Herdenschutz in der Schweiz.
Max Rossberg (links) und Thomas Schranz
Die Diskussion in der Tschenglsburg verlief zeitweise recht emotional.

„Um Herdenschutz kommen wir nicht herum“

Tagung zum Thema Wolf und zur künftigen Weidewirtschaft

Publiziert in 44 / 2019 - Erschienen am 17. Dezember 2019

Tschengls - Das zunehmende Auftreten des Wolfs in weiten Teilen Europas und auch in Südtirol stellt die Weidewirftschaft, speziell das Halten von Schafen auf den Almen, vor große Herausforderungen. Das zentrale Thema bei der gut besuchten Tagung, die am 14. Dezember auf Einladung der „European Wildness Society“ in der Tschenglsburg stattfand, war der Herdenschutz. Die „European Wilderness Society“, gegründet im März 2014 in Tamsweg in Österreich, ist ein gemeinnütziger Umweltschutzverein zum Schutz der europäischen Wildnis. Federführend geleitet wird der Verein von Max A.E. Rossberg, der bei seinem Referat in Tschengls klare Worte fand. Der Wolf breite sich weiter aus und sei durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) auf EU-Ebene streng geschützt.

Wolf ist streng geschützt

Erst im Oktober 2019 habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) Genehmigungen zum Abschuss von Wölfen enge Grenzen gesetzt. Abschüsse können nur genehmigt werden, wenn die beantragenden Behörden „ein klares Ziel definieren und wissenschaftlich belegen, dass der Abschuss der Tiere diesem Ziel dient und dass es keine Alternativen gibt.“ De facto heißt das laut Rossberg, dass ein Abschießen erst dann in Erwägung gezogen kann, wenn Herdenschutz betrieben wird. „Um den Herdenschutz kommen wir daher nicht herum“, so Rossberg. Es sei eine Illusion zu glauben, dass die FFH-Richtlinie in absehbarer Zeit geändert wird. Illusorisch seien somit auch Forderungen, wie etwa jene nach einem wolffreien Südtirol: „Alle, die sich dafür einsetzen, kämpfen für etwas, das nie kommen wird“, gab sich Rossberg überzeugt.

Herdenschutz als einziger Ausweg

Den einzigen Ausweg sieht er im Herdenschutz, der natürlich finanziell von der öffentlichen Hand stark unterstützt werden müsse. Ein großes Problem im Zusammenhang mit den Diskussionen rund um die Rückkehr des Wolfs sei ganz einfach die Tatsache, „dass wir seit der Ausrottungswelle vergessen haben, dass dieses Tier existiert.“ Der Wolf wachse zwischen uns auf, er rieche uns besser als ein Hund und er zeige sich nur, wenn er will, dass man ihn sieht: „Der Wolf hat mit uns kein Problem, solange wir ihn nicht gefährden.“ Die Vorstellung, wonach der Wolf die Wildnis brauche, gehöre in die Mülltonne. Besonders problematisch seien im Gegensatz zu den Rudeln die Einzelwölfe, die bis zu 90 Kilometer pro Tag laufen: „Und wenn er beim Laufen auf ein ungeschütztes Schaf trifft, reißt er es, holt das Beste heraus und läuft weiter.“ Auch über Beispiele gut funktionierender Schutzmaßnahmen in Deutschland, in der Schweiz und Österreich informierte Rossberg. Werden Schafe mit Behirtung, Elektrozäunen oder Schutzhunden geschützt, sinkt die Zahl der Risse erheblich. In Österreich dürften derzeit ca. 50 Wölfe leben, wobei es auch 3 bis 4 Rudel gibt. 2017 wurden nachweislich 17 Schafe bzw. Ziegen von Wölfen gerissen, 2018 waren es 120. Im Vergleich dazu kamen im selben Jahr ca. 5.000 Schafe bzw. Ziegen durch Unwetter und Krankheiten um. Europaweit dürften derzeit ca. 17.000 Wölfe leben. 

135.000 Goldschakale in Europa

Oft vergessen und unterschätzt werde der dem Wolf ähnliche Goldschakal, dessen Anzahl in Europa auf 135.000 geschätzt wird. Ein grundsätzliches Problem ortet Rossberg darin, dass es nicht so sehr um den Konflikt Mensch-Wolf gehe, sondern mehr um den Konflikt Mensch-Mensch: „Für die einen ist der Herdenschutz ein gangbarer Weg, für die andern kommt er überhaupt nicht in Frage. Es gibt zu diesem Thema keine einheitliche Linie, auch nicht innerhalb der Bauern.“ Gegensätzliche Positionen in der Politik, in Umweltschutzkreisen und in der Gesellschaft kommen hinzu. Rossberg: „Solange untereinander gestritten wird, kommen wir nicht weiter und wir werden in 5 oder mehr Jahren dort sein, wo wir heute sind.“ 

Gezielte Weideführung

Glücklich zeigte sich der Bauer Thomas Schranz aus Tösens, der u.a. knapp zwei Dutzend Schafe hält, mit dem Auftreten des Wolfs zwar keineswegs, aber er habe sich für Herdenschutznahmen entschieden und u.a. zwei Schutzhunde angekauft. Er sieht den Herdenschutz als eine mögliche Alternative. Gäbe es diese nicht, „würde ich den Stall zusperren.“ Problemlos lassen sich Herdenschutzmaßnahmen allerdings nicht umsetzen. So stelle sich etwa die Frage der Haftung, falls Schutzhunde Menschen angreifen. Bei der Behirtung und bei gezielten Weideführungen komme die Kostenfrage dazu. Rein wirtschaftlich gesehen brächten die Schafe wenig ein. Um diese Situation zu verbessern, sei mit der Tourismusbranche in seiner Heimat und mit dem Skigebiet vereinbart worden, Lämmer und Kitze regional zu vermarkten. Das erste Jahr sei in diesem Sinn erfolgreich gewesen. Schranz verwies auch auf die Bedeutung der Beweidung und Pflege der Almen für den Erosions- und Katastrophenschutz. In punkto Behirtung sei es von Vorteil, Schafherden zusammenzuführen und für die Beweidung gute Hirten zu verpflichten.

Herdenschutzberater

Max Rossberg informierte auch über ein auf 5 Jahre ausgelegtes und von der EU mit 5 Millionen Euro gefördertes Aus- und Weiterbildungsprojekt zum Thema Herdenschutz in Bayern, Österreich und Südtirol. Federführender Projekt-Partner sei Bio Austria. Es sollen u.a. in 5 Jahren 350 Herdenschutzberater ausgebildet sowie 1.000 Bauern - sofern sie es wünschen - gezielt mit dem Thema Herdenschutz vertraut gemacht werden. Ziel des Projektes und weiterer damit zusammenhängender Maßnahmen sei es nicht, den Herdenschutz als einzige mögliche Lösung zu propagieren, „sondern herauszufinden, was mit Herdenschutz machbar ist und was nicht.“ 

Harsche Kritik

Alles eher als auf Gegenliebe stießen die aufgezeigten Herdenschutzmaßnahmen bei Schafbauern und Bauernvertretern aus Tschengls, Ulten und anderen Orten. Wie es mehrfach hieß, sei Herdenschutz auf Almen in Südtirol schon aufgrund des Geländes kaum möglich. Die Südtiroler Almlandschaft sei mit „flachen Gegenden“ in Deutschland nicht vergleichbar. Hinzu kämen die hohen Kosten und der Arbeitsaufwand. Außerdem seien in Südtirol in der Regel nicht große Schafherden anzutreffen, sondern eher kleinere Herden, die in Gruppen auf den Almen weiden. „Der Herdenschutz ist nicht der Problemlöser. Das Problem ist der Wolf. Es ist der Wolf, der weg muss“, brachte Lorenz Müller, der Obmann des Verbandes Südtiroler Kleintierzüchter, seine Ansicht auf den Punkt. Ein weiterer Diskussionsteilnehmer warf ein, dass es realitätsfremd sei, zu glauben, dass sich das Problem mit Herdenschutzmaßnahmen lösen lasse. Zum Handkuss kam bei der Diskussion nicht zuletzt auch die Politik. 

Josef Laner
Josef Laner

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