Der Abbruch des Alpenwalls
Anfänglich wurden die Bunkeranlagen getarnt. Im Hintergrund dieses Bildes ist ein großes Bauernhaus zu erkennen. Es handelt sich dabei um den Bunker 6 an der Umfahrungsstraße von Mals bei der Abzweigung nach Schleis. Dieser Bunker wurde 2002 abgerissen.

Die Riesen aus Beton bröckeln

Publiziert in 3 / 2006 - Erschienen am 8. Februar 2006
Karl Punter ist begeisterter Bunkerkenner. Eigentlich hätte er keinen Grund dazu, wurden doch auch seiner Familie in den 1930er Jahren Grundstücke enteignet, um Gräben aufzutun bzw. Bunker zu bauen. Trotzdem zieht ihn dieses muffelig-feuchte Ambiente immer wieder an. Bereits als Bub stieg er mit Beil und Fackel bewaffnet in die Bunker ein, schlich die dunklen Gänge entlang. Diese Leidenschaft hat mit der Verfassung eines groß angelegten Schulprojektes im Rahmen seiner Lehrbefähigung im Vorjahr seinen Höhepunkt erreicht. Er bricht damit beinahe ein Tabu, erzählt er, kaum einer der älteren Generation will über die Bunker und ihre Baugeschichte reden. Die einen waren im Krieg, die anderen zu jung. Nur wenige Jahrgänge haben die Bauarbeiten beobachtet. Ab Mitte der 1930er Jahre verschlechterte sich die allgemeine politische Lage in Europa, die in ihrer Haltung schwankenden Faschisten begannen seit dem Anschluss Österreichs konkrete Verteidigungspläne zu schmieden. Das hatte zur Folge, dass im strategisch wichtigen Grenzgebiet, dem Vinschgau, Bautrupps anrollten und einen Bunker nach dem anderen aus dem Boden stampften. Die Malser wollen kaum was bemerkt haben, ganz so als ob sie des Nachts entstanden sind, zumindest wollen sie nicht darüber reden. Heimlich wurden Zementsäcke gegen Butter getauscht, deshalb weisen die Bunker in Dorfnähe mehr bauliche Schwächen auf als die außerhalb, ist sich Punter sicher. Die konkrete Bauzeit dauerte im Vinschgau lediglich drei Jahre, nämlich zwischen 1939 und 1943. Es entstand das Befestigungssystem mit dem Namen „Vallo Alpino“ (Alpenwall). Insgesamt sind es über 50 Bunker zwischen Reschen und Mals. Die Kosten dieser Bauten beliefen sich auf ca. eine Mio. Lire je Bunker. Ein Knecht in dieser Zeit verdiente zum Vergleich 1.000 Lire pro Jahr. Heute ist ein solcher Bunker für 30.000 bis 40.000 Euro käuflich. Zurzeit stehen die ehemaligen Staatsliegenschaften, die 1998 an das Land Südtirol übergingen, in der Gemeinde Mals zum Verkauf. Die nicht schützenswerten Anlagen in Graun und Glurns wurden bereits zum Verkauf angeboten. Vorrang haben Private, die dieses Grundstück bewirtschaften, denen es enteignet wurde bzw. die dessen Anrainer sind. In der Gemeinde Graun wurden alle angebotenen Liegenschaften verkauft, wie Katja Götsch vom Landesamt für Vermögen weiß. In Glurns, wo dieser Vorgang ebenfalls vorerst abgeschlossen ist, wurden lediglich zwei Bunker veräußert, für die anderen drei hat die Gemeinde Bedarf angemeldet. „Wir wollen aber die Bunker nicht kaufen, die soll das Land uns kostenlos übertragen“, so Bürgermeister Erich Wallnöfer. Zwei Liegenschaften würden für die Neutrassierung des Fahrradweges benötigt, den dritten Bunker könnte man eventuell als Ausstellungsraum nutzen, so die Vorhaben des Bürgermeisters. Klaus Marsoner ist ein aufmerksamer Architekt. Bereits als Kind sind ihm im Vorbeifahren die Bunker auf der Malser Haide aufgefallen. Als Student an der Uni Innsbruck hat er sich dann im Rahmen einer Innenraumstudie näher mit den betonernen Riesen auseinander gesetzt. Seine Diplomarbeit trägt den Titel „Opera 07 - Festung der Jugend“, nach den Namensbezeichnungen der einzelnen Anlagen, „opera“, zu Deutsch Werk. Den Anlass gab der Abriss des Bunkers an der Kreuzung Schleis–Mals im Jahre 2002. Vier Wochen hat die Firma Hohenegger abgerissen, vier weitere Wochen das Material beseitigt. Marsoner hatte von diesem Abriss gehört und spann nun seine Gedanken weiter, wie man alternativ das Geld hätte verwenden können. Bei einem Streifzug durch die Obervinschger Bunkerlandschaft entdeckte er Jugendliche, die auf einzelnen Anlagen herumturnten. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass ab und an Feste und Feten in den alten Festungsanlagen etliche Jugendliche anziehen. Marsoner kam die Idee, aus dem Bunker 7 ein Jugendzentrum zu machen. Er weiß, dass es schwierig wäre, ein solches Projekt zu realisieren. Deshalb hat er sich auch an keinen der Bürgermeister herangewagt. Aber die Argumente des Bürgermeisters von Mals lässt er nicht gelten. Josef Noggler sieht die Pläne von Marsoner kritisch: „Ich habe sein Projekt zwar noch nie gesehen, aber ich glaube kaum, dass die Bunker einen Mindeststandard an Sicherheitsbestimmungen und Mindesthöhe erfüllen.“ Marsoner glaubt jedoch, dass dies nicht unmöglich wäre. Würde kein Privater die Bunker und anderen Liegenschaften ankaufen, wäre laut Noggler die Gemeinde bereit dies zu tun. Und was dann? „Dann würden wir sie abreißen“, so Noggler. „Abreißen“, Karl Punter kann es kaum glauben. Die Befestigungsanlagen zwischen Reschen, Laas und Töll bilden ein Ensemble, ist er überzeugt, „nur die ganzen Anlagen ergeben einen Sinn“. Er weiß, dass sogar in Laas ein weiterer Flugplatz, neben Schluderns, geplant war. In der Familie wurde nie Hass gegen Italien geschürt. Sie nahm die Enteignung der Grundstücke einfach hin, wie alle, man konnte ja nichts dagegen tun. So stillschweigend nimmt man jetzt auch die Rückgabe wiederum zu Kenntnis, tut so, als ob es nie anders gewesen wäre. Bestehen bleiben werden mit Sicherheit die schützenswerten Anlagen am Reschen bzw. unterhalb der Klopairspitze und Plamort, im Buch „Bunker“, herausgegeben vom Amt für Vermögen, genau beschrieben. Auf letzterer, feuchter Hochebene fletschen die Panzersperren immer noch ihre Drachenzähne, ganz so als ob kaum Zeit vergangen wäre. 1949 trat Italien der Nato bei. Die politische Entwicklung Österreichs mit der Besetzung durch sowjetische Truppen führte dazu, dass auch die Verteidigungsanlagen in Südtirol neuerliche Bedeutung erhielten, wie jene Anlagen am Reschen, in Glurns und Mals. In dieser Zeit wurden die Anlagen auch modernisiert und mit Panzerabwehrgeschützen ausgestattet. In den heißen 1960er Jahren wurden die Anlagen kurzzeitig besetzt, später, nur noch die Anlagen am Reschenpass instand gehalten und bewacht. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs entfiel für das Verteidigungsministerium die Pflicht, diese Anlagen weiter instand zu halten. Klaus Marsoner hofft, dass das letzte Wort zu den Bunkern noch nicht gesprochen ist, dass sie nicht abgerissen werden. Die turnenden Jungs auf dem Bunker haben ihn überzeugt. Die Jugend scheint damals wie heute der einzige Zeuge für die Existenz der Bunker zu sein. Warum sollte diese nicht gerade von ihr besetzt werden? Andrea Kuntner Verwendete Literatur: Bunker, Autonome Provinz, Abteilung 6, Vermögensverwaltung, Bozen 2005, erhältlich in allen Buchhandlungen.
Andrea Kuntner
Andrea Kuntner
Vinschger Sonderausgabe

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.