Martell hätte einen „Geldsee“ bitter nötig
Der Marteller Bürgermeister Peter Gamper

Die Gemeinde Martell pfeift finanziell aus dem letzten Loch

Publiziert in 36 / 2007 - Erschienen am 17. Oktober 2007
Die Gemeinden brauchen neue und vor allem bessere Modelle der Finanzierung. Dies ist eine der Hauptforderungen des Gemeindenverbandes. Dessen Präsident Arnold Schuler fordert schon seit Jahren eine Aufwertung der Gemeinden dem Land gegenüber ein. Als wesentlichen Schritt in diese Richtung wertet er die Schaffung einer finanziellen Autonomie der Gemeinden. Dass der Gemeindenverband mit seinen Forderungen den Nagel auf den Kopf trifft, beweist die Gemeinde Martell. „Wir haben bei den laufenden Ausgaben jährlich einen Fehlbetrag von rund 100.000 Euro und tun uns Jahr für Jahr schwerer, dieses Loch zu stopfen“, sagt Bürgermeister Peter Gamper. Von Sepp Laner Im Haushalt der Gemeinde Martell spiegeln sich die ­Lücken der derzeitigen Form der Gemeindenfinanzierung besonders krass wider. „Mein Kollege Hermann Fliri in Taufers im Münstertal hat ebenfalls hart zu kämpfen, hier bei uns aber ist die Lage noch schlechter“, so der Marteller Bürgermeister. Das große Problem sei nicht die Verschuldung der Gemeinde, „sondern die Schwierigkeiten, das Geld für die Abdeckung der laufenden Ausgaben zu finden.“ Bis 2004 galt ein Finanzierungsmodell, wonach so genannte defizitäre Gemeinden, zu denen auch Martell gehörte, Sonder­beiträge für die laufenden Ausgaben erhielten. Weiters übernahm das Land bis dahin die 100-prozentige Tilgung von Darlehen für Projekte im Bereich der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung. Ab 2005 ist das anders. Seither müssen auch die einstigen „defizitären Gemeinden“ Eigenmittel für derartige Projekte aufbringen. Die Neufassung der Trinkwasserquellen und der Neubau des Speichers für Martell Dorf fielen noch unter das frühere Finanzierungsmodell. Dasselbe gilt auch für die Sanierung der Trinkwasserleitung Sonnenberg, mit dessen Umsetzung in diesen Tagen begonnen wird. „Für das Trink- und Löschwasserprojekt Waldberg aber sowie für das Projekt im Bereich der Groggalm haben wir derzeit noch keine Finanzierung“, bedauert Peter Gamper. Die Gemeinde werde nun versuchen, über die EU-Programme 2007-2013 zu einem 80-prozentigen Beitrag zu kommen, „und für die restlichen 20 Prozent werden wir Eigenmittel auftreiben müssen, was aber leichter gesagt als getan ist.“ Besonders drastisch schlägt sich im Kapitel der laufenden Ausgaben die Instandhaltung der primären Infrastrukturen nieder: „Wir müssen rund 40 Kilometer Straßen sowie viele Trink- und Abwasserleitungen instand halten. Wenn wir auch noch das Gemeindehaus, öffentliche Anlagen wie das Freizeitzentrum Trattla, die Sportanlagen und weitere Infrastrukturen dazu rechnen, belaufen sich diese Ausgaben auf rund 500.000 Euro pro Jahr, wobei wir bei den laufenden Einnahmen und Ausgaben ein Jahresvolumen von rund 1,3 Millionen Euro haben.“ In den Bereichen Straßen sowie Trink- und Abwasser habe Martell in den vergangenen Jahren ungemein viel investiert. Möglich war dies nur aufgrund von Beiträgen des Landes und anderer Förderungen wie EU-Programme oder „Ziel 2“. Auch andere wichtige Vorhaben wurden umgesetzt oder befinden sich in der Phase der Umsetzung: Zivilschutzzentrale, Sanierung Bürgerhaus mit Bau eine zentralen Hackschnitzelanlage plus Dorfplatzgestaltung, Sozialzentrum und dazugehörige Einrichtungen, Biathlonzentrum und weitere Vorhaben mehr.Zum „Loch“ bei den laufenden Ausgaben kommt es seit 2004: „Seither gilt für Kleingemeinden ein geradezu chaotisches Finanzierungsmodell. Tragisch ist, dass im Wesentlichen nur ein Kriterium als Grundlage für die Pro-Kopf-Zuwendungen gilt, und zwar die Zahl der Einwohner. Das ist alles eher als gerecht“, ärgert sich Peter Gamper. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass nicht auch andere Kriterien berücksichtigt werden: „Wir sind einwohnermäßig zwar eine kleine Gemeinde, von der Fläche her aber mit 143,8 Quadratkilometern eine der größten in Südtirol. Unsere Gemeinde beginnt auf 1.000 Höhenmeter, wir sind ein strukturschwaches Berggebiet, wir müssen im Vergleich zu Talgemeinden viel mehr Heizkosten zahlen, viel mehr Geld für die Schneeräumung ausgeben und, und, und.“ Es gehe nicht an, solche und weitere Kriterien bei den finanziellen Zuwendungen unter den Tisch fallen zu lassen. Der Bürgermeister hofft, dass sich die Situation im Zuge der Erarbeitung neuer Finanzierungsmodelle bessert. Bezüglich der Verschuldung der Südtiroler Gemeinden (sie stehen derzeit mit rund 1,2 Milliarden Euro in der Kreide) und neuer Modelle der Gemeindenfinanzierung hat es erst kürzlich eine Aussprache zwischen Landeshauptmann Luis Durnwalder und einer Delegation des Gemeindenverbandes mit Präsident Arnold Schuler an der Spitze gegeben. Im Jahr 2006 hat die Gemeinde Martell das 100.000-Euro-Loch mit Mehrwertsteuergutgaben für Investitionen gestopft. Das wird laut dem Bürgermeister zum Teil auch für die Abdeckung des Fehlbetrages 2007 der Fall sein, „aber wir werden nicht immer über solche Guthaben verfügen.“ Außerdem bräuchte es noch 100.000 Euro dazu, damit die Gemeinde auch den Vereinen stärker unter die Arme greifen könnte. Mit mehr Autonomie für die Gemeinden ist Gamper voll einverstanden, „nur müssen uns dann aber auch von Fall zu Fall die nötigen Geldmittel zugesprochen werden.“ Bisher habe das Land oft Befugnisse und Dienste übertragen, nicht aber das nötige Geld bereitgestellt: „Die Kindergartenreinigung und die Dienste im Zusammenhang mit der Schulausspeisung zum Beispiel belasten unseren Haushalt mit knapp 30.000 Euro im Jahr. Vom Land gibt es dafür keinen Cent.“ Bitternötig hat die Gemeinde die Geldmittel, die ihr aufgrund der Zugehörigkeit zum Konsortium WEG (Wassereinzugsgebiet Plima, Werk Laas) jährlich zufließen. Es sind dies 60.000 Euro als Uferzins sowie 320.000 Euro als Zusatzzins für Investitionen. Nicht wesentlich ins Gewicht fallen in Martell die Einnahmen aus der Gemeindeimmobiliensteuer ICI. „Wir sind eine wirtschaftlich schwache Gemeinde. Viele müssen außerhalb des Tales arbeiten und sind Tagespendler. Wer er schafft, sich hier eine Wohnung zu erwerben, hat ohnehin Ausgaben und Spesen genug. Nach meinem Dafürhalten gehört die ICI auf Erstwohnungen überhaupt abgeschafft“, so der Bürgermeister. Mit anderen Gemeinden, deren Kassen sich jährlich mit Hunderttausenden von Euro an ICI-Einnahmen füllen, sei Martell nicht vergleichbar. Die Landwirtschaft könne sich in Martell mehr oder weniger halten, vor allem dank der Sonderkulturen und der Urlaubsangebote auf den Bauernhöfen. Den Tourismus, das Handwerk und den Handel aber gelte es weiter zu entwickeln. Unter diesem Aspekt habe er seither immer auch eine etwaige Anbindung des Skigebietes Sulden an Hintermartell gesehen: „Ideal wäre es, wenn ausschließlich eine Umlaufbahn ohne Skipisten als Zubringerbahn zum Skigebiet in Sulden gebaut werden könnte.“ Was Martell in Zukunft braucht, sind eine höhere Wertschöpfung und Arbeitsplätze im Tal. Es müsse mittel- bzw. langfristig möglich sein, zumindest einen Teil der Ausgaben aus eigener Wirtschaftskraft zu finanzieren. Möglichkeiten der Entwicklung sieht Gamper unter anderem im Energiebereich (Wasserkraft und Holzwirtschaft), in einer Festigung des Bereichs Sonderkulturen, im Ausbau der Produktveredelung und in der Schaffung eines Betriebsgründerzentrums für das Handwerk. Große Hoffnung setzt der Marteller Bürgermeister darauf, dass die Gemeinde im Zuge der Neuvergabe der Zufrittstausee-Konzession (Wassergroßableitung Kraftwerk Martell/Laas) zu einer dauerhaften Finanzierungsquelle kommt. Wie berichtet, haben sich neben der Edison AG und der SEL AG auch die drei Anrainergemeinden Martell, Laas und Latsch über das Vinschgauer Elektrizitätskonsortium (VEK) rechtzeitig um die Konzession beworben. Die Gemeinderäte der drei genannten Gemeinden haben unlängst die Umweltpläne aller drei Bewerber begutachtet und dabei einhellig jenen des VEK bzw. der drei Gemeinden als den aus ihrer Sicht besten bewertet. Die „Marteller Konzession“ verfällt zwar erst am 7. Februar 2011, soll aber noch heuer neu vergeben werden. „Im Gegensatz zu vielen Anrainergemeinden von ENEL-Kraftwerken haben wir es zum Glück nicht versäumt, um die Konzession anzusuchen. Dass wir jetzt mit dem Fuß in der Tür stehen, haben wir vor allem dem Grauner Bürgermeister Albrecht ­Plangger zu verdanken,“ freut sich Gamper. Im Gegensatz zu einer Beteiligung an der Stromproduktion, wie sie seinerzeit bei der Reschenstausee-Konzession erkämpft werden konnte, stellt sich Gamper vor, dass im neuen Konzessionsvertrag festgeschrieben wird, dass der künftige Konzessionsinhaber, wer auch immer das sein wird, jährlich eine bestimmte Summe an die Gemeinden zu zahlen hat: „Wenn wir uns direkt beteiligen, müssten wir Aktien kaufen und Geld ausgeben, das wir nicht haben. Da ist es mir lieber, wenn die Gemeinde Martell zum Beispiel jährlich einen fixen Betrag bekommt. So wird es auch in der Schweiz bei Anrainergemeinden von Stauseen gehandhabt.“ Ob ­diese „Stromrechnung“ aufgeht, muss sich allerdings erst zeigen. Diesbezüglich stehen noch Aussprachen mit dem Landeshauptmann und dem zuständigen Landesrat Michl Laimer an. Daten und Fakten zur Gemeinde Martell 1967 gab es 1.004 Einwohner. In den 70er Jahren kam es zu einem Einbruch. 1978 wurden nur mehr 895 Einwohner gezählt. 2006 waren es 886. Das Einkommenssteueraufkommen pro Einwohner ist im Vergleich zu anderen Gemeinden sehr tief. Im Jahr 2002 zum Beispiel belief es sich in Martell auf 1.082 Euro, während es in Stilfs 2.341 Euro betrug, in Latsch 9.263, in Schlanders 12.934 und in Ulten immerhin noch 4.068 Euro. Gastgewerbliche Beherbergungsbetriebe gab es 2006 insgesamt 20 mit 481 Betten und einer durchschnittlichen Auslastung von 101 Tagen. Gasthofähnliche Betriebe (Zimmervermietung, Ferienwohnungen und Schutzhütten) gab es 18 (213 Betten). Die Zahl der Nächtigungen belief sich 2006 auf 58.856. Arbeitsplätze in der Wirtschaft und in öffentlichen Körperschaften gibt es in Martell rund 100. An die 250 Saisonskräfte kommen dazu. Rund 200 Personen sind Auspendler. Arbeitsplätze im Nebenerwerb zum Sektor Landwirtschaft gibt es rund 50.
Josef Laner
Josef Laner

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