Erfolgreicher Ausstieg: Der Bericht eines ehemaligen Neonazis

Der Weg eines Patrioten zum Neonazi und wieder zurück

Publiziert in 33 / 2009 - Erschienen am 23. September 2009
Felix (Namen von der Redaktion geändert) könnte irgendwie als Romantiker beschrieben werden. Das passt auf den ersten Blick zwar nicht zu seinem äußerlichen Erscheinungsbild: groß, ­kräftig, recht fester Blick. Wenn er aber erklärt, warum er Patriot ist, zeichnet und beschreibt er ein Bild von seiner Heimat, das zu einem Heimatepos passen würde. Die Landschaft habe ihm immer schon gefallen, er bewundere die schönen Berge, die Tradition gebe Halt und eben auch die Bevölkerung. Das klingt, als wolle er, seine großen Hände schützend über dieses Bild legen, denn in seiner Vorstellung war es in existentieller Gefahr. von Werner Wallnöfer (zach) „Ich war schon in meiner Jugend patriotisch“, erzählt Felix. Anfangs hatte das auch keine Probleme bereitet. Im Gegenteil, denn er engagierte sich erfolgreich im Schützenbund, trug seine Tracht mit Ehre und Stolz. „Ich wollte mich mit unserer Geschichte beschäftigen, stieß dann auf die Thematik des Tirolertums. Und schließlich zur Thematik der 60er-Jahre“, fährt er etwas stiller fort, als möchte er die weiteren Worte mit Sorgfalt wählen. Felix schildert, dass er nun seit eineinhalb Jahren mit der Aufarbeitung seiner rechten Vergangenheit beschäftigt ist. Er wird dabei im Aussteiger­projekt „Aussi“ betreut. Zur Zeit behängt gegen ihn noch ein Strafverfahren wegen Verbreitung rechtsradikalen Propa­gandamaterials und Anstiftung zum Rassenhass. Felix wird sich für seine Vergangenheit verantworten müssen. Er saß auch über zweieinhalb ­Wochen in Haft, „ein echt hartes Erlebnis“. Wie es denn dazu kam, dass er vom Patrioten zum ­Neonazi wurde, wollte „Der Vinschger“ wissen. „Die Ungerechtigkeiten, die den Süd­tirolern in der Zeit des ­Faschismus bis in die 60er-Jahre widerfuhren, haben mich stark beschäftigt. Irgendwann entstand dann extremer Hass gegenüber jenen, die für dieses Unrecht verantwortlich waren. So was kann ziemlich plötzlich gehen.“ Bei Felix dauerte diese Übergangsphase etwa ein halbes Jahr. Und sein Engagement für die gute Sache wurde schnell vom Wahn vereinnahmt, etwas „mehr“ tun zu müssen. „Ich habe mich noch gründlicher informiert, jedenfalls ­intensiv begonnen, mich ständig mit Geschichte und Politik zu beschäftigen. Dies über Jahre hinweg. Irgendwann saß ich dann zu Hause vor dem PC, recherchierte auf einschlägigen Seiten im Internet, horchte bekannte Deutschrockbands und tauschte mich mit Kontakten aus.“ Felix senkt seinen Blick etwas. Ihm scheinen diese Erzählungen nicht wirklich leicht zu fallen. Er habe sich auch in seiner Schulzeit mit der ­Thematik beschäftigt, sogar Vorträge gehalten. Man konnte Felix als einen „Belesenen“ beschreiben. Wir wollen wissen, was denn seine Familie mitgekriegt habe, immerhin war Felix in dieser Zeit keine 20 Jahre alt. „Natürlich blieb das alles nicht von meinen Eltern unbemerkt. Sie versuchten mit Nachdruck, mich davon abzubringen. Mit dem Ergebnis, dass ich als Jugend­licher eher damit reagierte, zu rebellieren, als auf den guten Rat zu hören“, erklärt Felix und fügt an, dass „auch meine Kollegen begannen, zu reagieren.“ Felix hält kurz inne, woraufhin er beginnt ein Er­lebnis zu erzählen, das ihm nahe gegangen sein muss, denn es „hat mich dazu gebracht, über alles gründlich nachzudenken.“ „Ich war so sehr mit der ganzen Sache beschäftigt, dass ich bei einem Dorffest mit einer ­Gruppe Mädchen über Politik diskutiert habe. Ich war angetrunken und hab dann wohl die sehr harten Sprüche abgelassen. Jedenfalls waren diese Mädchen – sehr zu Recht – schockiert. Sie teilten dies auch meinen Kollegen mit, welche sie zufällig kannten. Diese ­haben mich dann mit dem Vorfall konfrontiert und auch klar gestellt, dass das nicht so weiter gehen kann.“ Er habe sich dann bereits vor seiner Verhaftung zusehends von seiner Ideologie distanziert. Auf das Thema Politik angesprochen, haken wir nach: ­Felix war auch in der offi­ziellen Parteipolitik einge­bunden gewesen. Im Zuge meiner persönlichen Entwicklung ist dann jedoch ein weitere Mit­arbeit auf politischer Ebene un­möglich geworden.“ Und was waren die Ideen, die Felix gefielen? „Ich habe mich – so weit das überhaupt geht – bezüglich der Nazi­ideologie mit ausgewählten Thematiken beschäftigt, wobei ich mich mit den menschenverachtenden Elementen ­weniger beschäftigt habe“, versucht Felix eine Erklärung zu finden. Auf diese Elemente angesprochen, will er nicht näher eingehen und nicht mehr antworten. Wir akzeptieren dies, gehen aber auf das Thema Gewaltbereitschaft über. Über­raschenderweise wird Felix dabei sichtlich lockerer, scheint erleichtert über diese Frage, denn „ich kann zum Glück behaupten, während meiner Zeit nie schwere Körperverletzung begangen zu haben. Im Gegensatz zu anderen Menschen ist es mir unmöglich, jemanden mit der Faust knallhart ins Gesicht zu schlagen. Das hat mit einer Rauferei nichts zu tun“, sagt er und schüttelt dabei leicht den Kopf. Trotzdem: Felix war auf ­einer Veranstaltung der Jungen Nationaldemokraten, eine Jugendorganisation der NPD. „Ich war in Deutschland, in Dresden, und habe zwei Veranstaltungen besucht.“ Zumindest kann er den nachhaltigen Eindruck erwecken, wirklich Handlungen aus seiner Vergangenheit ehrlich zu bereuen. Wenn er verständlich machen will, was ihn zur Szene gebracht habe, wird der menschliche Faktor seiner Geschichte sichtbar: „Was einen an die Gruppe bindet, ist letztlich weniger die Ideologie, sondern die Kameradschaft. Wir haben uns unabhängig von der Ideologie wirklich gut verstanden.“ „Werte wie Ehre und ­Akzeptanz haben für mich weiterhin bestand. Leider war ich in eine extreme Welt abgerutscht. Heute will ich mich für die richtige Sache verwenden“, unterstreicht und verspricht er. Er habe deshalb kein Problem, sich nach wie vor einen Patrioten zu nennen. Auf die Frage, was denn nun seine politische Idee sei, antwortet Felix, er „finde, dass das Recht auf Selbstbestimmung einem Volk nicht genommen werden darf.“ Heute ist für ihn Patriotismus und Nationalsozialismus meilenweit entfernt. Nur könne man vom Patriotismus leicht in den National­sozialismus abdriften. An der Spitze des ­patriotischen Wunsches nach Selbstbestimmung war es leicht, ins extrem ­rechte Lager zu fallen. Felix ist allem Anschein nach auf dem Weg zurück zum so genannten „gesunden“ Patriotismus. Mit Nachdruck stellt Felix am Ende unseres Gespräches fest: „Der Ausstieg ist mir bereits gelungen. Und ich möchte an die Jugend ­appellieren, dass sie die Finger von jeglicher Form des Extrem­ismus lassen sollen. Ein gelebter Patriotismus kann nichts mit Hass auf andere ­Völker, Kulturen und Religionen zu tun haben. Ich danke meiner Familien, meinen Freunden und dem Verein Streetwork & Mobile Jugendarbeit für die Unterstützung in der schweren Zeiten.“ Informationen über die Arbeit des Vereins für Streetwork & Mobile Jugendarbeit finden Sie unter www.strymer.it
Werner Wallnöfer
Vinschger Sonderausgabe

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