Vinschger Baugewerbe
Laut Handelskammer beginnt die Bauwirtschaft im Vinschgau langsam abzuklingen.

Die Flurbereinigung hat längst begonnen

Publiziert in 42 / 2008 - Erschienen am 26. November 2008
Die Bauwirtschaft im Vinschgau steht mit dem Rücken zur Wand, daran gibt’s nichts zu deuteln. Die Ursachen liegen nicht nur in staatlichen Gesetzen, sondern sind zum Teil hausgemacht. Beteiligte haben es seit Jahren bemerkt und sind aus unterschiedlichen Gründen Leidtragende geworden. Der aus Tourismus- und Gastronomie-Kreisen stammende Begriff der „unverschuldet Verschuldeten“ ist zum Teil auch auf das Baugewerbe anzuwenden. von Günther Schöpf Maurermeister Hubert Gunsch, 35, aus Planeil, 17 Jahre bei der Baufirma „Paulmichl Matthias & Co. OHG“ in verantwortlicher Position tätig, ist zusammen mit dem 24-jährigen Geometer Michael Tscholl aus Prad ein großes Wagnis eingegangen. Eine Firmengründung in Zeiten wie diesen, im Oberen Vinschgau und mit dem Vorurteil behaftet, nur der Ableger eines im gerichtlichen Ausgleich befindlichen Betriebes zu sein, kann nicht anders als Wagnis genannt werden. Dass beide das unter­nehmerische Risiko eingegangen sind und demnächst aus der Konkursmasse Maschinen und Fahrzeuge erwerben werden, um mit „System Bau GmbH“ einen Neustart zu wagen, lag natürlich auch am finanziell günstigen Einstieg, aber nicht nur. „Wir haben uns persönlich reingehängt“, erklärte Baustellenkoordinator und Teilhaber Hubert Gunsch, „weil wir über erfahrene Mit­arbeiter verfügen, gute Kontakte zu einigen Technikern pflegen, die uns auch ermuntert haben, und weil wir mit unserer Jugend und unserem Konzept auch die Kreditgeber überzeugen konnten. Zurzeit haben wir natürlich viele Vorurteile abzubauen. Verschiedene Bauaufträge geben uns aber Mut und Zuversicht.“ Am Anfang steht ein Preiskampf Die Neugründung in Mals ist die äußerst seltene Reaktion auf die desolate Situation eines Wirtschaftszweiges, dessen Vertreter derzeit im gesamten Vinschgau und vor allem im Obervinschgau mit dem Rücken zur Wand oder – anders ausgedrückt – am Scheideweg stehen. Die Betriebs­schließungen von ­„Hohenegger Hoch- und Tiefbau“ an den Standorten St. Valentin und Reschen-Piz mit 45 Mitarbeitern (Quelle Internet) im ­Jahre 2006 und von „Paulmichl Matthias & Co. OHG“ im März dieses Jahres mit ehemals 35 bis 40 Mitarbeitern in Mals waren nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges. Sie machten die Öffentlichkeit hellhörig und erlaubten einen Blick auf Prozesse, die Finanzminister Tremonti in den 90er Jahren angeschoben hatte und die seit zwei Jahren bedenkliche Formen angenommen haben. Bei näherem Hinsehen sind Betriebsauflösungen dieser Größenordnung natürlich nur bedingt mit dem Abmelden des Gewerbes durch eine Einzelperson vergleichbar. Trotzdem haben das Verschwinden des Traditionsbetriebes Paulmichl (gegründet im Mai 1975) und der Aufkauf der Firma ­Hohenegger durch die beiden Vinschger Größen im Tiefbau, „Mair Josef & Co. KG“ in Prad und die Firma „Marx Hoch- und Tiefbau AG“ in ­Schlanders, mit der Abmeldung des ­Maurers von irgendwo beliebig im Vinschgau vieles gemeinsam. Priska Paulmichl, Tochter und rechte Hand des Firmengründers Matthias Paulmichl, sprach von einem Rad, das sich im Falle ihrer Firma schon zu drehen begonnen hatte, als man mit Abgeboten an der „finanziellen Schmerzgrenze“ einsteigen musste. „Wenn dann noch die Zahlungsmoral der Kunden im Keller ist und man durch die Teilnahme an einem Ideenwettbewerb aus welchen Gründen auch immer vor dem Richter endet, dann ist man sofort irgendwo im Rückstand“, erklärte Paulmichl. „Halten sich dann die Banken zurück und werden Umschuldungsversuche eher zu Rettungs­aktionen für die Bank selbst als zu Unterstützungsmaßnahmen für das Unternehmen, ist das Ende unausweichlich“, ergänzte sie. Vater Matthias Paulmichl fuhr schärfere Geschütze auf und hatte Gründe und Namen parat: „Im Vinschgau fehlt ­kleinen und mittleren Betrieben jeglicher Rückhalt der ­Politik. Man muss schon mit dem Landeshauptmann oder einer Senatorin verwandt sein, um an Bauaufträge zu kommen. Es herrscht Vettern­wirtschaft ­ohnegleichen.“ Die Arbeit ist zu teuer Laut Bau­unternehmer ­Alfred Hohenegger (im Bild) aus Reschen, der zusammen mit den Teilhabern Robert Seifart und Helmut Hohenegger dem 1977 gegründeten Traditionsbetrieb „BauGut GmbH“ vorsteht, müssten zum „Abgebotswahn“ und den oft unverständlichen Vorgangsweisen der Banken noch die Mittelmäßigkeit ­vieler Betriebe, die Bürokratie und die Lohnnebenkosten als Gründe des Niederganges der Bauwirtschaft erwähnt werden. „Ich sehe schwarz, wenn ein Arbeiter, der 1.500 Euro auf die Hand bekommt, uns Arbeitgebern 4.000 Euro kostet“, machte sich Hohenegger ruhig, aber bestimmt Luft. Er erinnerte sich an eine Bau­krise im Jahre 1982; damals habe die öffentliche Hand zu investieren begonnen und damit die ­Situation bereinigt. „Weitere Perspektiven“, zeigte sich ­Hohenegger überzeugt, „wären die Verbesserung der touristischen Strukturen im Obervinschgau und für den einzelnen Unternehmer vor allem die schnelle, steuerliche Absetzbarkeit von Investi­tionen, statt – wie üblich – auf einen Subventionsbeitrag zu hoffen.“ Im Gegensatz zu den Analytikern in der Handelskammer (siehe eigenen Bericht) hat Hohenegger schon 2002 einen wirtschaftlichen Abschwung in seiner Gemeinde festgestellt. Von vorher fünf Betrieben seien im ­Vinschger Oberland mit St. Valentin, Graun, Reschen und ­Langtaufers nur mehr seine Firma mit etwa 18 Mitarbeitern (von einst 30) und ein einzelner Maurer übrig geblieben. „Die beiden letzten Jahre waren von der Auftragslage her die schlimmsten. In einem einzigen Jahr sind 60 Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft abgebaut worden“, gab Alfred ­Hohenegger zu bedenken. Der gute Ruf, die Zuverlässigkeit und die qualitätvolle Arbeit hätten seinen Betrieb vor Schlimmerem bewahrt. Das Kreuz mit der Zahlungsmoral In allen Punkten stimmten die Aussagen des „Oberländers“ Hohenegger mit denen des Geschäftsführers der „Bauunternehmen Latsch GmbH“, Toni Sachsalber, im „noch wohl­habenden“ Unterland überein. Für seinen Betrieb mit derzeit 28 Mitarbeitern sah er maßgebliche Gründe des wirtschaftlichen Überlebens in seinem qualifizierten Personal und in der gefestigten, internen Organisation. „Noch halten Landwirtschaft, Tourismus und die öffentliche Hand das Wirtschaftsradl in Gang“, meinte Sachsalber nachdenklich. Als besonders gravierend fand er, dass jeder, auch ohne je eine Mörtelkelle in der Hand gehabt zu haben, in der Handelskammer seine Baufirma anmelden könne. Die Folgen, Dutzende von Anbietern müssen sich um wenige Aufträge reißen. „Noch schlimmer ist aber, dass jemand, der in Konkurs gegangen ist, unter neuem Firmen-Namen wieder von einer Gemeinde zur Offert-Stellung eingeladen wird“, gab ­Sachsalber zu bedenken, „obwohl unter Umständen jeder weiß, dass Lieferanten und Handwerker auf ihren Ausständen ­sitzen geblieben sind.“ Auch für ­Sachsalber ist die Zahlungs­moral ein „Kreuz“. Monatelanges ­Warten auf ­Zahlungen würde die Substanz kleinerer Betriebe aushöhlen. Zunehmend seien Handwerker und Zulieferer die Banken für Bauherren geworden. Dies wurde auch von Josef Auer in Latsch, Leiter der einzigen Bauexpert-Filiale im Vinschgau, bestätigt: „Pfuscher ­müssen aussortiert werden, Immobilien und Baugrund müssen günstiger werden und es kann nicht angehen, dass Zulieferer und Handwerker Geldverleiher ohne Garantie spielen ­müssen.“ „Hoffentlich packt’s die Schlechten“ Erhard Joos (im Bild) aus Langtaufers, Bezirksobmann Obervinschgau im Landesverband der Handwerker (LVH), kennt die Situation des Baugewerbes aus erster Hand und spielt auf hausgemachte Südtiroler Verhältnisse an: „Es kann nicht angehen, dass man Jungunternehmern finanzielle Starthilfen gibt und sie in die Lage bringt, zu Dumpingpreisen mitzubieten und den Markt zu ruinieren.“ Zur Sprache brachte er dem „Vinschger“ gegenüber die sich verheerend auswirkenden Steuer­schätzungen (Reddimetro), die periphere Lage des Oberen Vinschgaus und als Möglichkeiten für die Bauwirtschaft das Sanieren von alter Bausubstanz in den Dorfkernen. Günther ­Gemassmer (im Bild) aus Kortsch, Ortsobmann des LVH in Schlanders, gehört zu den 22 (!) Bau­unternehmern in seiner Gemeinde. Er erinnerte an das Jahr 1989, als ein Fliesenleger aus Süditalien in einem Rekurs gegen das Land Südtirol Recht bekam. Damals sei die Vorschrift außer Kraft gesetzt worden, in Südtirol den Maurermeister vorweisen zu müssen, um einen Betrieb anzumelden. Die Abwanderung gut aus­gebildeter Facharbeiter Richtung öffentliche Bereiche findet er bedenklich. In der Spezialisierung sieht er Möglichkeiten und glaubt an eine Flurbereinigung: „Hoffentlich packt‘s die Schlechten!“. Zur Bauwirtschaft im Vinschgau Eine Anfrage des „Vinschgers” wurde von Verena Paulmichl, verantwortlich für Kommunikation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Handelskammer, dankenswerter Weise an Stefan Perini, Direktor des Amtes für Wirtschaftsinformation des WIFO, weiter geleitet. In der Analyse wurden nur die Gemeinden des politischen Bezirkes Vinschgau berück­sichtigt. Das Baugewerbe nimmt im Vinschgau eine größere Bedeutung ein als auf Südtiroler Ebene. Im Jahr 2007 gab es im Vinschgau 425 Baufirmen mit insgesamt 1.355 unselbständig Beschäftigten. Berücksichtigt man, dass es im Vinschgau insgesamt 10.600 unselbständig Beschäftigte gibt, so macht das Baugewerbe 12,8% aus. 2007 gab es in ganz Südtirol 7.030 Baufirmen mit 17.130 Beschäftigten. Gemessen an der Gesamtanzahl unselbständig Beschäftigter (184.356) macht dies 9,3% aus. Die Zahl der Baufirmen nimmt in Südtirol immer noch zu, im Vinschgau ist sie seit 2006 leicht rückläufig. Im Zeitraum 2000-2007 hat die Zahl der Baufirmen in ganz Südtirol ständig zugenommen. Waren es im Jahr 2000 5.844, so sind sie bis auf 7.030 im Jahr 2007 angestiegen (+20%). Im Vinschgau waren es 382 im Jahr 2000. Im Jahr 2005 wurde der Höchststand von 430 erreicht. Von da an ist die Tendenz leicht rückläufig auf heute 425. In etwa identisch präsentiert sich das Bild, wenn man die unselbständige Beschäftigung betrachtet. In Südtirol sind die im Baugewerbe Beschäftigten von 14.513 im Jahr 2000 kontinuierlich auf 17.130 im Jahr 2007 geklettert. Dies entspricht einem Anstieg von 18%. Auch im Vinschgau war die Dynamik bis inklusive 2006 positiv. Die 1.181 Beschäftigten im Jahr 2000 stiegen bis auf 1.372 im Jahr 2006 an. Mit 2007 hat eine Kehrtwende eingesetzt (nur mehr 1.355 Beschäftigte). Im Vinschgau herrschte überdurchschnittlich starke Bautätigkeit bis 2004, dann stellte sich eine Normalisierung ein. Bezieht man das fertiggestellte Bauvolumen auf die Ein­wohnerzahl (m3 Bau­volumen pro Kopf), so sieht man, dass im Zeitraum 2000-2004 die Bautätigkeit im Vinschgau stärker war als im Südtiroler Durchschnitt. Insbesondere gilt dies für das Jahr 2004. In den folgenden Jahren hat ein Normalisierungsprozess stattgefunden. Man beobachtet, dass die Bautätigkeit im Vinschgau überdurchschnittlich stark auf den gewerblichen Bau ausgerichtet war. Wirtschaftsbarometer: Zur aktuellen Lage im Baugewerbe Im Baugewerbe ist einmal mehr eine differenzierte Betrachtung notwendig. Im Tiefbau präsentiert sich die Situation wesentlich schlechter als im Hochbau. Im Tiefbau haben zum einen die öffentlichen Bauaufträge abgenommen, zum anderen werden die Preise als nicht zeitgemäß empfunden. Die Ertragsbeurteilungen fallen extrem schwach aus (Ertragsindex 23). Anders die Situation im Hochbau. Zwar zeigen hier die abgeholten Baukonzessionen – ein Indikator für den Neubau­tätigkeit auf dem lokalen Markt – seit mehreren Quartalen nach unten. Und dennoch: Dank Initiativen wie „Klimahaus“ und „Altbausanierung“ ist die ­Situation weit weniger dramatisch als im Tiefbau. In der Hochbauindustrie haben 74% der Firmen positive Erträge erwirtschaften können, im Hochbauhandwerk waren es sogar 80%. Das Auftragspolster beträgt in der Hochbauindustrie noch 5,9 Monate, im Hochbauhandwerk 2,9 Monate. (Auszug aus dem „Wirtschaftsbarometer“, 24.11.2008. Die Aussagen beziehen sich auf ganz Südtirol. Die Situation dürfte aber in den einzelnen Bezirken sehr ähnlich sein). Stefan Perini
Günther Schöpf
Günther Schöpf
Vinschger Sonderausgabe

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