„Der Georg, das bin ich“

Der Mann mit dem verwachsenen Brillenglas

Publiziert in 23 / 2007 - Erschienen am 20. Juni 2007
Jahrelang tingelte Georg Paulmichl mit Lesungen durch die Schweiz, durch Deutschland und vor allem Österreich. 2007 wurde ihm das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen. Ein ungewöhnlicher Mensch, der eine ungewöhnliche Sicht auf die Welt um ihn herum preisgibt. Kaum einer beschreibt seine Südtiroler Umgebung so klar wie der ­47-jährige Prader Paulmichl. Als sein Vater noch lebte, der ehemalige Deutschlehrer, begleitete er ihn viel auf seinen Lesungen, die ihn nach Düsseldorf, Nürnberg, in viele Städte in Österreich und in der Schweiz führten. Georg Paulmichl liebte sowohl das Lesen als auch das Reisen: „In Berlin bin ich schon gewesen, in Reutte, in Vorarlberg, in Innsbruck, in Innervillgraten, in Schwaz, in Terenten, in München und in Partschins, im Pustertal und in Düsseldorf. Der Künstlerberuf hat mich in die Ferne geführt. Immer am gleichen Ort leben, immer die gleichen Leute hören ist nichts für meinen Verstand.” Seine Text sind als Chormusik vertont worden, in der Schweiz trat er in vielen Radio­sendungen auf. In Innsbruck soll ein Dokumentationszentrum entstehen, das die „Geschichte vom Rande“ dokumentieren will. Dort werden sich auch Paulmichls Texte finden. Versatzstücke aus den Tageszeitungen, aber auch aus dem Fernsehen dienen ihm als Vorlage, als zusätzliche Puzzle­stücke, die er in die Groß­collage Südtirol zusammenführt. Er lässt denken, denkt sich dann das Seinige, forscht im scheinbar Unwesentlichen das Wesentliche zutage und lässt so manches Mal in einem Gedicht sehen, dass er erkennt, was seine Welt im Innersten zusammenhält. Die Welt ist Prad, der Vinschgau, Südtirol. Es sind die Menschen, die Werte, Familie, Tod und Gott, die Prozessionen und die Schützen, die Paulmichl sich ansieht: Seine Heimatgemeinde hat ihn nicht immer so verehrt, wie er es vom Ausland gewohnt war: „Im Dorf verstehen die Leute von der Kunst nicht viel. Niemand grüßt mich. Der Pfarrer und der Bürgermeister haben mich nie geehrt. Den Ehrenpreis habe ich in Innsbruck bekommen, in Prad nicht.“ Georg Paulmichl kann Sätze über Südtirol schreiben, die sich so manch anderer denkt, aber sicherlich nur unter Folter preisgäbe. Paulmichl hat auch Glück gehabt. Er sei, so Dietmar Raffeiner, ein positiver Mensch. Dass die beiden sich vor 28 Jahren trafen, führte letztlich zu vielen Gedichten und Gemälden, die ihm das Ehrenkreuz einbrachten. In der Werkstatt ist er „der berühmteste Mann.“ Schweizerisch kann er, aufgewachsen ist er mit Italienisch und Deutsch. Georg Paulmichl arbeitet in der Behindertenwerkstatt in Prad - er lebt mit seiner im Nonstal geborenen Mutter Fernanda Paulmichl und seiner Pflegerin Raisa Krasilov, Mathematikprofessorin aus der Ukraine. Dietmar Raffeiner war es, der ihm die Gedichte entlockte. Eigentlich schrieb er lediglich auf, was aus des Dichters Denkwerkstatt so kam. „Die damalige Werkstatt in Tschengls“, so Raffeiner, „war sehr experimentell. In dieser fruchtbaren Periode sind sehr schöne Dinge entstanden. Anfänglich hatte er auch manchmal Angst, dass etwas Falsches dabei war, auch weil die Leute manchmal gelacht haben.“ Georg Paulmichl liebt die Rituale, die die dörfliche Gemeinschaft anbietet, aber auch die der Kirche schätzt er. An Gott glaubt er nicht: „Das ist alles nur Kinderkram.“ Für Raffeiner ist die Begegnung mit Paulmichl ebenfalls wesentlich: kein Wunder, er begleitet ihn schon 28 Jahre lang. „Ich habe erfahren, dass Dasein widersprüchlich ist. Ich möchte, dass die Spur der Bewohner der Behindertenwerkstätte sichtbar bleibt.“ Der Landeshauptmann von Südtirol hat gratuliert zum Ehrenkreuz, der Südtiroler Künstlerbund gratulierte kürzlich ebenfalls und warb um ein neues Mitglied. Dort, in dessen Werkstatt Georg sein ganzes Leben war, nämlich die Bezirksgemeinschaft Vinschgau, regte sich nichts. Schade, dass die Parkinson-Krankheit, an der Georg seit rund zehn Jahren leidet, ihn nicht mehr so schaffen läßt, wie er es einst tat. Sonst gäbe es sicherlich den einen oder anderen treffenden Kommentar dazu. Katharina Hohenstein Der Georg Der Georg, das bin ich, der Mann mit dem verwachsenen Brillenglas im Gesicht. Die Götter haben mich nicht erfunden, ohne Genehmigung bin ich in der Wiegenschaukel gelegen. Aufgewachsen bin ich als Schüler und Jüngling hinter den Bergen, am ­abrutschenden Stilfser Bodenhang. Das Vinschgauer Oberland ist mein Paradies für den Schmarrenverzehr. Ohne Zornesfalten bin ich in der Weltlage erschienen. Gesund bin ich auch bis unter dem Haarschopf auf dem Kahlschädeldach. Die Parkinsonbazillen haben mich heimgesucht. In der Abenddämmerung machen die Müdigkeitsglieder schlapp. Der Parkinsoneinschlag regiert die Fuß­lähmung. Jünger werden tu ich nicht mehr, aber den Grabgesang lass ich noch nicht einüber. Meine Lebensbegabung liegt in der Freundlichkeit. Für die einheimische Sprachkultur bin ich eine Erlösungsphase. Georg Paulmichl Familie Die Familie ist der Ort, wo der Vaterschaftstest gemacht wird. Die Kinderohren werden in der Familienanstalt gerüttelt und geschüttelt. Die Familienmitglieder streiten sich um die Fernsehrechte zur Abendstunde. Im Wohngebäude werden die Kleiderfalten gebügelt zum Kirchgang. Dem Heiratsschwindel habe ich entsagt, weil ich zur Nächstenliebe keine Begabung habe. Ich bin kein Familienanhang, ich bin ein Künstler. Georg Paulmichl Dorf Der Mensch braucht eine Behausung, sonst verkühlt er sich die Halskrause. In der Heimstätte stolpert der Mensch von Tür zu Tür. Der Streithahn wird im Haushalt nicht abgedreht. Die Dorfgemeinschaft integriert den Menschen in die Vereinsstatuten. Über die Dörfer ziehen die Raben, die Rauchschwaden und die bösen Schwatzblasen dahin. Mit dem Rasenmäher bearbeiten die Dorf­ureinwohner den Rasenkahlschlag. Georg Paulmichl
Katharina Hohenstein
Katharina Hohenstein
Vinschger Sonderausgabe

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