Ich mag dich, wie du bist - Arbeitskreis Eltern Behinderter
Berührende Umarmung: Carmen Telser und ihre achtjährige Judith in Mals

Damit der Weg kein einsamer ist

Publiziert in 7 / 2004 - Erschienen am 8. April 2004
[F] In der Lourdeskirche von Laas hängt das Bild des kleinen Down Mädchens Paula. Die Eltern Carla und Walther Schwienbacher danken damit für die Hilfe in der schweren Zeit nach der Geburt. Sie haben ihr besonderes Mädchen ins Herz geschlossen. Paula ist heute 12 Jahre alt, ein fröhliches Kind, geliebt und behütet. Mutter und Tochter haben sich für das Titelbild fotografieren lassen. Ein mutiger Schritt. von Magdalena Dietl Sapelza [/F] Es sind traumatische Augenblicke, wenn Eltern nach der Geburt ihres Kindes erfahren: Das Kind ist anders. Es hat Defekte. Der Traum von der heilen Familie gerät ins Wanken, vor allem, wenn es sich um eine geistige Beeinträchtigung handelt. Ohnmacht, Sorge und Angst vor der Zukunft machen sich breit. Warum trifft es gerade uns? Wie schaffen wir das? Wie werden Angehörige, Freunde, Bekannte reagieren? Fragen und Gedanken trüben die Freude. Die Kinderkrankenschwester bringt das Neugeborene und legt es der Mutter in den Arm. Es ist mein Kind. Es atmet. Es lebt. Ich will es annehmen. Ich liebe es. Ich muss die Verantwortung übernehmen. Im Wechselbad der Gefühle beginnt ein neuer unbekannter Weg. [F] Der neue Weg [/F] Eltern versuchen die Hindernisse im Alltag zu meistern. Sie gewöhnen sich an Arztbesuche und Kontrollen. Kämpfen mit den langen Wartezeiten in Rehabilitationseinrichtungen. Langsam wachsen sie mit der Aufgabe. Unsicherheit ist da, wenn sie an den zukünftigen Lebensweg des Kindes denken. Was wird mit der Schule sein? Wo findet das Kind Beschäftigung? Was wird sein, wenn wir nicht mehr da sind? Es entstehen Kontakte zu anderen Betroffenen. Informationen über die Hilfen im Sozialnetz werden eingeholt. Verantwortliche des Arbeitskreises Eltern Behinderter AEB versuchen mit den betroffenen Eltern "Erstkontakte" zu knüpfen. Bieten Hilfestellungen an. Sie begleiten beispielsweise durch den "Papier-Dschungel", wenn es um Begleit- und Pflegegeld, um Therapieplätze und dergleichen geht. Das Büro des AEB ist eine Anlaufstelle, wo unter anderem rechtliche Beratung eingeholt werden kann. Der Arbeitskreis ist politisch aktiv und versucht Rahmenbedingungen zu erreichen, mit denen Behinderte gleichgewichtig und gleichberechtigt leben können. [F] Einander Stütze sein [/F] Den Selbsthilfegruppen im AEB sind vorwiegend Eltern geistig behinderter Kinder angeschlossen. Mütter tragen den größten Teil der Verantwortung für das behinderte Kind. Nicht selten müssen sie ihre Berufstätigkeit aufgeben oder werden eingeschränkt. In der Gruppe treffen sie auf Mütter mit gleichen Sorgen. Sie erhalten Stütze, die Möglichkeit an Fortbildungsabenden teilzunehmen und vieles mehr. Über das Ventil der Selbsthilfegruppen werden Anregungen und Kritiken an Politiker, Ärzte und Sozialdienste herangetragen. Ein Wunsch: Die Solidarität der Gesellschaft mit pflegenden Müttern sollte sich so ausdrücken, dass sie zumindest später eine Altersversorgung haben. Auf Landesebene kämpft die streitbare Präsidentin Gertrud Calenzani. Es geht nicht zuletzt um die finanziellen Zuwendungen für den Behindertenbereich. [F] Integration anstatt Isolation [/F] In den 60er und 70er Jahren gab es im Land noch Sonderkindergärten und Sonderschulen, in denen behinderte Kinder von allen übrigen abgegrenzt wurden. Ein langer Weg über die kooperativen Klassen, dem Einsatz von Stützlehrern führte zum heutigen Integrationsmodell. Schrittweise sollen die Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft ihren Platz finden, mit dem Ziel, im Rahmen ihrer Möglichkeiten irgendwann ein selbst bestimmtes Leben zu führen, beispielsweise in Wohngemeinschaften, die im Aufbau sind. Das setzt voraus, dass Eltern lernen, ihre Schützlinge loszulassen. Der Unterricht in Normalklassen, begleitet von Integrationslehrern oder Betreuern, ist eine wichtige Errungenschaft. Im Pflichtschulbereich funktioniert das Ganze recht gut. Belastend wirkt sich der häufige Wechsel der Integrationslehrer und Betreuer aus, der die Kontinuität behindert. Regellehrern und Integrationslehrern fehlt oft eine gemeinsame Basis und Zielvorstellung. Auch stehen zu wenige ausgebildete Fachkräfte zur Verfügung. Einiges hat sich in den vergangenen Jahren getan, vieles muss noch verbessert werden. Im Bereich Oberschule öffnen sich erst langsam die Türen für Kinder mit geistiger Behinderung. Die Berührungsängste sind groß. Diese Ängste sind im Freizeitbereich und in der Arbeitswelt überall spürbar, eine Gegebenheit, die Eltern bedrückt. [F] Arbeitseingliederung schwierig [/F] Was wird mein Kind tun, wenn es die Pflichtschule abgeschlossen hat? Eine belastende Frage. Die Integration in die Arbeitswelt steckt in den Kinderschuhen. Trotz Grundlehrgängen, Berufsfindungskursen, Pflichteinstellungen und Berufsbegleitung, geistig behinderte Jugendliche finden nur schwer oder gar keine Arbeitsstelle. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind da, aber all zu oft fehlt die Bereitschaft zur Solidarität mit den Schwächsten der Gesellschaft. Die Anstellungsverhältnisse gehen meist nicht über die Praktika hinaus. Die Leistung ist vorrangig, die Menschen mit Behinderung nur bedingt erbringen können. Was bleibt ist für viele letztendlich eine Behindertenwerkstatt, wo sie abgeschieden von der übrigen Arbeitswelt beschäftigt werden. Diese Werkstätten sind nach wie vor wichtige Einrichtungen, die es bei schwerster Behinderung immer brauchen wird. [F] Tabu-Thema Sexualität [/F] Geistig behinderte Menschen und Sexualität war lange ein Tabu Thema. Es wurde ignoriert, dass diese Menschen gleiche Gefühle haben wie andere. An dieses heikle Thema wagten sich die Mütter in der Selbsthilfegruppe Ober- und Mittelvinschgau kürzlich heran und luden zum Einstieg einen Referenten ein. Jugendliche mit geistiger Behinderung bleiben im Umgang mit dem Körper auf der Kleinkindstufe stehen und entwickeln kein Schamgefühl. Vielfach kommt hinzu, dass sie zur Pflege ihres Körpers die Hilfe von außen brauchen und ihr Intimbereich nicht mehr so intim ist. Es gilt einen Weg zu finden, zwischen dem was erlaubt werden kann und wo Grenzen gesetzt werden müssen. Wichtig ist, dass die Eltern die richtige Sprache finden. [F] Problem Freizeit [/F] "In der Schule geht es meinem Kind gut", so eine Mutter, "wenn die Türen zugehen, ist es allein." Den Eltern ist es ein Anliegen, dass ihre Kinder mit Gleichaltrigen Kontakte pflegen können. Doch das ist nicht immer möglich. Im Kindergarten- und Grundschulbereich wird ansatzweise ein ungezwungenes Miteinander auch außerhalb der Schulzeit gepflegt. Im Mittelschul- und Teenageralter lösen sich die Kontakte meist auf und gehen nicht über den allgemeinen Schulbetrieb hinaus. Vor einem Jahr sprachen die Vertreterinnen der Selbsthilfegruppe Ober- und Mittelvinschgau in Zusammenarbeit mit der Direktorin der Sozialdienste Vinschgau, Martha Stecher, einer Verfechterin für Integrationsprojekte zur Eingliederung der Behinderten, alle im Jugendbereich tätigen Verbände und politsch Verantwortlichen (Jugenddienst, Assessoren) auf das Thema Freizeitgestaltung an. Der gute Wille, die Jugendlichen einzubeziehen, wurde bekundet, doch konkrete Schritte konnten bislang nicht gesetzt werden. Der erste Schritt im Umgang mit behinderten Menschen ist ein natürliches Aufeinanderzugehen. Alle, Behinderte und Nicht-Behinderte, sind gefordert die Schritte gemeinsam zu gehen, auch im unbekannten Gelände, und nicht stehen zu bleiben. Viele kleine Schritte führen zum Ziel. [K] Arbeitskreis Eltern Behinderter - Kontaktadressen: Mittel- und Obervinschgau: Naturns/Lana: Barbara Kofler Rosmarie Duregger Schlanders Lana Telefon: 0473 732222 Telefon: 0473 562862 Margareth Moriggl Hermine Überbacher Laimer Glurns Lana Telefon: 0473 831650 Telefon: 0473 564706 Treffen der Selbsthilfegruppe Mittel- und Obervinschgau: Jeden dritten Donnerstag von September bis Mai abwechslungsweise an ungeraden Monaten im Sprengelsitz Mals, an geraden im Haus der Bezirksgemeinschaft, jeweils um 20.00 Uhr. [/K]
Magdalena Dietl Sapelza
Vinschger Sonderausgabe

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