Zum Muttertag

Publiziert in 9 / 2023 - Erschienen am 9. Mai 2023

Vor dem Pfarrer hat sie keine Angst mehr, dass er sie nach der Messe fragt, warum das Kinderkriegen ausgeblieben ist. Ein halbes Dutzend hat sie großgezogen, bis das Alter sagte: genug. Eine Waschmaschine gab es während der Windel-Hochsaison nicht. Aber das mit den Windeln und der anderen Wäsche ging sowieso nebenher. Wie vieles andere auch. Das Feuermachen etwa, wenn alle anderen noch träumten. Der fertige Frühstückstisch, das Einpacken der Jause, der flüchtige Kuss für den Mann, der zur Arbeit geht. Sie muss nicht arbeiten, sie ist nur zu Hause. Sie braucht nur zu schauen, dass im Garten etwas wächst, die Schweine und Hennen zum Fressen bekommen, die Kinder die Hausaufgaben machen, die Kühe gemolken werden und das Wenige, was man sich leisten kann, vom Laden geholt wird. Neben diesen „Kleinigkeiten“ hilft sie im Wald mit und bei der Heuernte. Sie erzählt den Kindern von Gott und heißt sie, der untergehenden Sonne „Pfiati“ zu sagen: morgen kommt sie wieder. Während ihrer „Freizeit“ strickt sie Pullover, flickt Hosen und Strümpfe, bringt den Bass des Mannes mit „Sidol“ auf Hochglanz und flüchtet manchmal für wenige Minuten in einen Liebesroman. Viel länger und öfter steht sie Tag für Tag am Herd. Dabei ist der Sonntag nicht anders als der Montag. Es war aber ein Sonntag, als alle am Tisch saßen und jemand einwarf: „Der Reis ist versalzen.“ Sie sagt nichts. Die stummen Tränen sieht niemand, denn keiner schaut vom Teller auf.

Josef Laner
Josef Laner

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