Die Ökologie muss am Anfang stehen

Publiziert in 41 / 2008 - Erschienen am 19. November 2008
Kastelbell – „Ich bereue gar nichts!“ Dieses Fazit zog Peter Gasser, als er am Samstag auf der Vollversammlung der Umweltschutzgruppe Vinschgau im Angerguterkeller in Kastelbell mitteilte, dass er zwar ­weiterhin im Vorstand mit­arbeiten werde, als Vorsitzender aber ausscheide. Die Vollversammlung stand im Zeichen des Rückblicks auf die vergangenen zwei Tätigkeits­perioden, aber auch im Zeichen der Vorschau. Den Vinschger Umweltschützern ist es unter dem Vorsitz von Peter Gasser gelungen, viele fruchtbare Diskussionen im Tal anzustoßen, die Politik in so manchen Punkten auf die richtige Schiene zu lenken (im Falle der Vinschgerbahn trifft das im wahrsten Sinne des Wortes zu) sowie immer dann Alarm zu schlagen, wie die Umwelt unter die Räder zu kommen drohte. Auch vor komplexen Themen schreckte die Umweltschutzgruppe nicht zurück, etwa vor der Energiefrage. So sollte zum Beispiel der Rambach nicht für die Stromgewinnung genutzt, sondern als natürliches Fließgewässer unter Schutz gestellt werden. Stets die Antennen oben hatten und haben die Umweltschützer auch immer dann, wenn es darum geht, auf die Gefahren großer skitechnischer Erschließungen oder Zusammenschlüsse hinzuweisen: Sulden-Martell, Ulten-Tarscher Alm oder Langtaufers-Kaunertal. Die Liste der Projekte, Vorhaben und Erfolge, die mehr oder weniger maßgeblich den Stempel der Umweltschützer tragen, ist lang: Vinschgerbahn, Verkehrskonzept Vinschgau, ­Biotop Schgumser Möser, ­Biotop ­Prader Sand, Flussgebietsplan für die Aufwertung der Etsch von Glurns bis Laas (hier arbeitet die Umweltschutzgruppe in der Steuerungsgruppe mit), Ökologiepreis Vinschgau, Lehrfahrten, Podiumsdiskussionen und, und, und.Als negativ wertete Gasser, dass es nie gelungen sei, mit der Landesregierung in eine konstruktive Zusammenarbeit zu treten: „Vor allem mit Landes­rat Michl Laimer haben wir nur Enttäuschungen erlebt.“ Als ­weitere „Tiefs“ nannte ­Gasser den ­Tunnelbau Forst-Töll und den illegalen Stein-Abbau oberhalb der Zufahrt zum Tendreshof in Reschen. Auf die rührige Tätigkeit der Jahre 2007 und 2008 blickten Rudi Maurer und ­Helmut Schönthaler zurück. Das wichtigste Thema für 2009 ist die direkte Demokratie, sprich der Einsatz im Rahmen der Volksinitiativen für ein besseres Landesgesetz zur ­direkten Demokratie und für ein Landesgesetz, das den weiteren Ausbau des Bozner Flughafens mit Steuergeld stoppt. Was die Umweltschützer ­weiterhin auf Trab halten werden, sind laut Gasser die Themen Skigebiete und Forst­wege. Als Vision für die Zukunft nannte er die Energieautarkie Vinschgau, die weit über das Ringen um den Erhalt des Stromverteilernetzes hinaus­gehe. Hanspeter Staffler merkte an, „dass es uns gelingen muss, mehr junge Leute für den Umweltschutz zu begeistern.“ Der Gedanke, dass vernünftiges Wirtschaften ökologisch ist, muss auf breitester Ebene unter die Leute gebracht werden. Dem neu gewählten Vorstand der Umweltschutzgruppe gehören an: Pia Telser, Eva Prantl, Barbara Pichler, Peter Gasser, Stephan Platzgummer, Helmut Schönthaler, Erich Daniel, Rudi Maurer, Albert Pritzi, Klaus Bliem und Sascha Plangger. Cristina Kury sieht eher „schwarz“ Als Cristina Kury 1993 in den Landtag zog, war ihr erster Gang jener zu Florin Florineth, dem damaligen Vorsitzenden der Umweltschutzgruppe Vinschgau. „Und die letzte, aktive Arbeit als Landtagsabgeordnete ist die Teilnahme an der heutigen Vollversammlung“, sagte Kury. Sie dankte der Umweltschutzgruppe für die gute Zusammenarbeit während der vergangenen 15 Jahre. Was den Stellenwert des Umweltschutzes im neuen Landtag betrifft, so zeichnete sie ein düsteres Bild: „In der auf Bauern und Unternehmer zusammengeschrumpften SVP sehe ich den Umweltschutz nicht gut aufgehoben.“ Sie könne keine Perspektiven für eine ökologische Nachhaltigkeit in wesentlichen Fragen erkennen. Eine Zusammenarbeit mit der deutschsprachigen Opposition habe bisher im Wesentlichen nur dann funktioniert, wenn es darum ging, „den deutschen Wald zu schützen.“ Die SVP lasse sich „von den Rechten vorher treiben.“ Aber nicht nur im Süd­tiroler Landtag, sondern auch auf staatlicher Ebene werde Umweltschutz immer kleiner geschrieben, „ich nenne hier nur die Atom-Renaissance oder die jetzt angedachte Privatisierung des Wassers.“ In Südtirol werde es jetzt nach den Wahlen ziemlich dick kommen: Großer Druck auf den Bau neuer Wasserkraftwerke seitens der SEL, die zweite dreijährige Novellierung des Skipistenplanes („hier gibt es vor allem auch Projekte seitens mehrerer Vinschger Gemeinden, wobei diese Vorhaben jetzt noch großteils unter Verschluss gehalten werden“) sowie die zweite Lesung des Wasser­nutzungsplanes. In ­Sachen Raumordnung sei dem Landesrat Laimer alles eher als ein großer Wurf gelungen. Zur Frage, ob Umweltschutz ein Auslaufmodell sei, ­meinte Kury: „In der Politik war Umweltschutz bisher nie ein florierendes Modell, bei den Menschen schon.“ Umweltschutz werde leider oft als ­Luxus empfunden und nicht als Anfang und als Basis für Entscheidungen im Sinne einer ökologischen Nachhaltigkeit. Kury beschrieb den derzeitigen Stellen­wert des Umweltschutzes so: „Zuerst bauen und machen wir, und später vielleicht haben wir irgendwann Zeit, wieder einmal ein paar Blumen zu schützen.“ 15 Jahre lang hat Cristina Kury die Anliegen der Umweltschutzgruppe Vinschgau aktiv und mit viel Herz mitgetragen. Peter Gasser überreichte ihr für diese „wunderbare Hilfe“ ein Bild des Malers und Schrift­stellers Georg Paulmichl aus Prad. Als neuer aktiver „Fürsprecher“ wurde der Landtagsabgeordnete Hans Heiss in der Runde willkommen geheißen. Für ihn und weitere Ehrengäste hatte Rudi Maurer frisches Quellwasser aus dem Rambach als Geschenk mitgebracht. Grün war noch nie „in“ „Der Vinschger“: Fast sieben Jahre lang haben Sie die Umweltschutzgruppe Vinschgau als Vorsitzender geleitet. Jetzt möchten Sie, dass ein neuer Vorsitzender die „Deichsel“ in die Hand nimmt. Sind Sie müde? Peter Gasser: Nein, überhaupt nicht; ich bin lediglich ein absoluter Verfechter der Mandatsbeschränkung und das auf allen Ebenen. Zahlenmäßig ist die Umweltschutzgruppe zwar nicht allzu stark, doch ihr „Gewicht“ ist nach wie vor zu spüren, auch in der Politik. Gibt es noch immer Politiker, die „Angst“ vor Eurer Gruppe haben bzw. nichts mit Euch zu tun haben wollen? Peter Gasser: Angst? Das wäre ja schlimm, denn einerseits ist Angst immer ein schlechter Ratgeber und andererseits möchten wir es ja nicht mit „Angsthasen“ zu tun haben, sondern mit Politikern, die Argumente Anderer anhören und wenn möglich annehmen. Allein auf dem „Mist“ der Umweltschutzgruppe ist die neue Vinschgerbahn zwar nicht gewachsen, aber mittlerweile gibt es viele, die sich als Väter dieses Erfolgsmodells darstellen. Stört Sie das? Peter Gasser: Nein, nicht im Geringsten. Es freut mich, wenn unsere Landesräte, inklusive der Landeshauptmann, das „europäische Vorzeige­modell“ Vinschgerbahn ins ganze Land und auch darüber hinaus exportieren. Einen deutlichen Stempel hat die Umweltschutzgruppe auch dem Vinschger Verkehrskonzept aufgedrückt. Darf in diesem Berech jetzt der „Winterschlaf“ anbrechen, zumal sich auch die Politiker der Mehrheitspartei voll hinter dieses Konzept gestellt haben? Peter Gasser: Ganz im Gegenteil. Das Konzept liegt zurzeit fein brav in den Schubladen und sollte möglichst rasch verwirklicht werden, bevor es von wirtschaftsliberalen Kreisen im Bündnis mit den erstarkten Freiheitlichen wieder zerrupft wird. Das Vinschger Verkehrskonzept ist noch lange nicht in der Scheune. Umweltschützer und Grüne sind es gewohnt, als „Verhinderer“ oder „Neinsager“ in die Ecke gestellt zu werden. Auch Landeshauptmann Luis Durnwalder nimmt sich hier nie ein Blatt vor den Mund. Auf welche geglückten „Verhinderungen“ der letzten 6 Jahre sind die besonders stolz? Peter Gasser: Der Landeshauptmann ist in Sachen Ökologie keine nennenswerte Referenzgröße, da er leider nicht im Stande ist, die Zusammen­hänge von Ökologie und moderner Ökonomie zu erkennen. Stolz bin ich auf überhaupt nichts, denn bekanntlich wachsen ja Dummheit und Stolz auf demselben Holz. Bei den heurigen Landtagswahlen haben die Grünen alles eher als „grün“ abgeschnitten. Ist „grün“ noch in? Peter Gasser: Grün war noch nie in! Aufgabe grüner Politik ist nicht so sehr „in“ zu sein, sondern vielmehr mit modernen Denkansätzen Lösungen für die verschiedensten Probleme unserer Zeit anzubieten und dafür zu kämpfen. Schade ist nur, dass andere Grup­pierungen oft so lange brauchen, bis sie den Gedankengängen folgen können, sonst ginge die Entwicklung meistens viel schneller. Grüne Themen werden in der Zwischenzeit von fast allen Parteien besetzt. Brauchen die Grünen, und ganz speziell die Umweltschützer, ein neues Profil? Peter Gasser: Auf alle Fälle! Ein wesentlich schärferes. Sie stehen als Tierarzt täglich im Kontakt mit Bergbauern. Wie werten Sie den Bau der Beregnungsanlage „Untere Malser Haide“ und die Bestrebungen, auch weiter oben Beregnungsanlagen zu bauen? Ihr Vorgänger Sebastian Felderer tritt sein einiger Zeit als „Beregnungsbauer“ auf den Plan. Kein ­Widerspruch? Peter Gasser: Die Tatsache, dass mein Vorgänger jetzt unter die Beregnungsbauer gegangen ist, hat selbst mich sprachlos gemacht. Ich fürchte, dass die Bauern der Oberen Malser Haide ein zweites Mal in ein finanzielles Abenteuer hineingeritten werden, wobei alle anderen profitieren, nur die­jenigen nicht, welche die Zeche bezahlen. Hoffentlich erkennen die Bauern die Gefahr bevor es zu spät ist. Der Beregnungsbau in Ihrer Heimatgemeinde Mals „lockt“ immer öfter Obstbauern aus dem Mittel- und Untervinschgau an, die mit ihren dicken Brieftaschen ein leichtes Spiel haben. Ist das nicht auch ein Ausverkauf der Heimat? Peter Gasser: In gewisser Weise ja. Man hat schlafende Hunde geweckt, welche genau zu jenem Zeitpunkt angreifen und unseren Bauern regelrecht den Grund und Boden unter den Füßen wegkaufen, wenn sie sich am wenigsten wehren können, da die Viehwirtschaft wirtschaftlich in einer tiefen Krise steckt. Der Vinschger „Stromkampf“ ist mittlerweile weit über das Tal hinaus bekannt. Kann daraus auch die Umwelt im Vinschgau profitieren? Peter Gasser: Wenn der „Stromkrieg“ in ein fortschrit­tliches, nachhaltiges, auf Selbstversorgung ausgerichtetes Vinschger Energiekonzept mündet, werden alle etwas davon haben: Ökonomie, Ökologie, Arbeiter, Angestellte, Bauern und Wirtschaftstreibende, alle. Was sind die größten „Umweltwunden“, an denen der Vinschgau am meisten zu leiden hat? Peter Gasser: Im Vergleich zu anderen Landesteilen sind wir ein gesegnetes Tal: Wir haben keinen ausufernden Transitverkehr, die Luftqualität ist gut, vor Erschließungen à la Kronplatz und Badia sind wir bisher verschont geblieben, Schnellstrassen und Flughäfen werden keine gebaut usw. Dennoch werden fast täglich Wunden geschlagen, welche nicht immer sein müssten. Was mich persönlich am meisten wurmt, ist die Tatsache, dass trotz des Umstandes, dass die Grunderschließung unserer Wälder schon lange abgeschlossen ist, Jahr für Jahr, mit fadenscheinigsten Argumenten und mit öffentlichen Geldern, neue meist sinnlose Forstwege in sensible Gebiete hineingebrochen werden, zum Nutzen einzelner Schlaumeier und zum Schaden aller. Der Nationalpark bleibt weiterhin ein Dauerbrenner. Bringt er mehr Vorteile als Nachteile? Peter Gasser: So wie es zurzeit läuft, bringt er weder der Ökonomie noch der Ökologie etwas und ärgert nur die Jäger. Man könnte ihn fast als überflüssig betrachten. Dennoch bin ich felsenfest davon überzeugt, dass der Park für alle Vinschger ein riesiges Potential hätte, könnte man ihn selbstständig, professionell und frei von politischen Spielen von wirklichen Fachleuten verwalten lassen. Im Vergleich zu anderen Landesteilen ist der Vinschgau in Bezug auf die touristischen Infrastrukturen eher schwach ausgestattet. Fluch oder Segen? Peter Gasser: Die so genannte Rückständigkeit des Vinschgau auf diesem Gebiet wird sich in absehbarer Zeit als Segen herausstellen, wenn es uns gelingt, die einmalige Kultur- und Naturlandschaft, aber auch Freizeitlandschaft unseres Tales entsprechend zu positionieren. Wie möchten Sie Ihr Tal in 30 Jahren vorfinden? Peter Gasser: Als wirtschaftlich blühenden Lebensraum, dem es gelungen ist, die Fehler anderer nicht nachzumachen und dennoch der Bevölkerung des Tales ein angenehmes und zufriedenes Leben zu er­möglichen. In Mals finden 2009 Gemeinderatswahlen statt. Wie „grün“ sollte der oder die neue Bürgermeister/in Ihrer Meinung nach sein? Peter Gasser: Die Farbe ist völlig egal- nur gut muss er sein, für Mals und den ganzen Vinschgau. Interview: Sepp Laner
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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