In Prad ging’s um „Bären-Sicherheit“ im Land
Wichtige Organisatoren waren: Hans Peter Gunsch, Heinrich Erhard, Andreas Riedl, Massimiliano Rocco und Mauro Belardi (von links).

Bär oder nicht Bär? – das ist die Frage

Publiziert in 19 / 2008 - Erschienen am 21. Mai 2008
Prad – Beim dreitägigen ­Bären-Kongress vom 16. bis 18. Mai 2008 im Nationalparkhaus „aquaprad“ ging es dem italienischen Ableger des „World Wide Fund for Nature“, abgekürzt WWF, dem italienischen Umweltministerium, dem Stilfserjoch Nationalpark, dem Dachverband für Natur und Umweltschutz, dem Amt für Jagd und Fischerei, der Abteilung Natur und Landschaft in der Südtiroler Landesverwaltung und der Arbeitsgruppe im Projekt „Ursina“ im Rätischen Dreieck um die „soziale Verträglichkeit“ des Braunbären in den Alpen. Experten aus der Schweiz, aus Österreich, Italien, Spanien und Slowenien waren eingeladen worden, um über Erfahrungen im Umgang und im Zusammenleben mit dem Bär zu berichten. Günther Schöpf Das Besondere am Kongress in Prad war die Tatsache, dass zum ersten Mal versucht wurde, weiträumig Aufklärungsarbeit in Sachen „Bärenmanagement“ zu leisten, bevor sich die Schadensmeldungen über den „blutrünstigen Räuber“ häuften. Es war die klassische Prävention durch Öffentlichkeitsarbeit. Wenn nichts bleibt, so bleibt die Erkenntnis, dass man den „Verwaltern und Bewahrern“ von Natur und Umwelt diesmal kaum vorwerfen kann, nicht informiert und Betroffene nicht einbezogen zu haben. Zum Auftakt ließ Ferruccio Tomasi, Präsident des Nationalparks Stilfserjoch, keine Zweifel an der Einstellung der Nationalparkführung zum Thema „Braunbär in den Alpen“ aufkommen: „Das was die Bayern und kürzlich die Schweizer getan haben, werden wir auf keinen Fall tun“, erklärte Tomasi und spielte auf den Abschuss des als „JJ3“ bekannten Bären am Splügenpass an. Auch Amtsdirektor Heinrich Erhard erklärte eindeutig und entschlossen: „Der Bär ist los. Das ist eine Tatsache und mit der müssen wir uns auseinandersetzen. Ich erwarte mir heute keine Lösung, aber ein Zugehen der beiden Positionen. Wer durch unser Land reist, sieht die dichte Besiedelung und die blühende Berglandwirtschaft. Wir müssen uns aber darauf einstellen, dass in unserer Nachbarprovinz inzwischen an die 40 bis 60 Bären leben. Und wir müssen möglichst ohne Emotionen über den Bär in Südtirol reden.“ Er erwähnte auch das Projekt „Pacobace“ (Abkürzung für “Piano d’azione interregionale per la conservazione dell’orso bruno sulle alpi centro-orientali”), an dem immerhin zwei Landesämter beteiligt seien. Es folgten die Ausführungen des Römers Massimiliano Rocco, der die „Politik des Umweltministeriums zum Schutz des Bären in den Alpen und im Appennin“ darlegte. Ihm folgte als Referent Claudio Groff, profilierter Fachmann des Trentiner Einsiedelungsprojektes „Life Ursus“. Er bewies eindrucksvoll die bergsteigerischen Fähigkeiten von „Meister Petz“, als er über dessen Mobilität im Umfang von 115 bis 45 Kilometern und einem Wanderareal von etwa 100 Quadratkilometern sprach. Der Spanier Juan Carlos Blanco berichtete von einer schwächelnden Population in den östlichen Pyrenäen und einem „Bärenerfolg“ seit 1989 in den Kantabrischen Alpen. „Wir wollen der einheimischen Bevölkerung beibringen, auf das Vorkommen des Bären stolz zu sein und sich damit zu identifizieren“, war ein Kernsatz. Er zeigte Bilder von Bienenstöcken, deren Schutz in Form von Trockenmauern heute als Kulturdenkmal betrachtet wird, und stellte fest, dass durch die Bären Arbeitsplätze geschaffen worden seien. Konkreter als in seinem ersten Referat wurde Claudio Groff dann im Vortrag über „Erfahrungen mit dem Zusammenleben im Trentino“. Zu den sechs Säulen der Bärenhaltung zählte er Beobachtung und Kontrolle (Monitoring), die Ausbildung des Personals, die Öffentlichkeitsarbeit, die Vorbeugung, das unbürokratische und 100-prozentige Ersetzen der Schäden und die Koordination über die Provinzgrenzen hinaus. Zur Prävention zählte er die Wiedereinführung von Hirtenhunden und die Behirtung, aber auch den Aufbau einer „mobilen Einsatzgruppe“. Die Akzeptanz des Bären sei 1997 unter der Bevölkerung zu 75,4 Prozent und 2003 zu 73,2 Prozent positiv gewesen, habe eine „Doxa“-Umfrage ergeben. Für 36 Mitarbeiter, darunter 4,8 fest Angestellte, für Schäden, Ausbildung und bauliche Maßnahmen seien im letzten Jahr 309.000 Euro ausgegeben worden. Gespannt war man auf den Vortrag des slowenischen Forstwirtes Matjez Harmel, der aus dem Land mit der längsten und intensivsten Bärentradition berichtete und vor allem mit dem Satz punktete: „Wenn wir den Bär respektieren, haben wir die Gewissheit, eher von einem Blitz erschlagen, als von einem Bären angefallen zu werden.“ Der zwischen 500 und 700 Exemplare liegende Bestand werde jährlich um 100 Tiere dezimiert; größten Anteil daran hätten die Wilderer. Auffallend war der Stellenwert der „Edukation“. Den Leuten, vor allem der Jugend, werde beigebracht, wie man mit dem Bären zusammenleben könne. Der landwirtschaftliche Berater Daniel Mettler aus der Schweiz stellte den „Managementplan für den Braunbären in der Schweiz“ vom Juli 2006 vor, referierte über das Informationsangebot zum „unauffälligen Bären“, über Information, zwingende Prävention, Besenderung und Vergrämung des „Problembären“ und den Abschuss für den Risiko-Bär. Inzwischen seien viele vorbeugende Maßnahmen bei den Hirten alltäglich geworden. Große Bedeutung haben der Einsatz der ausgebildeten Herdenschutzhunde und das Pilotprojekt „Ursina“ im Münstertal. Ein ernüchterndes Bild von Bärenbestand und Bärenschutz in Österreich gab Jörg Rauer aus Wien. 1991 seien 31 Bären in den nördlichen Kalkalpen und in Kärnten geboren, 2006 konnten nur noch vier Tiere nachgewiesen werden. Im Gegensatz zu Italien habe das Umweltministerium in der Sache nichts zu sagen und die Länder würden sich nur bei Schwierigkeiten einschalten. Als sich zum erwarteten Höhepunkt der Tagung, zum Runden Tisch, kein Mitglied der Landesregierung, kein Vertreter des Bauernbundes und auch kein Repräsentant der Kleintierzüchter blicken ließ, wurde mächtig interpretiert und gemunkelt und die Veranstaltung als „Treffen der Befürworter“ und somit als gescheitert bezeichnet. Die Rede war auch von einem Treffen der Kleintierzüchter mit Landeshauptmann Luis Durnwalder und gewissen Versprechen. Am Tisch hatten inzwischen Matjaz Harmel, Carlos Blanco, Mauro Belardi als Organisator des WWF, Carlo Frapporti als Vertreter der Provinz Trient, Moderator Franco Mari (WWF, Mailand), Claudio Groff, Thomas Briner (Bundesministerium für Umwelt, CH), Biologe Stefano Mayr (WWF) und Jörg Rauer bereits Platz genommen, die Diskussion war voll im Gange, als der Obmann des Südtiroler Kleintierzüchter, Johann Götsch, den Saal betrat. Inzwischen war von den Referenten eine Stellungnahme zum Thema Bär und Tourismus verlangt worden. Rocco bestätigte eine Vermarktung des Namens im Appennin. Blanco hielt dies nur für sinnvoll, wenn in einem Nationalpark bereits touristische Einrichtungen bestünden. Briner erinnerte an die anfängliche Euphorie in der Schweiz, die sich nach den ersten Schafrissen sofort gelegt habe. Das Vorkommen des Bären sei aber auf jeden Fall der Beweis für eine intakte Umwelt und damit ein Marketinginstrument; wichtig sei es allerdings, den Bär nicht zu verniedlichen und zu verkitschen. Auch Groff berichtete von einer Aufwertung des Tourismus in den Tälern des Nonsberges. Andreas Riedl vom Dachverband für Natur und Umweltschutz wollte wissen, wie es in Südtirol mit einer schnellen Eingreifstruppe oder mit Bärenanwälten wie in Österreich bestellt sei, oder ob man warten wolle, bis etwas geschieht. Amtsdirektor Erhard gab zu, in der Informationsweitergabe noch etwas verbessern zu können; zum Bärenanwalt sei er skeptisch. Eine mobile Eingreifstruppe sei mit dem Parkpersonal längst vorhanden. Er bedauere vor allem das Scheitern der Herdenschutzmaßnahme, die viel versprechend in Trafoi begonnen worden war. Sowohl Groff als auch Rauer bedauerten, dass die angrenzenden Regionen nicht früher informiert worden seien. Der Slowene Harmel schlug vor, mit Informationskampagnen schon bei Jugendlichen zu beginnen. Einen neuen Aspekt in die Diskussion brachte die Wortmeldung eines Tierarztes aus dem Trentino, der aufforderte, sich einen Schafhirten vorzustellen, wie der nachts mit seiner Herde auf einen Bären stoße. Würde der die vielfach angeführten Präventionsmaßnahmen ergreifen, hätte er eine deutliche Mehrbelastung auf sich zu nehmen. Es müsste neben der Schadensbegleichung auch dies berücksichtigt werden. Inzwischen hatte Moderator Franco Mari mehrfach versucht, im Saal anwesende Züchter oder Landwirte auszumachen. Das Unbehagen der Züchter Schließlich bemerkte Robert Lösch aus Ulten, dass ­Südtirol nichts unterschrieben habe und immer gegen eine Ansiedlung der Bären gewesen sei. Hier trat Johann Götsch aus Unser Frau auf den Plan, bestätigte eine Aussprache mit dem Landeshauptmann und dessen Versprechen, die Anliegen der Züchter sowohl an die von der Landesregierung eingesetzte Bärenkommission, als auch an das Ministerium weiter zu leiten. Sehr bestimmt wandte sich Götsch an das Podium, brachte die Ängste seiner Mitglieder zum Ausdruck und schloss mit der Frage, wie viel Risse sich ein Bär leisten dürfe, bis er entfernt werde. Moderator Mari versuchte zu klären, dass es nicht um die Wertung einer bestimmten Position gehe, sondern allein um die Feststellung einer möglichen Konvivenz von Mensch und Bär. Sowohl der Trientner, als auch der Schweizer Vertreter am Podium erklärten, dass das Gesetz nur die Gefährlichkeit für den Menschen als Kriterium einer Entnahme anerkenne. Toni Theus, Tierarzt im Münstertal und zuständig für das Abfall-Management im Projekt „Ursina“, brachte den Vorschlag ins Spiel, die Höhe der Alpungsprämien auf die Anwendung von Schutzmaßnahmen zu beziehen. Peter Gasser, Vorsitzender der Umweltschutzgruppe Vinschgau, warf provokant in den Saal, dass sich wieder kein Politiker die Finger am Thema Bär verbrennen wolle und dass die Schafzüchter auch als Vorwand genommen würden, um „den Bär madig zu machen“. Wir hätten alle Voraussetzungen, mit großen Herden auf unseren Bergweiden Hirten einzusetzen und Schutzmaßnahmen zu ergreifen, zeigte er sich überzeugt. Bei zunehmender Belebung der Diskussion – den Züchtern sei Dank – beendete Moderator Mari die Diskussion mit der Erkenntnis, dass wohl noch einiges an Sensibilisierungs-Arbeit zu leisten bleibe. Er und Claudio Groff brachten ihre Befriedigung zum Ausdruck, dass sich zum ersten Mal auch betroffenen Züchter zu Wort gemeldet hätten.Das Schlusswort ergriff Joanna Schönenberger aus Bellinzona, die in Alaska und Virginia als Rangerin mit Bären gearbeitet hatte. Die Spezialistin für das größte Raubtier in den Alpen meinte: „Wenn wir das Richtige tun, wird der Bär immer Reißaus nehmen.“
Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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