Was hat’s gebracht?
Doktorarbeit über den „Malser Weg“ vorgestellt. Susanne Elsen würdigt Armin Bernhard.
Glurns - Im Kulturcafé Salina in Glurns wurde am 3. April darüber nachgedacht und diskutiert, was er am Ende gebracht hat, der „Malser Weg“, den engagierte Bürgerinnen und Bürger vor über 10 Jahren eingeschlagen haben. „Die Frage, was er gebracht hat, kann ich nicht beantworten, diese Antwort muss von euch kommen“, sagte Carolin Holtkamp, die ihre Doktorarbeit über den „Malser Weg“ vorstellte. Als sie 2014 zum ersten Mal auf den „Malser Weg“ aufmerksam wurde, war sie als freiwillige Helferin auf einem Bergbauernhof in Algund tätig. 2017 begann sie mit ihrer Promotion. Sie wollte in Erfahrung bringen, warum und wie diese soziale Bewegung entstanden ist. Im Zwiegespräch mit ihrem Doktor-Vater Markus Schermer, Soziologe und Professor an der Universität Innsbruck, gewährte sie einen Einblick in ihre Doktorarbeit und in die Schlussfolgerungen, zu denen sie gelangt ist. Eingehend befasst hat sie sich unter anderem mit dem Referendum über das Verbot von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln im Jahr 2014. Holtkamp ging speziell der Frage nach, welche gesellschaftliche Funktion soziale Bewegungen für die Entwicklung von Landwirtschaft und Ernährung haben. Die Bewegung „Malser Weg“ sei als Reaktion auf einen beginnenden Agrarstrukturwandel von Grünlandwirtschaft hin zu intensivem Obstbau mit einem erhöhten Einsatz von Pestiziden entstanden.
Zu Schermers Frage, ob das derzeitige Agrar- und Ernährungssystem nachhaltig sei, sagte Holtkamp: „Nein, aber es sind im Obervinschgau viele kleine Initiativen von unten entstanden und vor allem junge Leute haben sich der biologischen Anbauweise verschrieben.“ Der „Malser Weg“ habe es als kleine soziale Bewegung zu internationaler Aufmerksamkeit geschafft. „Wenn Staat und Politik versagen, ist die Zivilgesellschaft gefragt“, so die Soziologin. Jede soziale Bewegung sei positiv und in einem gewissen Sinn eine „Retterin der Demokratie.“
Der „Malser Weg“ sei grundsätzlich ein Erfolg gewesen, und zwar weit über die erfolgreiche Abstimmung hinaus. Mit dazu beitragen hätten die Akteurinnen und Akteure, die Politik auf Gemeindeebene mit Bürgermeister Ulrich Veith sowie Initiativen wie „Hollawint“, „Adam und Epfl“ und andere mehr. Ausschlaggebend sei außerdem die Netzwerkarbeit gewesen: „Zuerst auf der Ebene der Gemeinde, dann landesweit und später auch international.“ Dadurch sei der Druck auf die Landesregierung und die konventionellen Obstbauern gewachsen. Gegen internationale Aktivisten sei man seitens der Landesregierung und des Bauerbundes u.a. mit gerichtlichen Klagen vorgegangen. Überzeugt gab sich Carolin Holtkamp, dass sich der intensive Obstbau im Obervinschgau ohne den „Malser Weg“ noch stärker ausgebreitet hätte. Der „Malser Weg“ habe gezeigt, dass soziale Bewegungen eine wichtige Aufgabe für die Entwicklung von Landwirtschaft und gesunder Ernährung erfüllen.
Zurzeit befinde sich der „Malser Weg“ in der Phase der Transformation: „Diese Phase ist anstrengend, denn sie ist sehr lang.“ Öffentlichkeitswirksame Protestaktionen fehlen, aber es gibt erste Erfolge. Holtkamp nannte Initiativen wie die Genossenschaft Vinterra oder die Bürgergenossenschaft Obervinschgau, „die eine andere Art der Wirtschaft aufzeigen.“ Noch offen sei leider die Frage der Rechtssicherheit in Sachen Zulassung von Pestiziden.
„Starres Politiksystem aufgebrochen“
Susanne Elsen, Professorin für angewandte Sozialwissenschaft, würdigte die Doktorarbeit von Carolin Holtkamp und wertete deren Vorstellung auch als „Würdigung von Armin Bernhard und seiner bedeutenden wissenschaftlichen Arbeit.“ (Armin Bernhard ist am 8. Jänner 2023 im Alter von nur 51 Jahren gestorben; Anmerkung der Redaktion). So wie Armin gemeinsam mit anderen des „Malser Weges“ das starre Politiksystem über die Grenzen des Vinschgaus hinaus mit seinem Sinn für nötige öko-soziale Entwicklungen aufgebrochen und gesellschaftliche Innovationen bewirkt habe, „so hat er auch maßgeblich zu einem produktiven Aufwecken des müden Wissenschaftssystems, insbesondere hier in Südtirol, beigetragen“, sagte Elsen. Er habe den „Malser Weg“ als beispielhaften Prozess der gesellschaftlichen Transformation von unten mit anderen gebahnt, ihn verstehbar gemacht und dabei Theorie und Praxis verbunden. Elsen: „Durch diese Reflexion ist der ‚Malser Weg’ für viele zum Modell einer demokratischen Korrektur falscher Entwicklungen geworden.“ Armin habe als Universitätslehrer „den Samen des Veränderungswissens und -willens ausgebracht und diese Saat geht durch viele seiner Studierenden auf.“ Dieses Veränderungswissen ist für eine nachhaltige Entwicklung erforderlich, „aber es kann weder in Laboren noch aus Büchern generiert werden. Es entsteht in mutigem Handeln, wie dem der Akteurinnen und Akteure des ‚Malser Weges’, meist im Gegenwind zum gesellschaftlichen Mainstream und der institutionalisierten politischen und wirtschaftlichen Macht.“ Diesen klärenden Wind aus dem Vinschgau habe Armin auch in den Elfenbeinturm der Universität getragen. Für Elser ist der „Malser Weg“ ein Reallabor für nachhaltige Entwicklung, „das eine neue Politikkultur, aber auch eine neue Wissenschaftskultur in Südtirol mitbegründet hat.“ Die Doktorarbeit von Carolin Holtkamp wurde u.a. auch von Armin Bernhard begleitet. Laut dem Landtagsabgeordneten Hanspeter Staffler ist es der Bewegung „Malser Weg“ zu verdanken, dass man in Südtirol vor 10 Jahren ernsthaft auf das Thema Pestizide aufmerksam wurde. Der „Malser Weg“ sei ein Vorzeigeweg, auch in Sachen Zivilcourage und Widerstand gegen Machtstrukturen.
Vom Land enttäuscht
Der frühere Bürgermeister Ulrich Veith, der wiederholt zu einer Stellungnahme aufgefordert wurde, zeigte sich sehr zufrieden, wie sich die einzelnen Initiativen im Oberen Vinschgau entwickelt haben. Sehr viele davon seien aus dem „Malser Weg“ entstanden. Enttäuscht zeigte er sich vom Land: „Vom Landesrat wurde uns mehrmals versprochen, dass er eine Bioregion Obervinschgau unterstützt und er hat für den Aufbau des Projekts die Verantwortung übernommen. Wir haben das akzeptiert und müssen nun mit Bedauern feststellen, dass er uns getäuscht hat. Denn er hat seit Jahren nichts in diese Richtung unternommen. Also haben wir uns hinhalten lassen“, so Veith.