Essen

Publiziert in 4 / 2023 - Erschienen am 28. Februar 2023

Die Augen kleben am Smartphone. Die Gabel in der Rechten fährt blind vom Teller zum Mund, die Linke blättert in der Zeitung: nicht einmal beim Essen hat man Zeit, etwas Vernünftiges zu tun. Zum Glück gibt es Mikrowellen und schnelle Gerichte. Was auf den Packungen draufsteht, interessiert mich nicht. Ich suche nur die Zeitangabe: in wie vielen Minuten ist das Ganze gekocht? Je schneller, desto besser. Wie kann man nur stundenlang über einer Herdplatte wachen, um eine Soße auf den Tisch zu bringen? Warum Tomaten waschen und beim Zwiebelschneiden weinen, wenn alles in allen Variationen in allen Regalen steht? Irgendwann wird vielleicht jemand etwas erfinden, das uns das Essen erspart. Wie wär’s mit einer Pille? Einmal schlucken und Nahrung genug für den ganzen Tag. Wie dumm sind doch die Tiere, die sich fast nur dem Fressen widmen. Wenn der Mensch allerdings so isst, wie oben angedeutet, liegt er unter dem Niveau des Fressens. In Wohlstandsländern verkommt das Essen bei manchen zur lästigen Nebensache. Gleichzeitig haben weltweit geschätzte 768 Millionen Menschen zu wenig zum Essen. Was Hunger ist, wissen viele in unseren Breitengraden nicht mehr. Gott sei Dank. Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass es einmal anders war. „Als wir nach dem Krieg zu Fuß nach Hause flüchteten, haben wir mit bloßen Händen auf toten Äckern nach Kartoffeln gegraben“, erzählte mir unlängst ein Rückkehrer. Er ist 90 Jahre alt, damals war er 12. 

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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