„Viele leben davon, die meisten leben damit“
Am Stammtisch der Neuen Bürgerliste wurde über Tourismus diskutiert.
Töll/Partschins - Nicht nur für die Bewohner der Töll, sondern für viele, für sehr viele Bürger der Gemeinde Partschins ist Tourismus ein anderes Wort für Verkehr und wieder Verkehr. Was sonst noch dahinter steckt, wie es weitergehen soll und kann mit Blechlawinen, verstopften Dorfstraßen, mit mehr oder weniger aufdringlichen, aber zahlungskräftigen Gästen, wollte die „Neue Bürgerliste Partschins, Rabland, Töll“ (BL) mit ihrem ersten offenen Stammtisch 2023 in der Pizzeria „SEM“ (Hotel Botango) erfahren. Dazu hatte sie den Südtiroler Tourismusexperten schlechthin, Harald Pechlaner, den Präsidenten des Tourismusvereins Partschins, Philip Ganthaler, und seine Geschäftsführerin, Karin Thaler, eingeladen. Gemeinderätin Jutta Pedri, Sprecherin der BL, und ihre gemeindepolitischen Mitstreiter Monika Pföstl, Benjamin Schupfer, Max Sparber und Johannes Tappeiner freuten sich über die Teilnahme von einem guten Dutzend engagierter und am Thema interessierter Mitbürger, darunter der Bürgermeister der Nachbargemeinde Algund, Ulrich Gamper. Von der Mehrheitspartei SVP stieß zu späterer Stunde auch der von der Töll stammende Gemeinderat Adolf Erlacher dazu. Mit dem Satz „Tourismus ist ein extrem wichtiges Thema für das Land“ eröffnete Pechlaner, Leiter des Centers for Advanced Studies der Europäischen Akademie (EURAC) Bozen, seinen Vortrag und. schickte die rhetorische Frage hinterher: „Wie kann es gelingen, in Südtirol einen Tourismus zu haben, der gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch tragfähig ist?“
Tourismus an der Grenze
Der Tourismus, wie er im Moment ausgelegt ist, sei an seine Grenzen angelangt. „Wir sehen das bei Verkehr und Mobilität, das sehen wir aber auch bei den Ressourcen, mit denen wir wirtschaften und arbeiten müssen“, meinte Pechlaner. Anhand der Tourismusentwicklung im Villnösstal und im Gadertal kam er zur Schlussfolgerung, dass es letztlich um die Lebensqualität der Ansässigen und um den schonenden Umgang mit Landschaft und Natur, eben um die Schnittstelle Landwirtschaft-Tourismus gehe. Entscheidend für den Tourismus in Südtirol seien der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum und einer gesicherten, flächendeckenden Grundversorgung für die nicht direkt im Tourismus involvierte Bevölkerung. Pechlaner ermahnte: „Wir können kein Tourismuskonzept gegen die Menschen durchdrücken. Wir dürfen keinen Tourismus entwickeln für Leute mit viel Geld. Wir müssen ausbalancieren.“ Tourismus-Direktorin Karin Thaler wies auf die Tatsache hin, dass sich Tourismusverein und Gemeindeverwaltung Partschins in weiser Vorausschau schon seit 2013 Gedanken über einen nachhaltigen Tourismus gemacht haben. Es hätten sich damals 13 Arbeitsgruppen aus allen Schichten der Gemeinde auf der Grundlage eines Tourismuskonzepts mit dem Lebensraum Partschins befasst. Es klang leicht vorwurfsvoll: „Wir haben inzwischen die Arbeitsgruppen zusammengelegt. Alle sollen einbezogen werden, alle Entscheidungsträger sollten Bescheid wissen und könnten teilnehmen.“
Lebensraum für alle
Jutta Pedri stellte Tourismuspräsident Philip Ganthaler vor als „Hotelier, der nicht nur über Tourismus reden kann, sondern ihn auch lebt“. Auch der Partschinser Gastwirt und Hotelier übernahm das Argument vom notwendigen „Ausgleich zwischen Tourismus, von dem viele leben, und der Gesellschaft, die damit leben muss“. Es gehe wohl um einen Lebensraum, in dem alle Platz finden. „Wir können aber nicht alle zufrieden stellen“, zeigte er sich überzeugt. Er verwies auf eine konstante Entwicklung im Tourismus seiner Gemeinde und hielt den Trend, öfter in den Urlaub zu fahren für einen der Gründe erhöhter Mobilität. „Um im Jahre 2012 auf 330.000 Nächtigungen zu kommen, reichten 56.000 Ankünfte. Heute sind dazu 70.000 Ankünfte nötig“, erklärte Ganthaler. Man habe intensiv, aber vergeblich interveniert: Die anstehenden Arbeiten zur Elektrifizierung der Vinschgerbahn nicht an den Wochenenden, an den Tagen mit dem meisten An- und Abreiseverkehr, durchzuführen. Es werde sich Unmut breitmachen und zwar in Richtung Tourismus, so Ganthaler. Die anschließende Diskussion in sachlicher Form eröffnete Max Sparber mit dem Begriff Krise als Herausforderung und Chance. Pechlaner ergänzte, nannte die demografische Krise als besonders schwerwiegend und die Auswirkungen des Tourismus auf Umwelt- und Soziales als Herausforderung. Es ging um die Definition von Nachhaltigkeit, um die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, um neue Reiseformen, um den ökologischen Fußabdruck, um Stadtbewohner ohne Auto und um die Erkenntnis des Hoteliers Ganthaler, dass er ohne Schwimmbad das halbe Haus leer hätte.
Partschins hat noch Potenzial
Als Obfrau des Heimatpflegevereins dankte Hanni Laimer für die Organisation des Stammtisches. „Die Art, den Gast in unsere Lebenswelt mitzunehmen, ist einzigartig und unsere Stärke“, meinte sie sich überzeugt. Sie kam auch auf die Enge des Dorfes zu sprechen und auf den überbordenden Verkehr, der jeden Gang durchs Dorf zu einem Kamikaze-Unternehmen werden lasse. Sie stellte fest: „Wir müssen den Mut haben, auch mal zu sagen, das brauchen wir nicht.“ Eine Zuhörerin stellte gestresste Gäste fest durch den starken Durchzugsverkehr. Dazu ergänzte Sigmund Kripp, dass man am Reschen 7.000 und in Rabland 22.000 Durchgänge gezählt habe. Nicht im Sinne von „sanftem Tourismus“, sondern weil nichts mehr vorwärts gehe, sei Partschins längst ein „Slow Village“, ein langsames Dorf, merkte Kripp ironisch an. Benjamin Schupfer erkundigte sich bei Harald Pechlaner, ob der Tourismus in Partschins eher als Massenphänomen oder als „Slow-Tourismus“ einzustufen sei. Die Antwort war ein Kompliment: „Partschins hat sich mit dem Konzept ‚Lebensraum Partschins‘ eine gute Basis geschaffen und sich viel Potenzial für eine gute Weiterentwicklung gesichert.“