„Der Vinschgau hat ein Riesenpotential“
Christoph Engl, der Direktor der Südtirol Marketing Gesellschaft.

„Der Vinschgau hat ein Riesenpotential“

Publiziert in 3 / 2007 - Erschienen am 31. Januar 2007
„Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten.“ Wenn dies ein „Engel“ sagt, muss es wohl stimmen. Gesagt hat es Christoph Engl, der Direktor der Südtirol Marketing Gesellschaft (SMG). Er bemühte diesen biblischen Spruch, um die Stärken und Schwächen des Tourismus im Vinschgau zu beschreiben. „Der Vinschgau hat ein Riesenpotential. Die Frage ist nur, wie das Tal sein Profil schärfen und dieses nach außen kommunizieren kann,“ ist der SMG-Direktor überzeugt. Der „Vinschger“ führte mit Christoph Engl im Anschluss an die heurige SMG-Klausurtagung, die am 23. Jänner im Hotel „Schöne Aussicht“ des Gustav Thöni in Trafoi stattgefunden hat, folgendes Gespräch. „Der Vinschger“: Über was wurde heute gesprochen? Christoph Engl: Wir ziehen uns nur einmal im Jahr zu einer ganztägigen Klausurtagung zurück. Bei diesen Tagungen stehen nicht alltägliche Anliegen im Mittelpunkt, sondern Themen strategischer Natur. Heuer haben wir uns zwei großen Schwerpunkten gewidmet. Einmal ging es um die Dachmarke Südtirol und deren weitere Entwicklung und einmal um die Kundenbindung. Wir machten uns Gedanken darüber, wie wir jenen Kunden, die sich im Internet auch nur einmal für Südtirol interessiert und ihre Adresse hinterlassen haben, eine Nachbetreuung bieten können. Auch technische Möglichkeiten einer solchen Nachbetreuung haben wir ausgelotet. Ansetzen müssen wir bei der Verwaltung der Kundenadressen, die wir ja im EDV-System vorliegen haben. „Der Vinschger“: Die SMG hat ihren Sitz in Bozen und ist doch etwas weit vom Vinschgau entfernt. Manche Kritiker sagen, dass die SMG für den Vinschgau nicht viel unternimmt bzw. nur wenig Geld für das Tal locker macht. Christoph Engl: Die SMG bewirbt Südtirol. Der Vinschgau gehört zu Südtirol und insofern arbeiten wir für den Vinschgau genauso wie für andere Landesteile. Wir fühlen uns in keiner Weise verpflichtet, für dieses oder jenes Tal mehr oder weniger zu tun. Unsere Aufgabe ist es, Südtirol sozusagen als Gesamtprodukt im In- und Ausland begehrlich zu machen. Wenn wir speziell im Vinschgau etwas unternehmen, dann machen wir das deshalb, weil der Vinschgau für bestimmte Aktionen und Veranstaltungen die besten Voraussetzungen bietet. Das mehrtägige Mountainbike-Testival etwa, das im Oktober 2006 in Latsch stattgefunden hat, haben wir deshalb in den Vinschgau geholt, weil das Tal über die schönsten Mountainbike-Routen Süd­tirols verfügt. „Der Vinschger“: Wo sehen Sie die besonderen Stärken des Tourismus im Vinschgau? Christoph Engl: Der Vinschgau hat Besonderheiten, die landesweit einzigartig sind und genau diese Merkmale gilt es herauszuarbeiten. Neben den Möglichkeiten des Mountai­nbike- und Fahrradtourismus insgesamt finden sich im Vinschgau noch weitere, unverwechselbare Vorzüge: Ich finde im Vinschgau die beste moderne Architektur, die beste Kunst, die höchsten Gletscher. Die Churburg ist ebenso einmalig wie das Kloster Marienberg, die archaische und noch weitgehend urige Landschaft, die Waalwege und vieles mehr. Reinhold Messner wohnt auf Juval und Schloss Juval liegt im Vinschgau. Für uns als SMG sind das Vorzüge und Themen, die das „Gesamtprodukt“ Süd­tirol stark bereichern. „Der Vinschger“: Und wo orten Sie Schwächen? Christoph Engl: Der Vinschgau muss sich um ein schärferes Profil bemühen und die Inhalte dieses Profils auch herzeigen und nach außen kommunizieren. Im Tourismus zeichnet sich zunehmend eine Polarisierung ab, auch in Südtirol. Es gibt Gäste, die auf schnelles Erleben und auf Unterhaltung aus sind und es gibt solche, die mehr das Hintergründige suchen. Für Letzteres hat der Vinschgau mit seinem Angebot an Kultur und seiner Vielfalt an noch unberührten Flecken sehr viel zu bieten. Im Vinschgau schlummert diesbezüglich ein Riesenpotential. Das Tal muss sich mit dem profilieren, was es hat und was die Gäste weder im Pustertal, noch in Gröden oder anderswo finden. „Der Vinschger“: Wie ließe sich so ein Profil erstellen? Christoph Engl: Dafür braucht es zunächst einmal ein stärkeres Zusammenschauen. Der Vinschgau muss als Gesamtraum gesehen werden. Den natürlichen Anfang des Tales bildet die Töll. Dem Gast ist es egal, ob dieser oder jener Tourismusverein zum politischen Bezirk Vinschgau oder zum Burggrafenamt gehört. Für den Gast – und nicht nur – beginnt der Vinschgau in der subjektiven Wahrnehmung auf der Töll. Er erlebt das weite Tal zusammen mit den wunderbaren Seitentälern als eine Einheit. Mehr Zusammenschau ist auch innerhalb der Gemeinden und der Betriebe gefragt. Wir wissen, dass der Mobilitätsradius eines Gastes bei rund 50 Kilometer liegt. Der Gast will sich nicht innerhalb eines Dorfes eingrenzen lassen. Es wäre ein Unsinn, wenn zum Beispiel ein Betrieb in Glurns seinen Gästen nicht sagen würde, dass sie wenige Kilometer weiter das als Weltkulturerbe eingestufte Kloster St. Johann in Müstair bewundern können. „Der Vinschger“: Sollte sich das Tal also auch über die Grenzen hinaus öffen? Christoph Engl: Ja natürlich. Die Grenzen verschwinden mehr und mehr. Wenn immer mehr Schweizer in den Vinschgau und nach Südtirol kommen, ist das auch ein positiver Nebeneffekt der neuen Vinschgerbahn. Ich bewundere sehr, mit welchem Mut und welcher „Dreistigkeit“ Landesrat Thomas Widmann diese Bahn vorangebracht hat. Noch mehr wundert es mich, dass über eine Anbindung der Vinschgerbahn an das Rhätische Bahnnetz in der Schweiz nicht viel ernster und konkreter nachgedacht wird. Die Vinschgerbahn ist trotz allem eine „Stumpfbahn“, die in Mals endet. Ein Tunnel in die Schweiz würde ungeahnte Möglichkeiten öffnen. Bahnfahren ist der Schweiz ein Statussymbol: Der Italiener liebt Wein und Krawatten, der Deutsche liebt sein Auto, der Schweizer liebt die Bahn. „Der Vinschger“: Sind die bestehenden Strukturen für den Winter- und Sommertourismus im Vinschgau ausreichend? Christoph Engl: Für den Sommertourismus braucht es eigentlich keine großen Infrastrukturen. Viel wichtiger ist es, dem Gast mitzuteilen, wie schön und spannend der Sommerurlaub im Vinschgau sein kann. Es sollte aber nicht jeder mit einem eigenen Veranstaltungsprogramm aufwarten, sondern alle Angebote sollten gebündelt vermittelt werden, und zwar die Sommer- ebenso wie die Winterangebote. Was die Skigebiete betrifft, so bin ich überzeugt, dass nur jene rentabel arbeiten können, in denen bereits am Montagvormittag Gäste an den Liftstationen warten. Nur mit Wochenendgästen kann man ein Skigebiet wirtschaftlich nicht halten. Dass für die Rentabilität eines Skigebietes auch die nötige Bettenkapazität gegeben sein muss, liegt ebenso auf der Hand. Ganz etwas anderes ist es natürlich, wenn ein Skigebiet als Infrastruktur politisch gewollt und daher mit öffentlichen Geldmitteln unterstützt wird. Es ist daher ganz klar eine politische Entscheidung, solche Skigebiete, die wirtschaftlich gesehen nicht rentabel sind, zu halten. „Der Vinschger“: Im Vinschgau sind es zum Großteil immer noch die klassischen Stammgäste aus Deutschland, die die Betten füllen. Müssen die Tourismustreibenden hier umdenken? Christoph Engl: Ich glaube, dass der Vinschgau vor allem mehr auf den italienischen Gast setzen könnte. Wird das gemacht, müssen aber auch die Voraussetzungen stimmen. Dazu gehört etwa die zweisprachige Gestaltung der Webseiten aller Betriebe. „Der Vinschger“: Kann der Vinschgau vom Flugplatz Bozen profitieren? Christoph Engl: Südtirol, und der Vinschgau gehört ja dazu, braucht sowohl die Straße als auch die Bahn und den Flugplatz. Der Flugplatz ist für alle wichtig. Ich vergleiche ihn mit einem Parkplatz im Zentrum einer Stadt. Jede Stadt braucht einen Parkplatz im Zentrum. „Der Vinschger“: Wie schätzen Sie Zukunft des Tourismus im Vinschgau ein? Christoph Engl: Mit Zusammenschau und Weitsicht lässt sich das große Potential sicher gut nutzen. Schauen Sie nur, was der Verband der Vinschger Produzenten für Obst und Gemüse auf die Beine gestellt hat. Das gemeinsame Kundenbetreuungs- und Vermarktungskonzept „VI.P 3“ ist südtirolweit eine Revolution. Hier hat der Vinschgau eine Vorreiterrolle für das ganze Land übernommen. Interview: Josef Laner
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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