Das Paradies der Schieber
Publiziert in 15 / 2002 - Erschienen am 1. August 2002
Vor zwei Jahren veröffentlichte der israelische Journalist Shraga Elam, der in der Schweiz lebt, ein Buch über die sogenannte „Gruppe Wendig“, die von Meran aus den Vertrieb von gefälschten Pfundnoten organisierte. Im selben Jahr erschien die Dissertation von Gerald Steinacher. In dieser beschreibt der Autor detailliert den Anteil besagter „Gruppe Wendig“ an den Geheimverhandlungen in der Schweiz, die mit zur Kapitulation der Deutschen in Italien führten. Beide Werke bieten einen neuen Blick in die lokale Geschichte und geben auch uns im Vinschgau wichtige Hinweise zur Klärung einiger offener Fragen.
[K]von Philipp Trafojer[/K]
In seinem Buch „Hitlers Fälscher“ zitiert Shraga Elam aus dem sogenannten „Schoster-Bericht“. Am 1. August 1945 lieferte der ehemalige Leiter der nationalsozialistischen Kriminalpolizei in Südtirol, Artur Schoster dem amerikanischen Militärgeheimdienst CIC einen Bericht, in dem er über die kriminellen Machenschaften der „Gruppe Wendig“ unter ihrem Chef Friedrich Schwend (alias Dr. Fritz Wendig) aussagte. Schoster benennt dabei auch Orte, die von der Meraner Schieberbande auf der Route in die Schweiz als Versteckorte bzw. als Quartiere für Vertrauensleute benutzt wurden. So erwähnt er die Marmorbrüche von Laas, einige Stollen im oberen Vinschgau, Schloss Dornsberg in Naturns, die Villa Rheingold in Reschen, sowie einen nicht näher beschriebenen Versteckort im Martelltal.
Die Rolle von Schloss Dornsberg als Teil des Imperiums der Meraner Schieberbande ist durch die Forschung von Shraga Elam bekannt und belegt. Die Villa Rheingold ist bei der Stauung des Reschensees untergegangen. Es sind keine Unterlagen mehr vorhanden. Wie die Marmorbrüche von Laas von der Bande benutzt worden sind, bleibt wegen fehlender Quellen ebenfalls ungeklärt.
Die „Gruppe Wendig“ sollte in den letzten Kriegsjahren im Auftrage höchster Nazi-Dienststellen mit gefälschten Pfundnoten von Meran aus vor allem kriegswichtige Rohstoffe beschaffen. Daneben diente das Unternehmen zur Finanzierung geheimdienstlicher Auslandsaktivitäten. Der Gesamtprofit, den die Gruppe zugunsten des Dritten Reiches „erwitschaftet“ hat, soll bei etwa 1 Milliarde Reichsmark gelegen haben.
Die Mitglieder der Fälscherbande erhielten für ihre Arbeit circa ein Drittel des Erlöses, trugen aber das gesamte Verlustrisiko. Ihren Verdienst nutzten sie für eigene Geschäfte oder brachten ihn in Sicherheit. Vor allem Schwend verstand rasch, dass er auf einen Teil seines Vermögens verzichten musste, wenn er den Krieg heil überstehen wollte. Er arrangierte sich mit den Amerikanern und beteiligte sich sogar an den Geheimverhandlungen in Bern, die wesentlich zum Waffenstillstand in Italien beitrugen. Nach Kriegsende soll er zunächst für die Amerikaner gearbeitet haben. Im Kampf gegen den Kommunismus rekrutierten diese besonders gerne ehemalige Mitarbeiter des nationalsozialistischen Geheimdienstes. 1946 übersiedelte Schwend schließlich nach Südamerika, wo er gemeinsam mit dem „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie, dem KZ-Arzt Josef Mengele und anderen Nazigrößen vor allem mit Waffen handelte.
Friedrich Schwend war während des Krieges und in der unmittelbar darauffolgenden Zeit ein reicher Mann. Auf sein Vermögen schielten natürlich viele, weshalb Schwend auf günstige Kapitalanlagen, sichere Verstecke und eine gute Tarnung angewiesen war. Schwend verwendete große Teile seines Vermögens zum Ankauf von Immobilien. Als Käufer trat er dabei nicht selbst auf, sondern wickelte die Geschäfte über Strohmänner oder Scheinfirmen ab. Wie er dabei vorging, zeigt exemplarisch der im Schoster-Bericht genannte „Versteckort“ im Martelltal.
Laut einem Bericht der Amerikaner erwarb Schwend im Herbst 1944 die Mehrheit der Aktien des bekannten Hotels Paradiso im hintersten Martelltal. Die Amerikaner beriefen sich dabei auf Informationen, die sie vom „Andreas-Hofer-Bund“ unter der Leitung von Hans Egarter erhalten hatten. Dieser Südtiroler Widerstandsgruppe war es gegen Kriegsende gelungen, einen im Paradiso stationierten Soldaten für die eigene Sache anzuwerben. Der Offizier Bernhard Üding versorgte die Widerstandskämpfer mit militärisch relevanten Informationen. Als er am 7. April 1945 desertierte, überreichte er Egarter eine Dokumentation der Vorgänge im Paradiso. Egarter gab diese Unterlagen an die Amerikaner weiter. Der amerikanische Akt, der daraufhin über das Marteller Hotel und seine Insassen abgefasst wurde, blieb erhalten.
So erfahren wir, dass im Herbst 1944 der alte Direktor des Paradiso, ein gewisser Col. Penati, von der Meraner Gestapo verhaftet worden war. Schwend setzte daraufhin als neuen Direktor einen seiner Vertrauten ein. Parallel dazu wurden im Hotel Soldaten einquartiert. Unter dem Oberbefehl eines Hauptmannes Albert Soelder sollten diese Mitglieder der Division Brandenburg zu einer neuen Spezialeinheit zusammengefasst und trainiert werden. Die neue Einheit soll nach dem CIC-Akt den Namen „5. Jagdverband Südwest“ des „Jagdeinsatzes Italien“ erhalten haben.
Durch diese neue Truppe wurde das sogenannte „Streifkorps Italien“ abgelöst, das aus 30 bis 40 Mann der Spezialeinheit „Brandenburger“ gebildet und im Partisanenkampf im Aostatal eingesetzt worden war.
Am 19. September 1944 wurden diese Männer nun aus den Brandenburgern (der Wehrmacht) ausgegliedert und den Jagdverbänden der SS unterstellt. Neben dem „Jagdeinsatz Italien“ entstand für den Einsatz in Frankreich nach dem selben Muster ein „Jagdverband Südwest“, der unter der Leitung von Otto Skorzeny stand. Skorzeny war bekannt geworden, als er am 12. September 1943 mit seinen Männern in einer spektakulären Aktion den inhaftierten Mussolini befreit hatte. Dieses Unternehmen mit dem Kodenamen „Eiche“ war bezeichnenderweise mit gefälschten Pfundnoten der „Gruppe Wendig“ finanziert worden.
Schon einen Tag nachdem diese Spezialeinheiten gegründet worden waren, wurde der „Jagdeinsatz Italien“ ins Martelltal verlegt. Die neue Einheit bestand zunächst vorwiegend aus Reichsdeutschen, die allesamt Dienst bei den „Brandenburgern“ geleistet hatten. Die Soldaten, die von diesem Zeitpunkt an für den „Jagdeinsatz Italien“ rekrutiert wurden, waren ausschließlich Südtiroler.
Sie alle sollten offiziell für Spionage- und Sabotageeinsätze hinter den feindlichen Linien ausgebildet werden. Hauptmann Soelder aber war ähnlich wie Friedrich Schwend zur Überzeugung gelangt, dass der Krieg schon lange verloren sei. Er wollte daher das Kriegsende im sicheren Trainingscamp Hotel Paradiso abwarten, ohne mit seiner Truppe tatsächlich in den Krieg eingreifen zu müssen. Um die übergeordneten Dienststellen zufriedenzustellen und um für eventuelle Kontrollen gerüstet zu sein, wurden die Männer des Jagdeinsatzes in Sprengstoffkunde, Sabotage, Navigieren mit dem Kompass, Mappenlesen und der Benützung diverser Handfeuerwaffen ausgebildet. Auch praktische Trainingseinheiten wurden absolviert. Daneben wurden im Paradiso die angehenden Saboteure in den Sprachen Englisch und Italienisch unterrichtet.
Wie ernsthaft die Männer im Hotel Paradiso auf ihre lebensgefährliche Aufgabe vorbereitet wurden, zeigt die Notiz im amerikanischen Akt, wonach Skifahren und Sonnenbaden unter diesen Elitesoldaten sehr beliebte Tätigkeiten waren. Tatsächlich überlebten sämtliche Mitglieder des „Jagdeinsatzes Italien“ den Krieg, ohne für ihre Truppe in den Krieg ziehen zu müssen. Ein Mitglied der Truppe starb allerdings, als er bei einem Heimaturlaub in einen Bomberangriff geriet.
Diese Spezialeinheit diente offensichtlich weniger der Verteidigung des Dritten Reiches, sondern stellte vielmehr die perfekte Tarnung für ein Versteck Friedrich Schwends dar. Während des Krieges wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, im selben Haus, in dem eine SS-Spezialeinheit logiert, nach Hehlergut zu suchen. Schwend selbst führte den Grad eines SS-Majors. Als Wachmannschaft für Labers bei Meran diente ihm eine spezielle Dienststelle mit dem Namen „Sonderstab - Generalkommando III. Germanisches Dienstkorps“. In Martell erfüllten offensichtlich die Männer vom „Jagdeinsatz Italien“ diese Aufgabe.
Nur wenige von ihnen dürften allerdings über die Machenschaften von Schwend informiert gewesen sein. Viele fürchteten noch in den Krieg ziehen zu müssen und dort zu sterben.
Völlig friedlich verhielt sich die Truppe in den letzten Monaten vor Kriegsende allerdings nicht. So wurden im September 1951 in Martell die Überreste zweier deutscher Soldaten bestattet, die man im Wald gefunden hatte. Die „Dolomiten“ schrieb dazu, dass diese beim Versuch in die Schweiz zu fliehen, im April 1945 von SS-lern aus dem Paradiso gestellt und liquidiert worden waren. Für die Bande um Schwend dürfte dies allerdings kein Grund gewesen sein. Sie töteten wennschon aus anderen Gründen.