Alles Gute schwebt vom Himmel
Ankunft auf dem Tabaretta-Kamm.

Bergsteigerjahr beginnt mit Luftbrücke

Publiziert in 25 / 2008 - Erschienen am 2. Juli 2008
Trafoi/Sulden – In wenigen Stunden schafften ein Pilot und zwei Flughelfer der Firma Airway am Montag, 23. Juni 2008 Tonnen von Lebensmitteln, Hausrat, Brennmaterial und Geräte aller Art von der Franzenshöhe auf 2.189 zur Payer-Hütte auf 3.029 Höhenmetern. Filomena, Hermann und Bernhard Wöll aus Naturns, Hanspeter aus Pfalzen, Daniela aus Brixen und ­Xenia aus Tscherms werden bis Anfang Oktober bei schlechtem und gutem Wetter nicht nur dort oben leben, sondern an Wochenenden im Juli und August oft mehr als 100 Personen verköstigen und bis zu 60 auch beherbergen. Ohne den Beistand des Hubschrauber-Unternehmens mit Sitz in Laas und Zweigstelle in Sinich, müsste man – wie bis 1994 geschehen – die Vorräte tagelang von Trafoi aus mit Packesel oder Lastenpferd zur aufgelassenen Edelweißhütte auf 2.480 Höhenmetern bringen und sie von dort per Materialseilbahn zur Hütte auf dem Tabaretta-Kamm weiter liefern. Günther Schöpf In etwa vier Stunden hat der Airway-Pilot Fredi Saggiorato aus Meran die Strecke Franzenshöhe/Payer-Hütte 50 Mal zurückgelegt. Flughelfer Reinhold Stecher aus Matsch hatte zuerst die 15 Helfer, darunter Tischler und Schlosser, den französischen Eurocopter Lama SA 315 B III besteigen lassen. Nach sechsminütigem Flug bei atemberaubender Sicht und dem mulmigen Gefühl, am Abgrund abgeliefert zu werden, wurden sie vom dritten Airway-Mitarbeiter Christian Scheibenstock aus Dorf Tirol empfangen und vom Junior-Hütten-Chef Bernhard Wöll herzlich begrüßt. Dann war es aber auch vorbei mit der ruhigen Zeit. Ununterbrochen dröhnte der Hubschrauber mit gut 100 Stundenkilometern heran, setzte die in dickmaschigen Netzen verpackten Materialien punktgenau an der vereinbarten Stelle ab und tauchte mit 180 Stundenkilometern auf die „Stickle Pleis“ zur Bergl-Hütte wieder ab. Für Gotteslohn, ein Vergelt’s Gott und ein Speckbrot packten dann Freunde und Bekannte an, bildeten eine Kette und reichten Bierfässer, Mineralwasserflaschen, Klosettpapier, Nutella-Packungen, Bohnendosen, Kaminwurzen, Weinflaschen, Obstkisten und sogar eine Holzspalt­maschine weiter. Airway-Mitarbeiter Christian hätte fünf Hände haben müssen. Zusammen mit Junior-Chef Bernhard hetzte er von einem Abladepunkt zum anderen, hielt Sprechfunk-Verbindung zum Reinhold auf der Franzenshöhe und dirigierte Fredy im Hubschrauber. Er musste Hüttenwirt Hermann fragen, wo er die einzelnen Lasten haben wollte, musste Neugierige abhalten und dafür sorgen, dass die Helfer nicht direkt unter der Anflugschneise des Hubschraubers zu stehen kamen. Außerdem packte er selbst mit an und legte die Trag-Netze aus, um sie exakt zur Rückfahrt zu bündeln. Inzwischen zeigte Filomena, Tochter des legendären Hüttenwirtes Willi Ortler, dem Tischler Stefan Gutgsell aus Prad die Winterschäden an Fenster und Türen und ließ dem Hermann Gamper aus Naturns die ausgeleierten Schlösser in den Zimmern nachstellen. Unabhängig vom hektischen Treiben war auch schon der Touristen- oder Bergsteigeralltag auf der Payer-Hütte angebrochen. Ein einzelner Wanderer aus Tschechien erwartete seine Freunde aus der Nordwand. Hüttenwirtin Filomena wird später mitteilen, dass die Kletterer erst um 20.30 Uhr die Hütte erreicht haben. Plötzlich standen Pfadfinder aus Vicenza in der Tür. Sie seien von Trafoi aus aufgestiegen und hätten über die „Bergout“ - so sprach der junge Vicentiner „Berglhütte“ aus - den „Rifugio“ erreicht. Außerdem hätten sie sich verstiegen; das allerdings hatte man am Geröll, das sie auf Suldner Seite losgetreten hatten, auch gemerkt. Als erste wirkliche Hochgebirgstouristen ließen sich Hans und Anni Fritzenwanker aus St. Johann im Salzburgischen Pongau von der Familie Wöll bewirten. Den Pfadfindern, die ihre Wasserflaschen füllen wollten, musste Hüttenwirt Hermann erst mühevoll erklären, warum es ratsamer ist, Mineralwasser zu kaufen, als das in der Hütte zum Kochen verwendete Schmelzwasser zu trinken. Inzwischen war der neue Gasherd eingeflogen worden, auf den Filomena Ortler so sehnsüchtig gewartet hatte. Nachdem die Kartons mit Holzbriketts und die schweren Kohle-Säcke verstaut waren, schickte Christian Scheibenstock die Helfertruppe nach und nach wieder zur Franzenshöhe zurück. Dort blieb dem Flughelfer gerade noch Zeit, seine Tasche zu verstauen, und schon mussten die rot gekleideten „Airway-Mander“ zu einem Kuh-Transport nach Pfelders fliegen. „Die höchste ­Unterkunftshütte in den Deutschen Alpen Julius von Payer, geboren in Böhmen war als Offizier des 36. Infanterieregiments seiner Majestät Kaiser Franz Josefs I. an verschiedenen Orten in Norditalien stationiert. Noch nicht 30jährig nutzte er zwischen 1860 und 1868 diese Zeit, Alpengipfel zu erforschen, zu besteigen und zu vermessen. Von 1872 bis 1874 leitete er zusammen mit Carl Weyprecht die große Österreichisch-Ungarische Nordpolexpedition. Als Kritiker Leistungen und Fahrten bezweifelten, nahm Payer gekränkt seinen Abschied. Es tröstete ihn auch nicht, dass 1875 die Sektion Prag des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins unter Johann Stüdl „Die höchste Unterkunftshütte in den Deutschen Alpen“ am Ortler gebaut und nach ihm benannt hatte. 1886 und 1893 musste die Payer-Hütte jeweils erweitert werden. Dies war notwendig geworden, den um 1894 erachtete es Theodor Christomannos für notwendig „…durch eine ausführliche Sitzordnung für den Ortlergipfel (...) die Unordnungen des Massenbesuchs zu steuern und vor allem dem lästigen Herandrängen unberufener Sommerfrischler an den ‚complet besetzten Gipfel’ ein Ende zu machen…“. Die erste Unterkunft entstand an der Stelle der heutigen Antonius-Kapelle. Zwischen 1906 und 1908 wurde der Standort weiter nach Süden verlegt und das Gebäude in der heutigen Form erichtet. Seit Ende des ersten Weltkrieges besitzt die Sektion Mailand des „Club Alpino Italiano (CAI)“ die Hütte, kommt für größere Reparaturen auf und zeigt den heimischen Pächtern gegenüber sehr viel Feingefühl. Am 23. August 1936 hatte der damalige Post- und Kommunikationsminister Benni persönlich die höchste Telefonlinie Italiens eröffnet. Zwischen 1990 und 1994 wurde die Schutzhütte saniert. Überwacht wurden die Arbeiten vom CAI-Inspektor Marco Tieghi. 1987 hatte Willi Ortler die Führung der Payer-Hütte seiner Tochter ­Filomena und ihrem Mann Hermann Wöll, einem gebürtigen Forster, überlassen.
Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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