnisch günstiger? Wir sind häufig in einem Zielkonflikt. Aber wir müssen die Leistungen sehen, die vor Ort erbracht werden und die Südtirol zu dem machen, was es ist.“ 

Bio-Region Südtirol ist keine Option

Für Gauly wäre es fragwürdig, den Weg zum Anbau von pflanzlichen Eiweißträgern zu gehen. Erstens seien nicht genügend Anbauflächen vorhanden, zweitens müsse man an Lawinenschutz und Tourismus denken. Von gemeinsamen Anstrengungen und vom Verhalten der Verbraucher hängt laut Professor Gauly das Gelingen des Zukunftskonzeptes ab. Landesrat Schuler selbst erklärte die Themen und Ziele seines Konzeptes als Chancen für die Landwirtschaft, sich zu positionieren. Der Boden sei das größte Kapital. Es sei im ureigensten Interesse der Landwirte, in Begleitung der Wissenschaft eine nachhaltige Landwirtschaft anzustreben. Ob die Bio-Region Südtirol derzeit eine Option sei, fragte der Moderator. Landesrat Schuler verneinte, weil es der Markt nicht vertragen würde. Den mehrschichtigen Aufbau des Webinars mit Diskussionsteilnehmern, Fragen, Kommentaren aus der Bevölkerung und spontanen Umfragen ergänzten die Wortmeldungen der „Online-Gäste“. Daniela Magi wollte beim Kauf eines Apfels wissen, woher er kommt, wie er gewachsen und wie es zu diesem Preis gekommen ist. Andrea Ladurner ist stolz auf die kleinstrukturierten Familienbetriebe Südtirols und hat die ehemalige Landwirtschaftsministerin Renate Künast in einem offenen Brief aufgefordert, vor der eigenen Tür zu kehren. Sternenkoch Hintner zeigte sich als großer Verfechter der kleinen Produzenten und forderte die Hotels auf, beim Essen die Bauern einzuladen und deren Geschichten erzählen zu lassen. Eingeblendet waren auch Kommentare, die nicht nur kritisch auf die Subventionen beim Urlaub auf dem Bauernhof, sondern auch kritisch in die Apfelkisten geblickt haben und anprangerten, dass „subventionierte Südtiroler Äpfel die regionalen Märkte in anderen Ländern kaputt mache“.

Günther Schöpf
Günther Schöpf

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