Zug um Zug in die Zukunft
Vorstellung der Projektstudie mit Georg Fallet als Moderator und am Tisch (von links) Roland Zegg, Edgar Grämiger, Andrea Gilli und Paul Stopper.

Der Vinschgau müsste unbedingt am Zug bleiben

Publiziert in 33 / 2012 - Erschienen am 19. September 2012
123 Bündnern Großräten wird die Regierung in Chur im Dezember zehn Verkehrsprojekte und entsprechende Studien vorlegen. Darunter befindet sich auch die Eisenbahnverbindung Engadin-Vinschgau. Die „Engadin-Vinschgau-Bahn“, die im Bündner Teil des Münstertales und im Unterengadin mit Hilfe eines Interreg IV-Projektes längst das Stadiums eines Traumes überwunden hat, wurde im Sommer 2012 als „visionäres Projekt“ mit vielen technischen Details und konkreten Angaben zum volkswirtschaftlichen Nutzen in Zernez vorgestellt. Aus dem Vinschgau war neben Vizebürgermeisterin Roselinde Gunsch Koch und Gerhard Kapeller noch der Malser Bürgermeister Uli Veith angereist. Ein wichtiges Zeichen. Auch der kleinste Schulterschluss über die Grenze hinweg bestärkt die politischen Vertreter der Regionen Val Müstair und Engiadina Bassa und wird zum Signal, dass das Magische Rhätische Dreieck nicht nur ein theoretisches Konstrukt ist. Trotzdem tun die Bündner gut daran, sich in Sachen Bahnverbindungen auch auf kalte Duschen aus Südtirol einzustellen. Beispiele gibt es bereits. Ende März 2012 etwa berichtete die Graubündner Ausgabe der „Südostschweiz“: „Bündner bekommen Absage aus Südtirol - Der Bau einer Bahnverbindung zwischen dem Engadin und dem Vinschgau ist von der Südtiroler Regierung auf Eis gelegt worden“ und am Ende des Beitrages stand: „Die Bündner Projektinitianten lassen sich aber davon nicht entmutigen und warten die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie ab.“ Vinschger Vorteile Der Einladung der „Pro Engiadina Bassa“, des „Forums d’Economia da la Regiun dal Parc Naziunal“ und des „Internationalen ­Aktionskomitees Bahnverbindung Engadin–Vinschgau“ zur Projektvorstellung in Zernez waren gut 30 Interessierte gefolgt, darunter vor allem Vertreter der Müstairer Wirtschaft und Verwaltung. Die Kantonalregierung in Chur selbst hatte das Ingenieurbüro ­„Basler & Hofmann“ beauftragt, die technische Machbarkeit der einzelnen Verbindungsvarianten zu untersuchen, und sich dazu vom Unternehmensberater „Grischconsulta“ eine Einschätzung des volkswirtschaftlichen Nutzens erstellen lassen. Die Ergebnisse zu den Streckenvarianten mit der Best-Variante „Scuol-Mals“ und den geschätzten Kosten von 870 Mio. Euro sind hinlänglich bekannt. Erwähnt wurde auch, dass das Münstertal damit nicht unmittelbar einbezogen wird. Eher ausgeblendet wurden in den Medien die Ergebnisse in Bezug auf die touristische Groß­region im Raum Landeck. Aus allen Überlegungen war unschwer zu erfahren, dass bei dem derzeitigen wirtschaftlichen Gefälle zwischen Schweiz und Italien vor allem „das Südtirol“ und in erster Linie der angrenzende Vinschgau von einer Bahnverbindung wirtschaftlich besonders profitieren würde. Ingenieur Paul Stopper (Projektleiter Verkehr in Chur a.D.) zur Variante Scoul-Mals: „Diese Variante würde weniger kosten als die zweite über das Münstertal-Taufers. Die günstigere Variante würde aber auch volkswirtschaftlich und touristisch weniger bringen. Deshalb ist die definitive Wahl sehr sorgfältig zu treffen. Meine Präferenzvariante ist - ohne vorgreifen zu wollen - jene über Münstertal-Taufers. Wo genau das südliche Tunnelportal liegen soll, ist noch genauer abzuklären. Es könnte zum Beispiel zwischen Müstair und Taufers liegen. Ein Südportal in dieser Gegend wäre auch von der Höhenlage der Tunnelachse ideal, denn sowohl Scuol-Dorf als auch Taufers liegen mit etwa je ca. 1.240 Metern auf gleicher Höhe. Eine solche Linienführung würde eine allfällige, wintersichere Bahnverbindung (mit Autoverlad) unter dem Stelvio/Umbrailmassiv nach Bormio (1.220 Meter) erleichtern.“ Jon Domenic Parolini, Gemeindepräsident von Scuol und Großrat im Unterengadin, meinte zusammenfassend: „Wir sind einen guten Schritt weiter gekommen. Im Dezember werden die Projekte dem Großen Rat vorgestellt. Es ist wichtig, dass wir dranbleiben. Der Aspekt Landeck ist neu und interessant. Dass es dem Vinschgau mehr bringt, wissen wir, aber irgendwann wird sich das Wirtschaftsgefälle auch wieder ausgleichen.“ Roselinde Gunsch Koch, ihres Zeichens auch Mitglied des Internationalen Aktionskomitee Engadin-Vinschgau, ist überzeugt, „dass von der Bahnverbindung jedes Gebiet profitiert, auch wenn sich der Bahnhof 10 km entfernt befindet. Ich denke auch nicht nur an den Tourismus, sondern an unsere Pendler, für die es eine immense Erleichterung wäre. Für mich ist wichtig, dass die Vision erhalten bleibt, dass es weitergeht, unabhängig von wirtschaftlichen Entwicklungen. Und weiter geht es nur, wenn wir Südtiroler dahinter stehen.“ „Wir müssen zur Stelle sein“ Großrat Georg Fallet wartet mit Spannung auf die Rangliste der zehn Verkehrsprojekte, die von der Regierung in Chur vorbewertet und vorgelegt werden. Kann es geschehen, dass die Zugerbindung in den Vinschgau auch weit hinten in der Rangliste aufscheint? ­Fallet: „Theoretisch wäre es möglich. Schlussendlich wird es dann auch eine politische Geschichte. Die einzelnen Regionen haben ihre Vertreter nach Chur geschickt und ihre Projekte vorstellen lassen. Die Regierung wird mit der Rangordnung zum Ausdruck bringen, was sie für Zukunft weisend hält. Wir - der Projektträger ‚Pro Engadina Bassa’, der Vorstand im Interreg-Projekt auf Schweizer Seite und ich als Vorsitzender des Internationalen Aktionskomitees - haben das Projekt in Chur mit denselben Profis und Technikern wie in Zernez persönlich vorgestellt.“ Zur Feststellung, dass das Münstertal bei der Variante Scoul-Mals unberührt bliebe und nichts davon habe, meinte der Großrat: „Es ist noch gar nichts entschieden. Zuerst muss herausgearbeitet werden, ob eine Zug-Verbindung für den Kanton sinnvoll ist. Zuerst müssen die Fragen beantwortet werden: Ist die Verbindung eine zukunftsträchtige Idee und kann man sie verfolgen? Können sich andere Regionen wie der Prättigau, das Churer Rheintal, Klosters oder Landquart auch damit identifizieren. Gelingt es uns, das Oberengadin zu überzeugen und ins Boot zu holen? Einige Kilometer links oder rechts für die Trasse, das wird später von Bedeutung sein. Und wenn es ums Geld geht, wird ohnehin politisch entschieden. So ein Projekt kann nicht ein kantonales bleiben; es muss immer in Zusammenarbeit mit dem Bund realisiert werden. Der Kanton Graubünden muss in Bern klarstellen, dass gute Verkehrsverbindungen wichtig sind. Wenn er das nicht eindeutig und überzeugend sagt, passiert nichts. Wenn man den Focus auf unser Dreiländereck richtet, ist es wichtig, dass wir gut erschlossen sind, aber damit ist es noch nicht getan. Unsere Region muss auch Produkte anbieten, dass die Leute kommen, anhalten und sie haben wollen. Wenn die Verbindung relevant ist, wird sie gemacht mit oder ohne Münstertal. Man wird strategische Überlegungen anstellen: Ist es auf lange Sicht etwas Positives oder nicht? Erst dann wird überlegt, wo man durchsticht. Dann wird auch gefragt werden: Leisten wir uns das mit dem Münstertal und geben wir dafür einige 100 Millionen mehr aus? Ich denke, alles, was im Umkreis unserer Region im öffentlichen Verkehr an Verbesserungen entsteht, kann nur von Vorteil sein. Wir müssen aber zur Stelle sein. Wir müssen Produkte anbieten, wofür die Leute kommen, sei es den Nationalpark, sei es einen naturnahen Tourismus, sei es die Ruhe.“ Für Fallet als Politiker wäre eine positive, auch hör- und merkbare Unterstützung aus dem Vinschgau wichtig. „Es geht jetzt darum, Weichen zu stellen, nicht für zehn Jahre, sondern für einen weit größeren Zeitraum.“ Günther Schöpf
Günther Schöpf
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Vinschger Sonderausgabe

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