Die Sonnenberger Gespräche
Die Dickeralm ist begehrtes Ziel vieler Touristen und soll nun durch einen Traktorweg erschlossen werden.

Der Naturnser Sonnenberg im Fadenkreuz

Publiziert in 41 / 2010 - Erschienen am 17. November 2010
Naturns – Dadurch, dass der Staatsrat in der Causa „Wegebau zur Dickeralm“ Anfangs November grünes Licht gegeben hatte, bekamen zwei Vorträge „Kulturlandschaft am Naturnser Sonnenberg“ und „Naturnser Sonnenberg zwischen Wertschöpfung und Wertschätzung“ überraschende Aktualität. Vielleicht sind auch deswegen so viele Besucher ins Rat- und Bürgerhaus gekommen. von Günther Schöpf Angekündigt waren zwei Vorträge und eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der Berglandwirtschaft, des Tourismus, der Heimatpfleger, des Alpenvereins und der Natur- und Umweltschützer. Mit Ausnahme von Vizebürgermeister Helmut Müller hatten es die genannten Vertreter aber vorgezogen, sich im Publikum aufzuhalten. Zu hören bekamen sie eine kurze Begrüßung des Umweltreferenten Zeno Christanell und eine Einführung von Moderatorin Gudrun Pöll. Es folgte Kurt Kusstatschers Vortrag: „Die Kulturlandschaft am Naturnser Sonnenberg im Wandel der Zeit - landschaftliche und ökologische Besonderheiten erkennen, sehen und vermitteln als Grundlage für einen bewussten Umgang mit dem historischen Erbe in der landschaftlichen Weiterentwicklung“. Sehr verständlich, sehr einfach versuchte Kusstatscher „die Kultur-Landschaft als einen Spiegel“ naturhistorischer Phänomene wie der Vergletscherung und Versteppung und schließlich des menschlichen Wirkens darzustellen. Sanft den Zeigefinger erhebend fasste er zusammen, dass sich „die Bedürfnisse an unsere traditionelle Kulturlandschaft massiv verändert“ hätten und dass „touristische Aspekte und nicht zuletzt unsere eigene Umweltqualität“ von zukünftigen Entwicklungen abhänge. Zwischen Wertschöpfung und Wertschätzung Roland Dellagiacoma, der Landes­sachverständige für Raumordnung und Landschaftsschutz in der Naturnser Baukommission, der ehemalige Direktor der Landesabteilung Natur und Landschaft, derzeit als Gastprofessor an der Universität Innsbruck mit Studenten am Sonnenberg unterwegs, konnte es sich, der amtlichen Fesseln entledigt, leisten, erstens einen vielversprechenden und leicht provokanten Vortragstitel zu wählen, zweitens immer wieder die Wunden in die kleinen oder größeren Architektur- oder Landschaftswunden zu legen. Stimmig belegt mit sehr fokussierenden Bildern stellte er im Vortrag „Naturnser Sonnenberg zwischen Wertschöpfung und Wert­schätzung“ folgende Fragen: Wie nehmen unterschiedliche Zielgruppen Landschaft wahr? Wie können diese unterschiedlichen Sichtweisen zu einem gesellschaftlichen Konsens geführt werden? Wie kann ein Gleichgewicht zwischen Wertschöpfung und Wertschätzung bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen erreicht werden? Welchen wirtschaftlichen und ideellen Wert hat der Naturnser Sonnenberg? Wie wird und wie kann die Landschaftsentwicklung beeinflusst werden? Was bedeutet ortsgerecht weiterbauen? Wo liegen die wirtschaftlichen Perspektiven? Es folgten auch noch anspruchsvoll ausformuliert einige Ziele, die besetzt waren mit Begriffen wie Inwertsetzung, Steigerung, Erhaltung, Aufwertung und Weiterentwicklung. Aber Antworten konnte oder wollte ­Dellagiacoma nur zum Teil geben. Man muss wohl die Ideen und Vorschläge seiner Studenten abwarten. Bauern oder Brunellen? In einer Atmosphäre, in denen sich alle gegenseitig komplimentierten, die so sachlichen Beiträge lobten und schätzten und in der die Erkenntnis, wir müssen miteinander reden, mehrfach beschworen wurde, wagten es couragierte Damen, die „mangelnde Sensibilität beim Düngen“ anzusprechen, wodurch „nicht einmal mehr Brunellen wachsen könnten“. Das „Kind vom Sonnenberg“ Helmut ­Müller fragte dagegen: „Was ist Ihnen lieber, Bauern oder Brunellen?“ und brachte sein Lieblingsargument ins Spiel: „Die Bergbauern bleiben Bergbauern, wenn sie motiviert sind. Wenn oben nicht mehr gearbeitet und gewirtschaftet werden kann, ist bald niemand mehr oben.“ Auf die Frage von Hans Fliri, Bürgergruppe Naturns, was denn noch geplant sei, die Verbindung (zwischen den Seilbahnen zum Giggelberg und auf Unterstell, Anm. d. Red.) zu verbessern, meinte Vizebürgermeister Müller: „Es wird sicher nicht so gebaut werden wie in den letzten 30 Jahren. Aber ich kann euch hier nicht versprechen, dass nichts mehr getan wird. Das könnt ihr nicht verlangen. Zwischen Pirch und Hochforch (Jausenstationen diesseits und jenseits des Lahnbachgrabens, Anm. d. R.) gibt es Schwierigkeiten. Wir müssen Lösungen finden, den Lahnbach zu überbrücken. Dort gehen massenweise Leute.“ Daraufhin Bürgermeister Andreas Heidegger: „Man muss die Schneid haben, über Lösungen zu reden. Es muss keine zweite Hängebrücke geben, aber als Bürgermeister bin ich verpflichtet zu reagieren, wenn Bürger diesbezüglich Anfragen stellen.“ Die Zwischenfrage von Georg Hillebrand, ebenfalls Bürgergruppe: „Müssen wir die Natur uns unterordnen? Wie lange noch?“ bezeichnete Roland Dellagiacoma als „eine schwierige Frage“, musste aber eine Antwort schuldig bleiben. Der Naturnser Tourismuschef Stefan Perathoner meinte kurz und knapp: „Wir müssen den Weg begehbar machen.“ Peter Erlachers Feststellung: „Man sollte von den Genehmigungen früher etwas erfahren. Spannungen könnten vermieden werden, wenn man vorher informiert würde“ klang da schon wie ein versöhnliche Bitte, gerichtet an alle selbst ernannten oder gewählten Machern im kleinen Saal des Naturnser Bürger- und Rathauses. Gesprächsstoff wird es weiterhin geben Für eine Fortsetzung der Naturnser Gespräche – so oder so – scheint allein der Meraner Höhenweg noch lange Stoff abzugeben. „Vielleicht könnte man damit die Sonnenberger Gespräche über die Entwicklung der Berglandwirtschaft beginnen“, gab sich der Naturnser Bürgermeister Andreas Heidegger vor den gut 120 Besuchern erwartungsvoll. Er war der vorletzte Redner der Veran­staltung am 9. November 2010, die Landschaftsberater Kusstatscher als „spannend“ empfand, Landschaftsexperte Dellagiacoma als ein „Abgehen von extremen Positionen“ kommentierte und der Obmann des Bauernbundes Müller, als Anfang eines Dialogs bezeichnete, von dem alle etwas mitnehmen könnten. „Wenn man alles vorschreibt, dann geht’s abwärts“ „Der Vinschger“: Herr Müller, war 2010 ihr Jahr? Die Vorzugstimmen im Mai fast verdoppelt, die Übertragung des Vizebürgermeisteramtes und nun vom Staatsrat im Wegebau zur Dickeralm bestätigt. Haben Sie gefeiert? Helmut Müller: Gefeiert wird vielleicht, wenn fertig ist. Aber bevor etwas nicht zu Ende gebracht worden ist, gibt es für mich keinen Grund zu feiern. Zumindest im größeren Rahmen nicht. A Glasl getrunken haben wir schon. Könnte man das Urteil oder den Bescheid Ihres Rechtsanwaltes lesen? Helmut Müller: Zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Sie werden sich einsetzen, las man in der Tagespresse, möglichst landschafts­schonend vorzugehen. Was heißt das denn? Wenn man sich erinnert, was über den baggernden Helmut Müller verbreitet worden ist, klingt das nach einem gewaltigen Sinneswandel. Helmut Müller: Wenn man es anders nicht verstehen will. Auch mit einem Bagger kann man landschaftsschonend arbeiten. Die Landschaft, wenn man genau hinschaut, ist immer vom Menschen geprägt worden und jetzt verfügt er auch über Bagger. Sicher, es hat Zeiten gegeben, in denen man mit Baggern Schäden angerichtet hat. Wir sind im Jahre 2010 und nicht 1910 und inzwischen ist vieles passiert. Es ist nicht richtig zu sagen, man macht mit Bagger alles kaputt. Wo wären wir heute ohne Bagger? …im Jahre 1910, wie Sie gesagt haben. Helmut Müller: Ich gebe zu, auch meine Entwicklung durchgemacht zu haben. Ich bin dankbar, dass ich dabei war und mitdenken und ab und zu auch mit streiten konnte. Man muss sich aber bewusst sein, dass wir heute nicht nur auf 500 Metern über dem Meer das Jahr 2010 haben, sondern auch auf 1.700 Metern. Das muss oder sollte in jeden Kopf hinein. Zurück zum Weg. Im oberen Teil käme ein Traktorweg, was heißt das, wo ist der obere Teil? Helmut Müller: Bis zur Waldgrenze soll ein Weg gebaut werden, auf dem man auch Holz transportieren kann, das ist auch Sinn und Zweck, unter anderem. Das bedeutet zum Unterschied vom Traktorweg? Helmut Müller: Dass es 50 Zentimeter mehr sein müssen. Sind das nun 2,50 Meter oder 3 Meter, wie viel denn? Helmut Müller: Zweieinhalb Meter und ein Bankett von 50 Zentimetern reichen aus. Nach dem bewirtschaftbaren Wald bis zur Almwiese (Gompn) käme ein reiner Traktorweg von 2,50 Metern Breite in Frage. Wo die Almwiese anfängt – das hab ich selbst vorgeschlagen und daran werde ich mich halten – wird der gesamte Traktorweg begrünt. Wenn wir aber Baumaßnahmen an der Alm oder an Wasserleitungen machen müssen, dann werden die Fahrspuren eben eingeschottert. Wenn die Baumaßnahmen abgeschlossen sind, wird der Weg wieder begrünt. Dann kann es sein, dass auch auf der dahinter liegenden Moar-Alm auch wieder ein Wirtschaftsbetrieb aufgenommen wird? Helmut Müller: Kann sein. Es geht ja nicht nur um die Almen. Es geht, wie in jedem Beruf gleich, um die Motivation. Wenn du nicht imstande bis, die Motivation des Bauern oder der Bauern, denen die Alm gehört, hoch zu halten, wenn man ihm überall drein redet und so weit kommt, dass man ihm alles vorschreibt, was er zu tun hat, dann geht es abwärts, zuerst mit der Alm, dann mit dem Hof. Wenn man das nicht glauben will, dann werden wir die Rechnung präsentiert bekommen. Das ist nicht bös gemeint, aber das ist ja logisch. Ich gehe noch einmal zurück. Wie vielleicht 1970 oder 1980, wo man nicht die Möglichkeit hatte, die Sache anders anzugehen. Aber wir haben Gott sei Dank jetzt alles, wir haben Straßen, wir haben Telefon, wir haben Internet. Gott sei Dank. Wenn wir das alles nicht hätten, wahrscheinlich wären wir nicht mehr oben. Ich sag’s noch einmal, 2010 muss oben auch sein. Hat man in nächster Zeit die Absicht, viel umzubauen auf der Dickeralm? Helmut Müller: Ich weiß es nicht, eher nicht. Die Betreiberin hat immer um den Weg gekämpft; es war ihr ein Anliegen. Ich bin der Meinung, wenn ein Weg besteht, hast du einfach andere Möglichkeiten. Du kannst einen Pächter suchen, einen Hirten, du kannst die Alm auch vom Hof aus bewirtschaften. Und wie wollt Ihr das kontrollieren? Zuerst fährt der Besitzer, dann fahren seine Verwandten, die Jäger sowieso, dann kommen die Touristen… Helmut Müller: Ich hab immer gesagt, es ist falsch, jemandem einen Weg zu verbieten. Man muss aber danach dafür sorgen, dass – und man kann mich beim Wort nehmen – nur die den Weg benützen, die da oben wirtschaften. Ich werde alles dransetzen, dass sonst niemand hinauf fährt. Da haben wir die Zuständigkeit, wir das Konsortium und niemand sonst. Interview Günther Schöpf
Günther Schöpf
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Vinschger Sonderausgabe

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