Nur ein Traum oder doch mehr?
Paul Stopper

„Diskussion über neue Bahnverbindung ist notwendig“

Publiziert in 30 / 2007 - Erschienen am 5. September 2007
„Der Vinschger“: Wie stehen Sie zu einer Bahnverbindung Unterengadin-Obervinschgau? Paul Stopper: Die Distanz zwischen der Endstation der 2005 wieder eröffneten Vinschgauerbahn in Mals und dem Netz der Rhätischen Bahn (RhB) in Scuol beträgt lediglich ca. 20 km. Allerdings besteht die Trennung aus hohen Bergen. Bereits in den beiden letzten Jahrhunderten planten verschiedene Eisenbahn-Pioniere eine Bahnverbindung zwischen der Schweiz und Südtirol via Vinschgau. Mit der Inbetriebnahme der Vereinalinie der RhB zwischen Klosters im Prättigau und Sagliains im Unterengadin im Jahre 1999 sind die Bestrebungen für eine durchgehende Bahnlinie nach Südtirol verstärkt worden, sowohl von Seiten Südtirols als auch von Graubünden. Eine Bahnverbindung würde für diesen Teilraum der Alpen eine sichere Zukunft darstellen, gerade im Hinblick auf den Klimaschutz. „Der Vinschger“: Welches ist Ihrer Meinung nach die geeignetste Variante? Paul Stopper: Während im Vinschgau die gegenwärtige Endstation der Vinschgauerbahn in Mals als Anschlusspunkt gegeben scheint, sind die Verhältnisse im Unterengadin weniger klar. Zurzeit stehen folgende Varianten im Vordergrund: a) Zernez-Val Müstair-Mals (ca. 45 km), b) Scuol-Mals (ca. 20 km) und c) Scuol-Val Müstair-Mals (ca. 46 km). Die Kosten der Variante b) bewegen sich im Rahmen der Vereina­linie, das heißt ca. 930 Millionen Franken (rund 567 Mio. Euro), währenddem bei den Varianten a) und c) aufgrund längerer Strecken und längerer Tunnels mit Kosten in der Größenordnung von ca. 1,3 bis 1,4 Milliarden Franken (ca. 790 bis 850 Mio. Euro) gerechnet werden muss. Vom Kanton Graubünden wird keine „Bestvariante“ favorisiert. Die Vor- und Nachteile der untersuchten Varianten müssen zuerst mit den betroffenen Regionen ausdiskutiert werden. „Der Vinschger“: Was halten Sie von einer Bahnverbindung Mals-Landeck? Paul Stopper: Ende des 20. Jahrhundert planten die Österreicher die so genannte Reschenbahn als normalspurige Bahn Landeck-Meran via Obervinschgau. Gebaut und in Betrieb genommen wurde jedoch nur die erste Etappe, nämlich die Vinschgauerbahn von Meran nach Mals. Zweimal wurde jedoch auch an der Reschenbahn gebaut. Die begonnenen Bauten sind heute noch im Raum Landeck erkennbar. Die Rhätische Bahn projektierte zu diesem Zeitpunkt eine Anschlusslinie von Scuol nach Tösens, um ihr Meterspurnetz dort an die Normalspurbahn anzuschließen. Die Projekte waren bereits genehmigt worden. Der erste Weltkrieg unterbrach jedoch alle Bahnpläne in ganz Europa jäh. Eine der 2006 im INTERREG-Programm untersuchten Varianten war auch diejenige von Scuol via Nauders nach Mals. Sollten die Reschenbahn-Pläne (Landeck-Mals) wieder reaktiviert werden, wäre das insbesondere für den Raum Scuol eine außerordentlich interessante Perspektive. Die RhB könnte - wie früher geplant gewesen - im Raum Tösens/Nauders den Anschluss an die Reschenbahn finden. „Der Vinschger“: Die Kosten für die Bahnverbindung sind sehr hoch. Woher soll das Geld kommen und mit welchen wirtschaftlichen Vorteilen bzw. Rückflüssen wie etwa in der Tourismusbranche dürfen die Regionen Unterengadin und Obervinschgau rechnen? Paul Stopper: Die INTERREG-III-A-Studie „Öffentlicher Verkehr im Dreiländereck (Rätisches Dreieck)“ befas­ste sich auftragsgemäß mit der technischen und betrieblichen Machbarkeit einer neuen Bahnverbindung zwischen dem Unterengadin und dem Obervinschgau. Untersuchungen zu wirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen und touristischen Aspekten müssten nun folgen. Aufgrund von Analogiefällen (Vereinalinie, Vinschgaubahn) können aber klar positive Wirkungen angenommen werden. Eine bewusst umweltschonende Mobilität könnte die Region sogar zum Vorzeige-Objekt werden lassen. „Der Vinschger“: Würde eine Bahnverbindung die bestehende, sehr gut funktionierende neue Vinschgerbahn nicht überlasten? Paul Stopper: Auch bei einer positiven Entscheidung zugunsten des Bahnprojektes sind bei allen Varianten noch einige technische Probleme zu lösen: Würde die neue Bahn normal- oder schmalspurig erstellt? Würde die Vinschgauerbahn elektrifiziert (im Tunnel ist nur elektrischer Betrieb zulässig)? Müsste die Infrastruktur der Vinschgauerbahn generell ausgebaut werden (längere Bahnperrons, mehr Ausweich- bzw. Kreuzungsstellen)? Wer würde eine solche durchgehende Bahn betreiben? Es ist anzunehmen, dass nicht nur auf der Seite Südtirols, sondern auch auf schweizerischer Seite Ausbauten der Eisenbahnen nötig würden. „Der Vinschger“: Was raten Sie den Politikern in der Schweiz und in Südtirol? Paul Stopper: Es ist nicht an mir, gute Ratschläge zu geben. Wichtig scheint mir aber, dass sowohl in der Schweiz als auch in Südtirol öffentliche Veranstaltungen organisiert werden, an welchen die Ergebnisse der INTERREG-III-A-Studie für die neue Bahnverbindung der Bevölkerung vorgestellt und die Vor- und Nachteile ausdiskutiert werden. Die Regionen müssen sich ja auf eine Variante einigen. Wenn eine Region geschlossen etwas will, sind auch große Projekt zu verwirklichen, wie das in der Schweiz die Lötschberg- und Gotthard-NEAT als Groß-Projekte, die Vereinalinie in Graubünden oder die Wiederinbetriebnahme der Vinschgauerbahn in Südtirol eindrücklich gezeigt haben. Interview: Sepp Laner
Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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