„Am besten keine, oder so wenig wie möglich“

Publiziert in 16 / 2013 - Erschienen am 2. Mai 2013
Wie gefährlich sind Spritzmittel wirklich? - Volksabstimmung über ­Pestizid-Verbot in Vorbereitung Mals - Der Einsatz von Pestiziden in der intensiven Landwirtschaft wird immer umstrittener. „Die Gefahren für die menschliche Gesundheit sind nicht von der Hand zu weisen. Die Bevölkerung wird immer kritischer, die biologische Vielfalt nimmt auch im Obervinschgau infolge des zunehmenden Obstanbaus immer mehr Schaden. In Südtirol werden in Intensivkulturen jährlich rund 80 Kilogramm Pestizide pro Hektar ausgebracht, italienweit sind es 9. Informationen gelangen nur sporadisch und spärlich an die Öffentlichkeit.“ Mit diesen Worten führte Eva Prantl, die Vorsitzende der Umweltschutzgruppe Vinschgau, am vergangenen Freitag im Kulturhaus in Mals in einen gut besuchten Vortragsabend ein. Gastreferent war der anerkannte, mittlerweile pensionierte, aber auf seinem Gebiet noch immer stark engagierte Universitätsprofessor und Humantoxikologe Hermann Kruse aus Kiel. Pestizide, also Schädlingsbekämpfungs- sowie Pflanzenschutzmittel, können über die Lunge, das Blut, die Haut oder den Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden und dem Organismus schaden. Weit schlimmer als akute Folgen sind laut Kruse chronische Schadstoffwirkungen. Die Palette möglicher Folgen reicht von Organschäden und Allergien bis hin zu Nervenreizungen und Krebs. Substanzen, die krebseregend sind, gehören natürlich sofort verboten. Die eigentliche ­Ursache, warum zum Beispiel das Insektizid Lindan und andere Substanzen vor Jahrzehnten verboten wurden, liegt darin, dass in der Milch von Kühen, aber auch in der Frauenmilch Rückstände festgestellt wurden. Problem Schwellenwerte Für den Einsatz von Pestiziden gebe es zwar Schwellenwerte, sprich „täglich duldbare Aufnahmemengen eines Stoffes“, doch damit sei das Problem nicht wirklich gelöst. Kruse: „Es wird immer nur der Höchstwert eines einzigen Wirkstoffs berücksichtigt, nicht aber die Summe mehrerer Stoffe.“ Dass die Wechselwirkung unterschiedlicher Substanzen noch zum Großteil unerforscht ist, hatte die Toxikologin Irene Witte bereits im November 2011 in Mals unterstrichen. Auch Kruse warnte vor „Cocktails“, also Mischungen von Stoffen, die in der intensiven Landwirtschaft vermehrt zum Einsatz kommen, wissenschaftlich aber nur schwer zu bewerten sind. Bevor Pestizide zum Einsatz kommen, müssen der Zulassungsbehörde toxikologische Untersuchungsergebnisse vorgelegt werden. „Die Befunde von Tierexperimenten und anderen Untersuchungen werden der Öffentlichkeit laut Kruse aber nicht bekannt gegeben: „Auch für uns Wissenschaftler bleiben sie unter Verschluss.“ Die Agrarindustrie wehre sich mit aller Macht gegen die Veröffentlichung. Nein zu Totalherbiziden Als sehr bedenklich stuft Kruse Totalherbizide (Roundup) ein. Breitbandherbizide werden hierzulande in der Intensivlandwirtschaft ebenso eingesetzt wie zum Teil auch Captan und Chlorpyrifos. Problematisch sind Totalherbizide laut Kruse deshalb, weil sie den Wirkstoff Glyphosat enthalten, „der über die Nahrungskette ins menschliche Fettgewebe gelangt und sogar in Frauenmilch und somit zum Säugling transferiert werden kann.“ Glyphosat in höheren Dosen könne zu neurotoxischen Schäden führen. Gefahren sieht Kruse auch im Einsatz von Chlorpyrifos. Er steht grundsätzlich dafür ein, „überhaupt keine Pestizide einzu­setzen, oder nur so wenig wie möglich.“ Es gebe genug ­Alternativen. Der Bioanbau mache es vor. Die Pestizidrückstands-Verordnung der EU aus dem Jahr 2005 biete nicht ausreichenden Schutz. Bezüglich Obstbau gab Kruse zu bedenken, dass aufgrund der modernen Spritztechnik feinste Partikel versprüht werden, die in der Luft relativ weite Entfernungen zurücklegen können. Ins Grundwasser sollten Pestizide auf keinen Fall gelangen. Kruse warnte auch davor, dass der starke Einsatz von Pestiziden den Bestand von Schmetterlingen, Vögeln und anderen Tieren gefährdet. Ein Riesenproblem - und zwar weltweit - sieht er in der „drohenden Zerstörung der Biene“. Mehr Transparenz gefordert Bei der Diskussion wurde vor allem mehr Transparenz gefordert. Für viele Landwirte seien Pestizide ein Tabuthema, die Bevölkerung sei zu wenig aufgeklärt. Auch viele Befürchtungen und Ängste wurden geäußert: Wie gefährlich ist es, wenn Kinder durch eine „frisch“ gesprühte Obstwiese gehen? Wie stark ist die Belastung für jene Menschen, die mit Pestiziden umgehen? Wo gibt es Hilfe? Kruse kann sich vorstellen, bei Kindern und anderen Personen Urinproben durchzuführen. Dass Pestizide auch in die Nahrungskette gelangen können, speziell auch in die Kuhmilch, bestätigte Kruse. Bezüglich Abdriftung von Spritzmitteln wurde betont, dass im Obervinschgau sehr oft der Wind weht und das Abdriften somit begünstigt wird. Auch Grünwiesen, Gärten und Häuser kämen zum Handkuss. Was die Transparenz betrifft, so ist laut Kruse an die Politik zu appellieren. - In Mals wird die Politik in Zukunft auf jeden Fall stark gefordert sein, denn es wird die Abhaltung einer Volksabstimmung über ein Pestizid-Verbot auf Gemeindeebene vorbereitet. Eva Prantl meinte zum Abschluss: „Die Diskussion steht erst am Anfang.“ Malosco macht es vor Von strengen Regeln beim Einsatz von Pestiziden berichtete ein Vertreter des „Comitato per il Diritto alla Salute in Val di Non”. Der Gemeinderat der Gemeinde Malosco im Nonstal hatte zum Schutz der öffent­lichen Gesundheit eine Verordnung beschlossen, wonach die Bevölkerung über den Einsatz von Pestiziden genau informiert werden muss und wonach ein Mindestabstand von 50 m von Wohnungen, Siedlungen und auch Grünwiesen einzuhalten ist. Die Verordnung, gegen die der Bauernbund des Trentino (Coldiretti) rekurriert hatte, hielt sowohl vor dem Verwaltungsgericht in Trient als auch vor dem Staatsrat in Rom stand. Sepp Laner „Giftige Gefahr“ Vinschgau/Südostschweiz - Für einigen Wirbel - und auch für Ärgernis vor allem in der Tourismusbranche im Vinschgau und darüber hinaus - sorgte ein Artikel, der am 26. April in der Ausgabe Graubünden der Zeitung „Die Südostschweiz“ erschienen ist. Vor allem die Schlagzeilen, unter denen der Beitrag zum Thema Spritzmittel im Obstbau an die breite Öffentlichkeit kam, sorgten für Anstoß: „Spritzmittel verseuchen die Ferienregion Vinschgau“, hieß es, und „Giftige Gefahr im Südtirol“. Im Beitrag selbst ist davon die Rede, dass Pestizide überall verweht würden. Die Obstbaulobby sei sehr stark, die Spritzmittel seien im legalen Rahmen.sepp
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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