Damit das letzte Wort bei den Bürgern bleibt
Publiziert in 17 / 2007 - Erschienen am 9. Mai 2007
Damit Südtirol ein besseres Gesetz für die Ausübung der direkten Demokratie bekommt, sammelt die Initiative bzw. das Bündnis für mehr Demokratie derzeit landesweit Unterschriften. 13.000 beglaubigte Unterschriften müssen bis Mitte Juni vorliegen, damit das Volk in einer Volksabstimmung selbst entscheiden kann, wie es in Zukunft mitentscheiden will. In der Gemeinde Taufers im Münstertal, also direkt an der Grenze zur Schweiz, in der die direkte Demokratie seit jeher stark verwurzelt ist, hat sich kürzlich ganz spontan eine Interessentengruppe zur Förderung der direkten Demokratie gebildet. Am 3. Mai hat in Taufers ein gut besuchter Informations- und Diskussionsabend stattgefunden. Im Zuge der Debatte kam es zu teils hitzigen Wortgefechten zwischen Vertretern der SVP und Unterstützern der Volksinitiative für ein besseres Gesetz zur direkten Demokratie.
Als Referenten konnte Gerhard Kapeller im Namen der Interessentengruppe Stephan Lausch von der Initiative für mehr Demokratie begrüßen sowie Georg Fallet aus Müstair, Mitglied des Großen Rates des Kantons Graubünden. Der Große Rat ist in etwa mit dem Landtag in Südtirol vergleichbar. Stephan Lausch zeigte die Mängel des derzeit geltenden Landesgesetzes zur direkten Demokratie auf und informierte über die Änderungen und Verbesserungen, die das Bündnis für mehr Demokratie erreichen will. Diesem Bündnis gehören 40 Organisationen in Südtirol an. Im Gegensatz zum derzeitigen Gesetz sieht der Entwurf des Bündnisses auch die Möglichkeit der Volksabstimmung über jene Entscheidungen der Landesregierung vor, die bestimmte Mindestausgaben mit sich bringen, eine große Umweltrelevanz haben und die Allgemeinheit betreffen. „Damit können die Bürger auch über Großprojekte entscheiden“, führte Stephan Lausch aus. Als Beispiele nannte er etwa den Flugplatz-Ausbau, das Fahrsicherheitszentrum in Pfatten oder den Ausbau der Pustertaler Straße. Auch wenn Großprojekte nur einen Teil des Landes betreffen, soll die Bevölkerung abstimmen können, falls dies 10 Prozent der Bevölkerung oder mindestens 10 Gemeinden wollen.
Die Zahl der Unterschriften bei Volksinitiativen (gesetzeseinführendes Referendum) soll von derzeit 13.000 auf 10.000 gesenkt werden. „Wir schwer es ist, die 13.000-Hürde zu schaffen, erfahren wir derzeit am eigenen Leib“, so Lausch. Die Drei-Monate-Frist für das Sammeln der Unterschriften, wie sie das geltende Gesetz vorsieht, sei viel zu kurz. Es sollte überhaupt kein zeitliches Limit gesetzt werden. Als besonders wichtig im „besseren Gesetz“ erachtet Lausch die Einführung des so genannten bestätigenden Referendums, denn damit kann in einer Volksabstimmung entschieden werden, ob ein Landesgesetz oder ein Beschluss der Landesregierung überhaupt in Kraft treten soll.
Beteiligungsquorum von 40 Prozent ist viel zu hoch
Das derzeit fest geschriebene Beteiligungsquorum (40 Prozent der Wahlberechtigten) sei viel zu hoch und soll auf 15 Prozent gesenkt werden. Auch über die Entlohnung ihrer politischen Vertreter sollen die Bürger entscheiden können. Vorgeschlagen wird mit dem „besseren Gesetz“ zudem die Pflicht zur Information. So sollten die Bürger einen Monat vor der Abstimmung mit einem eigenen Heft sachlich über Pro und Contra informiert werden.
„Informiert wird in Südtirol leider viel zu wenig. Wäre dem nicht so, würden wir uns derzeit mit dem Sammeln von Unterschriften viel leichter tun“, sagte Stephan Lausch. Viel gedient wäre der Sache, wenn etwa die Tageszeitung „Dolomiten“ auch nur einmal auf der ersten Seite auf die Unterschriftensammlung hinweisen würde. Auch das Landespresseamt sei gefordert. Es gehe hier ja nicht um Parteipolitik, sondern um mehr direkte Demokratie, „also um etwas, was uns alle angeht und angehen muss, ganz gleich ob überhaupt oder welcher Partei jemand angehört.“ Im Vergleich zum Landtag, dem gesetzgebenden Gremium, sei die Landesregierung, die per Definition eigentlich „nur“ ein ausführendes Gremium ist, derzeit übermächtig. Dies zeige sich etwa in der so genannten Anlass-Gesetzgebung. Gerade deshalb sei es wichtig, dass das Volk auch bei Beschlüssen der Landesregierung mitredet.
„Wir in der Schweiz leben mit dem Null-Quorum gut“
„Wir in der Schweiz haben uns Dank der Instrumente der direkten Demokratie daran gewöhnt, dass das Volk das letzte Wort hat, ganz gleich ob in den Gemeinden, in den Kantonen oder auf Bundesebene“, sagte Georg Fallet. Es sei selbstverständlich, dass die Bürger bei Gesetzen und auch bei sachpolitischen Entscheidungen direkt mitbestimmen „und weil das die Politiker natürlich wissen, wird schon im Vorfeld genau überlegt und ausführlich diskutiert, welche Gesetzes- und Entscheidungsvorschläge man auf den Tisch bringen will.“ Als „übertrieben“ findet Fallet die direkte Demokratie in der Schweiz nicht. Sie wirke manchmal auch als „gesunde Bremse“. Das sei nicht schlecht, denn oft ist es besser, dass über bestimmte Dinge ausreichend diskutiert und mitunter auch zweimal nachgedacht wird. Kein Problem habe man auch damit, dass in der Schweiz überhaupt kein Quorum vorgesehen ist. „Wer nicht zufrieden ist, geht hin und stimmt ab. Wer nicht hingeht, ist selber Schuld. Die Leute merken sehr wohl, wann sie hingehen müssen.“ Überrascht gaben sich die Zuhörer über die Politikergehälter in der Schweiz. Fallet bekommt als Abgeordneter im Großen Rat 300 Franken pro Arbeitstag in Chur. Im Jahr kommt er auf rund 10.000 Franken (umgerechnet ca. 6.400 Euro).
Peter Gasser, der Vorsitzende der Umweltschutzgruppe, warf die Frage auf, warum sich die große Regierungspartei in Südtirol so vehement gegen einen Ausbau der direkten Demokratie stemmt, zumal es sich „doch fast um ein natürliches Völkerrecht handelt.“ Stephan Lausch verwies diesbezüglich auf den Fraktionszwang in der SVP: „Ohne Fraktionszwang wäre 2004 der Gesetzesentwurf unserer Initiative und nicht jener der Mehrheitspartei genehmigt worden.“ Weiters spielen laut Lausch die Parteimacht und die Vertretung von Wirtschafts-Lobbys eine große Rolle: „Es sind im Grunde kleine Kreise der Wirtschaft, die von Großprojekten profitieren“. Der Mehrheitswille der Bevölkerung werde zugunsten mächtiger Interessen ignoriert.
„Mächtige Interessen“ sind oft stärker als der Mehrheitswille des Volkes
„Hätte es schon früher eine bessere direkte Demokratie gegeben, hätte man uns Vinschger zum Beispiel beim Stromkrieg sicher nicht so über den Tisch ziehen können. Ich bin überzeugt, dass mit einer besseren direkten Demokratie auch die Rolle der Gemeinden aufgewertet wird“, meinte Peter Gasser. Mehrere Diskussionsteilnehmer griffen die SVP heftig an. Sie habe in ihrer Selbstherrlichkeit in Raubtiermanier bestimmte Projekte vorangetrieben, die niemand wolle; sie bediene Lobbys und ziehe gigantomanische Projekte durch, die am Ende die Bürger zahlen müssten; wenn man über bestimmte Dinge Bescheid wissen will, heiße es in den zuständigen Ämtern nicht selten: „Sei still, das ist eine politische Entscheidung, das kommt von ganz weit oben.“
Die SVP-Bezirksobfrau Roselinde Gunsch Koch erinnerte daran, dass sie seinerzeit für eine Senkung des Beteiligungsquorums eingetreten ist. Auch ihr gehe es um mehr direkte Demokratie. Sie sei aber überzeugt, dass ein Schritt nach dem anderen zu setzen sei und dass die Zeit für ein Null-Quorum für unsere Gesellschaft noch nicht reif sei. Nicht wahr sei, „dass bei uns nur einer das Sagen hat“. Der Fraktionszwang sei in den Statuten vorgesehen „und in der Vergangenheit hat es ihn auch gebraucht.“
„Die Aussagen der Bezirksobfrau sind ein Beweis für die Arroganz der herrschenden Partei, die den Bürgern die Mündigkeit abspricht, selbst entscheiden zu können“, ärgerte sich Peter Gasser. Gunsch Koch konterte, dass weder sie noch ihre Partei den Bürgern Unmündigkeit oder Unreife unterstellen.
Die SVP-Ortsobfrau Cilli Alber Kapeller versuchte die Wogen zu glätten: „Ich habe mir hier nicht eine Anti-SVP-Veranstaltung erwartet. Um was es hier geht, ist mehr Demokratie insgesamt. Es braucht eine neue Diskussion auch innerhalb der SVP und innerhalb der Gemeinde.“ „Lassen wir die Parteipolitik außen vor. Auch ich bin Mitglied der SVP. Wir als Gruppe sind nicht gegen etwas, sondern für etwas und das ist die Weiterentwicklung der Demokratie“, meinte auch Gerhard Kapeller. Neben ihm gehören auch Elisabeth Christandl und Heinrich Wittmer sowie die SVP-Gemeinderätinnen Margit Gaiser und Sophie Gorfer der Interessentengruppe an.
Im Anschluss an die Diskussion wurden Unterschriften beglaubigt. Falls termingerecht landesweit 13.000 Unterschriften zusammenkommen, könnte im Herbst 2009 über die Volksinitiative abgestimmt werden. (sepp)
Ausführliche Informationen über das „bessere Gesetz zur direkten Demokratie“ gibt es im Internet (www.dirdemdi.org). Auch Angaben darüber, wann, wo und wie Unterschriften abgegeben werden können, sind im Web zu finden. Auch eine „Demokratische Notrufzentrale“ gibt es: 0471 324987 (Mo-Fr 9-12.30 Uhr und 15-18 Uhr).
Josef Laner