Was trägt uns in Zeiten wie diesen?
Andreas Conca: „Die Zuversicht ist die Brücke.“ Tipps für persönliche Resilienz.
Schluderns - Was hat uns die Pandemie gezeigt? Was können wir aus ihr lernen? Was kann jeder Einzelne tun, um der Zukunft möglichst krisenfest entgegenzugehen? Inwiefern sind wir als Gemeinschaft und Gesellschaft gefordert? Mit Antworten auf diese und weitere Fragen, die vielen Menschen nach zwei Corona-Jahren stark unter den Nägeln brennen, wartete Andreas Conca am 17. Februar bei einem sehr gut besuchten Vortragsabend im Kulturhaus in Schluderns auf. Der Direktor des psychiatrischen Dienstes Bozen war von der Bibliothek, dem Bildungsausschuss und den KVW Frauen eingeladen worden. Willkommen geheißen hatte ihn die Gemeindereferentin Sonja Abart, die über die Anwesenheit derart vieler Personen ebenso erstaunt war wie Andreas Conca selbst.
„Weggesperrt und verfrachtet“
Unverblümt und in aller Offenheit sprach Conca über das, was seit dem Ausbruch der Pandemie geschehen ist: „Ältere Menschen wurden im wahrsten Sinne des Wortes weggesperrt, die Kultur wurde abgeschafft, die Armutsschere ging weiter auseinander, Kinder lebten wie in Aufbewahrungsanstalten und das, was sich die Frauen an Emanzipation erkämpft hatten, wurde zerstört.“ Die Pandemie habe der Gesellschaft den Spiegel vorgehalten: „Sie war wir ein Gratisstresstest.“ Sie habe gezeigt, „was wir bisher gemacht haben.“ Die Defizite im Schul- und Bildungswesen und im Wirtschaftssystem seien ebenso zu Tage getreten wie Schwachstellen des politischen Handelns und des Gesundheitssystems. „Wir haben ein System, das grundsätzlich auf Reparaturarbeit ausgerichtet ist“, sagte Conca, „wir investieren nicht in soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, nicht in die Umwelt und nicht in eine nachhaltige Nahrungskette.“ Eine grundlegende Änderung der Schule und der Lerninhalte hält er ebenso für notwendig wie einen radikalen Umbau des derzeitigen Wirtschaftssystems, „auch wenn das kurzfristig nicht möglich ist.“
Optimist oder Pessimist
Zusätzlich zur Pandemie und deren Folgen dürfen wir laut Conca auch andere, noch viel größere Herausforderungen nicht vergessen, nämlich die nukleare Bedrohung, den Klimawandel und die Digitalisierung, „die uns schon lange überholt hat.“ In der Zuversicht und im Optimismus sieht Conca tragende Säulen, um die Pandemie und die anderen Herausforderungen zu bewältigen. Als Beispiel erzählte er die Geschichte der zwei Frösche, die in einer Brühe gelandet sind: der eine (Pessimist) unternimmt nichts, gibt sich alsbald geschlagen und ertrinkt. Der andere (Optimist) gibt nicht auf: „Er strampelte so lang er konnte und hoffte stets, dass es sich lohnte“ und konnte der Brühe am Ende entkommen.
Schlüsselwort Zuversicht
Die Zuversicht bezeichnete Conca als die Brücke für die Bewältigung von Krisen. Auch die Kultur, die Traditionen und die Gemeinschaft seien tragende Säulen: „Zuversichtliche Menschen nehmen aktiv teil, sie nehmen ihr Leben selbstbestimmt in die Hand und beteiligen sich am Leben der Gemeinschaft. Sie fühlen sich getragen in sich selbst und sehen sich als Teil im großen Ganzen.“ Der Referent rief dazu auf, immer auch universell zu denken und die Spiritualität nicht außer Acht zu lassen, sprich das Gefühl, „dass wir etwas Größerem angehören.“
„Nicht autonom gegen Depression“
Viele Menschen in Südtirol seien der Meinung, dass unser Land von der Welt irgendwie abgesondert und von bestimmten Problemen nicht betroffen sei. „Das ist aber nicht wahr“, sagte Conca, „wir sind nicht autonom gegen Depression, gegen Gewalt in der Familie oder gegen andere Phänomene. Wir sind überall mittendrin.“ Geradezu „Weltmeister“ seien die Südtiroler, was die Zahl der Diffamierungsklagen betrifft: „Hier wird zugunsten der Rechtsanwälte viel Geld verbraten.“ Nicht zu vergessen sei auch, „dass wir über Krisen reifen können, dass wir das Recht haben, Fehler zu machen, dass wir die Courage haben müssen, falsche Entscheidungen zu treffen und lernen müssen, mit dem Scheitern umzugehen.“ Bedauerlich sei, dass es bisher nicht gelungen sei, die Lebensweisheiten und Erfahrungsschätzen von älteren Menschen einzusetzen: „Die Lebenserwartung ist in relativ kurzer Zeit stark gestiegen und uns ist nicht bewusst, was uns 80-Jährige und ältere Menschen schenken können.“
5 Tipps für die persönliche Resilienz
Auch fünf Ratschläge für die Entwicklung einer persönlichen Krisenfestigkeit und Resilienz gab Conca dem Publikum mit auf den Weg: „Achten Sie auf einen guten Schlaf, auf Bewegung, auf Ihre Beziehungen, auf eine gesunde Ernährung und auf die Spiritualität“. Auf die Frage aus dem Publikum, ob die Zahl der Suizide seit dem Ausbruch der Pandemie zugenommen habe, antwortete Conca, dass das ein sehr schwieriges und komplexes Thema sei. Rund 60% der Suizide seien mit schweren psychologischen Erkrankungen in Verbindung zu bringen, „und 40% sind auf verschiedenste Gründe zurückzuführen: Überzeugung, Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Geldnot oder Rache.“ Conca ist der Ansicht, dass es zur Würde und zum Recht eines voll zurechnungsfähigen Menschen gehört, sich für den Suizid zu entscheiden.
„Digitale“ Kinder
Auch das Thema Internet und Soziale Medien bzw. deren Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche wurde aufs Tapet gebracht. Während das Internet bis zum Jahr 1995 nur eine unterstützende Technologie gewesen sei, „gehört es seither zur Identität des Menschen“, sagte Conca. Man könne den „digitalen“ Kindern und Jugendlichen das Internet nicht verbieten, man könne es ihnen nicht wegnehmen und man könne es auch nicht ersetzen. „Wenn ich einem Heranwachsenden das Internet verbiete, ist das für ihn ebenso hart, wie wenn ich es ihm untersagen würde, die Freundin zu besuchen.“ Laut Conca kommt es darauf an, den Umgang mit dem Internet und den Sozialen Medien zu regeln und einen klugen Umgang zu fördern.“ Er sei sich zwar bewusst, dass im Netz allerhand Schlimmes passiert, Stichwort Cybermobbing, Suizid-Organisationen oder Rechtsradikalismus, „aber ich bin überzeugt, dass uns das Gesamtsystem - mit viel Leid - einen großen Schritt weiter und in eine neue Dimension bringen wird.“
