Wie interessant ist die Schweiz für die Handwerker?
Publiziert in 22 / 2015 - Erschienen am 10. Juni 2015
Marktpotential ist nach wie vor gegeben. Raphael Bodenmüller: „Persönliche Kontakte sind das Um und Auf“.
Valentin Fliri: „Fluch und Segen“.
Latsch - Das Marktpotential für das Bauhaupt- und Baunebengewerbe in der Schweiz stand am 4. Juni im CulturForum in Latsch im Mittelpunkt der gemeinsamen Jahresversammlung der lvh-Bezirke Ober- und Untervinschgau. Die Bezirksobmänner Erhard Joos und Andreas Nagl sowie lvh-Präsident Gert Lanz stimmten eingangs darin überein, dass nach mehreren Krisenjahren nun wieder ein bisschen Aufschwung zu verspüren ist. Probleme gibt es aber nach wie vor. So erinnerte Joos an die Zweitwohnungsinitiative in der Schweiz, die zu Einbrüchen im Baugewerbe geführt hat. Negative Auswirkungen, vor allem auch für die Vinschger Grenzpendler, seien zudem im Zusammenhang mit der Zuwanderungs-Abstimmung in der Schweiz zu befürchten. Andreas Nagl kritisierte „zentralistische Tendenzen“ der hohen Landespolitik in den Bereichen Energie und Sanität. Dringend auf den Weg zu bringen sei das neue Vergabegesetz. Besonders schwer habe es derzeit das Vinschger Transportgewerbe, vor allem wegen der Sperre des Arlbergtunnels. Gert Lanz ging auf das lvh-Jahresthema „Können. Wissen. Handwerk“ ein. Worauf die Handwerkerinnen und Handwerker weiterhin setzen müssen, seien Kooperationen und Netzwerkarbeit. Der Export sei auch für das Handwerk ein wichtiges Thema der Zukunft.
Auslandsmarkt Schweiz
Thomas Lunger stellte die Exportorganisation Südtirol vor sowie die Dienstleistungen, mit denen die EOS exportwilligen Unternehmen beisteht. Die Schweiz ist derzeit der drittgrößte Auslandsmarkt für Südtirol. „Vor allem viele kleine Betriebe hätten das Potential, zu exportieren, speziell auch Handwerker mit ihren Qualitätsprodukten“, sagte Lunger. Die EOS sei jederzeit bereit, zu beraten, zu informieren und zu unterstützen. Einer der 50 Partner, mit denen die EOS in 60 Ländern zusammenarbeitet, ist die Schweizer Firma Ethoshift (Projekt- und Unternehmensentwicklung). Raphael Bodenmüller von der Ethoshift sagte, dass die Bauwirtschaft in der Schweiz nach wie vor gut funktioniere. Die Zweitwohnungsinitiative wirke sich vor allem auf die ländlichen Regionen negativ aus, nicht aber auf die Städte und urbanen Zonen. Für einen Eintritt in den Schweizer Markt brauche es Mut, Information über den Markt und vor allem persönliche Kontakte.
„Es ist nicht alles Gold,
was glänzt“
Valentin Fliri von der Tischlerei Fliri in Taufers im Münstertal berichtete von seinen persönlichen Erfahrungen in der Schweiz. Er sehe die Schweiz immer als „Fluch und Segen“. Fluch deshalb, weil nicht alles Gold ist, was glänze. Weil in der Schweiz hohe Gehälter gezahlt werden, „habe ich in 5 Jahren 8 Mitarbeiter verloren. Sie arbeiten jetzt in der Schweiz.“ Den wirklichen Durchbruch in der Schweiz habe sein Betrieb mit einem neuen Produkt (Böden) geschafft. Die Südtiroler, die in der Schweiz tätig werden, könnten zwar auf einen bestimmten Sympathiebonus bauen, „aber die Schweizer sind auch strenge Kunden, die sehr genau hinschauen und gut und lange abwägen.“ Wenn es aber klappt, „sind sie zahlungskräftige und treue Kunden.“ Was auch in der Schweiz gut funktioniere, sei die Mundwerbung. Grundsätzlich meinte Fliri, dass es leichter ist, Produkte in die Schweiz zu liefern - nach Möglichkeit exklusive -, als Dienstleistungen zu erbringen, denn dann stoße man auf Probleme: zeitlich begrenzte Arbeitsgenehmigungen, steuerrechtliche Vorgaben und weitere Hürden. Wie schon Valentin Fliri, hatte auch Andreas Nagl vom Kunststoffverarbeitungsunternehmen Fiberplast in Latsch (Filterbehälter) Angebote der EOS in Anspruch genommen, um vermehrt auf den Export zu setzen. „Ein unmittelbarer Erfolg stellte sich nicht ein“, sagte Nagl. Wohl aber habe er wertvolle Kontakte knüpfen können. In der Vergangenheit hatte die Fiberplast ihre Produkte nur an 3 Großkunden geliefert, mittlerweile ist der Kundenstock auf 35 angewachsen. Die von Fiberplast (19 Mitarbeiter) hergestellten Produkte werden in Deutschland verkauft, in Holland, Dänemark, in der Schweiz und in anderen Ländern, „und wenn alles klappt, kommt bald auch Russland dazu“, freute sich Nagl. Er habe aus eigener Erfahrung gelernt, „dass wir im Verkauf zu wenig fit sind. Wir konnten die Stärken unseres Produkts nicht gut genug präsentieren.“ Sehr wichtig sei auch die Einzigartigkeit des Produkts, „den wirklichen Unterschied machen aber gut ausgebildete Mitarbeiter aus.“
Warten auf neues Vergabegesetz
Bürgermeister Helmut Fischer wünschte sich in seinen Grußworten, „dass das neue Vergabegesetz endlich kommen möge.“ Er hoffe auf ein klares, deutliches, mit Hausverstand gemachtes und anwendbarer Gesetz. Dass es die Landespolitik mit dem Bürokratieabbau wirklich ernst meint, wird sie laut Regionalassessor Sepp Noggler mit dem Vergabegesetz und dem Raumordnungsgesetz beweisen können. Bezüglich Energie informierte Noggler, dass die Bemühungen für die Übernahme der Stromnetze im Obervinschgau weit gediehen seien. Hand in Hand mit der angepeilten eigenständigen Stromverteilung werde es auch Arbeitsaufträge für die Vinschger Handwerker geben.
Abstriche bei Primariaten?
Gelobt hat Noggler der Einsatz des lvh und weiterer Verbände für den Erhalt aller Abteilungen im Schlanderser Krankenhaus. Ein kleines Fragezeichen gebe es derzeit noch in Bezug auf den Weiterbestand der Geburtenstation. Möglich sei auch „dass man uns von 3,5 auf 3 Primariate zurückstuft“, aber eine Schließung des Krankenhauses sei endgültig abgewendet. Sepp

Josef Laner