Der Traum vom eigenen Kind
Die künstliche Befruchtung einer Eizelle

Der Traum vom eigenen Kind

Publiziert in 32 / 2006 - Erschienen am 20. Dezember 2006
Ein Kind zu bekommen, gilt für viele Paare als das Normalste auf der Welt. Immer mehr Frauen und Männer müssen allerdings erfahren, dass dem nicht immer so ist. Von Silvia Gasser So auch M. Als sie ihren heutigen Mann kennen lernte, war schon bald von Kindern und Hochzeit die Rede. Auf Verhütung wurde deshalb nach einiger Zeit verzichtet. Als sie nicht gleich schwanger wurde, war das noch in Ordnung. Es gab viele andere wichtige Dinge. Die Wohnung wurde gebaut, es gab viel Arbeit. Erst nach etwa 2 Jahren machte sich M. Gedanken. Etwas schien nicht in Ordnung zu sein. Sie wendete sich an einen Gynäkologen in einer Privatambulanz in Meran. Die Erklärung, die sie dort bekam, sollte sie noch oft hören: „Sie sind noch jung, machen Sie sich keine Sorgen. Lassen Sie sich Zeit. Setzen Sie sich nicht unter Druck.“ Sie aber fühlte sich nicht zu jung. Das Paar wollte ein Kind, jetzt. Organisch, so der Arzt, war alles in Ordnung. Wieder verstrich Zeit. In der Zwischenzeit wurde geheiratet. Schwanger wurde sie immer noch nicht. Dann wendete sie sich an einen anderen Arzt. Dieser führte die notwendigen Untersuchungen durch. Er verschrieb ihr Hormone für einige Monate. Das einzige, was diese zur Folge hatte, war aber eine Gewichtszunahme. Und mit dieser Gewichtszunahme begannen bereits die ersten Spekulationen und Fragen im Dorf, ob sie wohl schwanger sei. Die Frage, so M., war jedes Mal wie ein Faustschlag. Nach Beendigung dieser Hormoneinnahme wurden verschiedenste Proben gemacht. Fazit des Arztes: „Sie sind blockiert. Sie werden nie schwanger werden, wenn Sie nicht gelassener an die Sache herangehen. Das geht alles vom Kopf aus.“ Aber sie konnte an nichts anderes mehr denken als an diesen einen Wunsch: ein eigenes Kind. Dr. Martin Steinkasserer, Reproduktionsmediziner im Krankenhaus Bruneck bestätigt diesen Stress mit einem Beispiel: „Das ist genauso wie wenn ich zu jemandem sage, er soll nicht an drei blaue Elefanten denken. Das geht nicht. Genauso kann man einer Frau oder einem Paar, das sich sehnlichst ein Kind wünscht, nicht sagen, es darf einfach nicht daran denken.“ Der Zyklus wurde mit Fiebertabellen beobachtet, Monat für Monat hat M. den Eisprung genau gespürt, aber schwanger wurde sie nicht. Dann entschieden sich M. und ihr Mann für eine künstliche Befruchtung. Für einen Monat erhielt sie täglich Hormone. Unter Vollnarkose wurden ihr dann die Eizellen entnommen. Im Labor wurden die Eizellen befruchtet. Drei Tage danach wurden ihr die Embryonen eingesetzt. Beim Transfer selbst durfte der Mann dabei sein. Nach dem Eingriff musste sie 2 Stunden in einem Zimmer bleiben. Dort traf sie auf viele Frauen, die denselben Eingriff hinter sich hatten. Die einen zum 1. oder zum 2. Mal, andere bereits zum 6. oder gar 8. Mal. Das Zimmer war voll von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Die Männer mussten draußen warten. Auf der Heimfahrt schwor M. sich und ihrem Mann, dass sie dies nie wieder machen würde, wenn es nicht funktionieren würde. Und es funktionierte nicht. Wieder verging ein halbes Jahr. Im Dorf, so M. wurde bereits geredet, wieso sie nicht schwanger wurde. Wenige sprachen sie direkt darauf an, aber sie redete darüber. Sie hatte nie ein Problem darüber zu reden. Im Gegenteil, sie wollte und musste darüber reden. Von einer ebenfalls betroffenen Mutter wurde ihr Frau Dr. Edith Rainer im Krankenhaus Meran empfohlen. Wieder wuchs die Hoffnung. Voll motiviert machte sie einen ersten Termin im Februar aus. Untersuchungen und Blutproben bei beiden wurden gemacht, die Eizellen wurden beobachtet. M. erhielt die notwendigen Hormone und das Heranwachsen der Eibläschen wurde kontrolliert. Von Anfang an, so M., hatte sie ein gutes Gefühl, fühlte sich in guten Händen. Unter Teilnarkose wurden ihr 5 Eizellen entnommen, später dann 2 Embryonen eingesetzt. Die übrigen 3 wurden eingefroren. Der Mann war wieder dabei. Nach dem Eingriff blieb sie mit ihrem Mann allein in einem Zimmer. M. beschreibt diese 2 Stunden des Wartens als sehr intensiven Moment, „als enormes Glücksgefühl, beinahe wie nach der Geburt“. Dann fuhren sie nach Hause. Die Zeit des Bangens begann. Die Ärztin machte ihnen großen Mut. Dann, nach 2 Wochen, bekam M. Schmierblutungen. Sie war am Boden zerstört, hat geweint, war wütend. Die Frage „Warum wir?“ und der Zorn über Nachrichten von Müttern, die ihre Kinder misshandeln oder gar umbringen, gingen ihr im Kopf umher. Die Ärztin beruhigte sie. M. hat Schwangerschaftstests gekauft und gemacht, 8 Stück. Alle waren positiv. Trotzdem wollte und konnte sie es nicht glauben. Sie rief im Krankenhaus Schlanders an, durfte dort einen Bluttest machen, 2 Stunden später hatte sie das Ergebnis: positiv. In der 7. Schwangerschaftswoche dann eine weitere positive Diagnose: Zwillinge. M. sagt, sie hatte das bereits gefühlt. Bei den Visiten im Krankenhaus Meran hat sie viele Frauen gesehen, die dieselbe oder ähnliche Geschichte hatten wie sie, auch viele bekannte Gesichter. Ihr wurde zum ersten Mal bewusst, dass sie nicht allein war. Aber auch, dass niemand darüber redete. Dass die künstliche Befruchtung ein Tabuthema war. Als dann der Bauch sichtbar wurde, und sie zunahm, war sie stolz auf ihren Bauch. Stolz auf ihr Gewicht. Sie war stolz darauf, schwanger zu sein, der Rest war ihr egal. Als die Zwillinge etwa ein Jahr alt waren, trat das Gesetz in Kraft, welches unter anderem das Einfrieren von Embryonen verbietet und die bereits eingefrorenen sollten in die Gebärmutter transferiert werden. Die 3 eingefrorenen befruchteten Eizellen, so teilte ihnen Frau Dr. Rainer mit, sollten eingesetzt werden. Was dann auch gemacht wurde. Es kam aber zu keiner Einnistung. Dies war im Februar. Im Mai wurde sie dann schwanger, ganz überraschend. Der Druck in dieser Zeit, so M. ,war enorm. „Einfach nicht dran zu denken, unbedingt ein Kind zu wollen, das geht nicht“, sagt sie, „es gab nur mehr diesen einzigen Gedanken, nämlich ein eigenes Kind. Dieser Gedanke beherrscht alles, den Umgang mit dem Ehemann, die Sexualität, den Umgang mit den Freunden und Freundinnen, den Neid auf alle Schwangeren und junge Mütter.“ Der Druck war auch für den Ehemann enorm. Er war bei jeder ihrer Untersuchungen dabei, hat mit gehofft und gelitten. Auch er wurde untersucht, Tests wurden gemacht. Er musste in dieser Zeit seinen Lebensstil ändern, um die Qualität der Spermien zu steigern: auf Alkohol und Zigaretten verzichten, viel schlafen. Das Wichtigste in dieser Zeit war, so M., dass ihr Mann immer zu ihr gestanden ist und dass sie darüber reden konnte. Wenn sie es verheimlichen hätte müssen, daran wäre sie zugrunde gegangen. Sie versteht die betroffenen Frauen, wenn sie nicht mit allen darüber reden. Aber untereinander könnte man sich sehr helfen, Mut machen, sich ausweinen, Erfahrungen austauschen. „Eine Art Selbsthilfegruppe“, so M., „wäre für mich hier eine große Hilfe gewesen.“ Ungewollte Kinderlosigkeit Ungewollte Kinderlosigkeit wird von der Medizin bzw. Weltgesundheitsorganisation (WHO) über einen Zeitraum definiert. „Von Sterilität, also Unfruchtbarkeit, ist dann die Rede, wenn bei einem Paar nach zwei Jahren regelmäßigen Geschlechtsverkehrs (mindestens zweimal pro Woche) keine Schwangerschaft eintritt.“ Hat es nach längerer Zeit nicht geklappt, führt der Weg zunächst zum Frauenarzt bzw. zum Urologen. Dr. Martin Steinkasserer, Reproduktionsmediziner am Krankenhaus Bruneck, rät hier den Paaren, wirklich nicht zu lange zu warten. Oft wird gar keine künstliche Befruchtung benötigt, oft genügt ein operativer Eingriff, in vielen Fällen sogar nur ein Gespräch. Zudem sie die medizinischen Möglichkeiten umso effektiver, je jünger vor allem die Frau ist. Dr. Edith Rainer, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Meran, die unter anderem im Besitz eines Diploms für Akupunktur ist, verweist hier auf die alternativen Heilmethoden bei Kinderwunsch, die von immer mehr Paaren in Anspruch genommen werden und zum Erfolg führen. Ungewollte Kinderlosigkeit trifft heute mehr Paare als früher. Die Gründe hierfür sind nicht ganz klar. Die Hauptursache liegt aber aller Wahrscheinlichkeit nach im Stress. Der hormonelle Regelkreis ist sehr sensibel und kann durch ­äußere Faktoren wie Stress, Hektik und seelische Belastungen gestört werden. Als ein Grund wird etwa das zunehmende Alter der Mütter gesehen. Dr. Steinkasserer nennt hier das Alter der ­Frauen bei der Erstgeburt als möglichen wichtigen Grund. In den letzten 15 Jahren hat es hier eine Verlagerung um 5 Jahre nach hinten gegeben. „Hier sind sicher nicht die Frauen allein schuld, sondern die gesellschaftlichen Umstände zwingen sie dazu. Eine Familie kann heute kaum noch mit einem Alleinverdiener leben. Deshalb sind beide gezwungen, vorerst ihre Ausbildung zu machen, sich im Berufsleben ein Standbein zu sichern. Dann kann an die Familienplanung herangegangen werden. Hier bedürfte es sich auch politischer Veränderungen, die eine Verbindung von frühem Elterndasein und der Möglichkeit zu Arbeit und vielleicht auch Karriere erlauben.“ Unfruchtbarkeit gibt es zu gleichen Teilen bei Mann und Frau: zu 40% liegt sie bei den Frauen, zu 40% bei den Männern und zu 20% bei beiden zusammen. Die Ursachen können hormoneller oder organischer Natur sein. Die Fruchtbarkeit geht in der Regel bei Frauen ab 35 zurück. Besonders für Erstgebärende wird es ab dieser Altersgrenze immer schwieriger, schwanger zu werden. Dies trifft dann natürlich auch für die künstlichen Befruchtungen zu. Dr. Steinkasserer bestätigt hier: „Die Schwangerschaftsraten bei IVF und ICSI sind altersabhängig. Bei Frauen über 30 nimmt sie stark ab. So liegt sie bei Frauen unter 30 bei über 50%, bei Frauen unter 40 Jahren zwischen 25 und 30%.“ Psychische Belastung Das Gefühl, nicht fruchtbar zu sein, wird oft als sehr kränkend empfunden und kann mit Zweifeln an sich selbst und an der Beziehung einhergehen. Obwohl das Thema „unerfüllter Kinderwunsch“ in der Öffentlichkeit inzwischen zunehmend diskutiert wird, und die Medizin mit den verschiedenen Verfahren immer größere Erfolge macht, ist der Umgang mit dem betroffenen Paar häufig von Hilflosigkeit, Scham und Tabuisierung geprägt. Es wird ein Wettlauf mit der Zeit, ein Wettlauf um die einzige Hoffnung: ein eigenes Kind. Dr. Martin Steinkasserer beschreibt den Druck, der in dieser Zeit auf dem Paar lastet, als Auslöser von einem enorm großen Stress: „Heutzutage ist man es vielfach gewohnt, dass in der Regel immer alles gut verläuft, und zwar in allen Belangen. Es herrscht der Gedanke vor, dass man alles planen kann und das auch noch genau nach Zeitplan. Wenn dann das vermeintlich Natürlichste und Einfachste im Leben nicht funktioniert, stellt sich die große Enttäuschung ein.“ Im Krankenhaus Bruneck wird deshalb auch großer Wert auf psychologische Beratung gelegt. Dr. Edith Rainer, ehemals im Krankenhaus Meran und nun seit zwei Jahren in ihrer eigenen Praxis in Meran, kennt diese Belastung der Paare zu gut. „Ehen gehen daran kaputt, es kommt zu Vereinsamungen, Lebensinhalte gehen verloren.“ Beinahe täglich sieht sie „Tränen der Verzweiflung und Tränen der Freude“ in ihrer Praxis. Wichtig ist es ihr, so Dr. Rainer, dass das Paar möglichst gemeinsam zu ihr kommt. Sie beobachtet bei den Paaren: „Wenn einer unten ist, zieht der andere ihn nach oben und umgekehrt. Ich erlebe kaum ­Situationen, in denen beide unten sind.“ Auf die Frage wieso die betroffenen Frauen kaum über dieses Thema spricht, weiß sie nur eine Erklärung: „Viele Frauen und auch Männer fühlen sich nicht mehr als ganz vollwertige Frauen bzw. Männer, wenn mit ihrer Fruchtbarkeit etwas nicht in Ordnung ist. Das ist wie bei anderen Krankheiten. Oft sprechen hier die Betroffenen auch nicht ­darüber.“ Deshalb legt sie die Termine für die Gespräche und die Behandlungen nach Möglichkeit so, dass sie außerhalb der Arbeitszeiten des Paares liegen, damit diese sich weder vor Arbeitgebern oder Mitarbeitern rechtfertigen müssen. Der Druck wächst zudem durch die Tatsache, dass von der ­Sanitätseinheit die Kosten für 3 Zyklen übernommen, das heißt Hormontherapie, Punktion und Transfer. Bei weiteren Versuchen müssen die Paare die Kosten selbst tragen. Die Kosten betragen 2.200 Euro pro Zyklus sowie 500 bis 1000 Euro für die ­Medikamente. Der Kinderwunsch kann hier auch noch zu einem finanziellen Problem werden.
Silvia Gasser
Vinschger Sonderausgabe

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